Kapitel 6 - Jonas

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Jonas wachte von einer Berührung an seiner Wange auf. Verschlafen blinzelte er ein paar Mal und spürte die bleierne Müdigkeit auf sich ruhen. 

„Aufwachen", flüsterte Matthias, strich weiterhin sanft über seine Wange und lachte leise. Es konnte unmöglich schon Morgen sein. 

„Noch fünf Minuten", murmelte Jonas, drehte sich auf die Seite und fuhr mit den Händen über die Matratze, bis er auf Matthias Brust stieß. Er ließ seine Hände über seinen Körper wandern, bis er schließlich die Arme um ihn schlang und ihm so zu verstehen gab, dass er näher kommen sollte. Matthias gehorchte und schmiegte sich eng an ihn. 

Für einen Moment lang genoss Jonas die Berührung, bis ihn auf einmal ein unangenehmes Brennen unter den Augenlidern zucken ließ. 

„Oh nein", murmelte er und schlug die Augen auf. Sie brannten und juckten. 

„Was?", fragte Matthias, während Jonas sich aus seiner Umarmung löste und sich aufsetzte. Sofort rieb er an seinen Augen, denn wie so oft war er mit Kontaktlinsen eingeschlafen. Eilig sprang er auf und lief ins Bad, um sie herauszunehmen. 

„Ach, die Kontaktlinsen", hörte er Matthias noch sagen, gefolgt von einem unterdrückten Prusten. Jonas ärgerte sich über sich selbst, denn nicht nur dass seine Augen heute vermutlich den ganzen Tag gereizt sein würden, sondern sie würden auch noch knallrot sein. 

Im Bad sah er in den Spiegel über dem Waschbecken und entfernte vorsichtig die Kontaktlinsen aus seinen gereizten Augen und legte sie in das kleine Döschen mit der Reinigungsflüssigkeit. 

„Fantastisch", brummte er vor sich hin und betrachtete sich noch einmal im Spiegel. Nicht nur, dass seine Augen gerötet waren, er hatte auch noch vergessen, das ganze Gel aus seinen Haaren zu waschen, sodass es nun ein verstrubbelter fester Klumpen auf seinem Kopf war. Vorsichtig versuchte er sein Haar mit den Fingern zu entwirren, aber es war hoffnungslos. 

Er entschied sich, unter die Dusche zu steigen und hoffte, dass er sich danach ein wenig besser fühlte. Das warme Wasser lockerte seine verspannten Muskeln ein wenig und er ließ sich eine ganze Weile gedankenverloren berieseln, bis der Wasserdampf schließlich so dicht wurde, dass es ihm schwer fiel zu atmen. 

Er drehte das Wasser ab, öffnete das kleine, schmale Fenster, das man von der Badewanne aus erreichen konnte und stieg hinaus. Tatsächlich fühlte er sich ein bisschen frischer und allmählich wurde er vorfreudig auf den bevorstehenden Abend.

Viel zu selten sah er seine Kindheitsfreunde aus Frankreich, seit er zum Studieren weggezogen war. Zwar hatte er mit seinen Eltern in Deutschland gewohnt, aber keine zehn Kilometer von der Grenze zu Frankreich entfernt. Seine Mutter war Französin und er war in einem kleinen französischen Ort namens Villing zur Schule gegangen und hatte dort auch all seine Freunde kennengelernt. Auch Markus, ein Deutscher, der in Frankreich lebte und arbeitete. 

Eilig schüttelte Jonas den Kopf, denn er wollte sich nicht den Morgen verderben und an Markus Bernaud denken, seine Ex, der ihn komischerweise noch immer nicht ganz losließ.

Zehn Minuten später verließ Jonas das Bad und ging in die Wohnküche. Sein Magen knurrte und für eine Sekunde hatte er gehofft, Matthias hätte schon das Frühstück vorbereitet, aber er wurde enttäuscht. Er warf einen Blick ins Schlafzimmer und sah ihn auf der Bettkante sitzen und auf sein Handy starren. 

„Hey, willst du auch was frühstücken?", rief er, woraufhin Matthias beinahe erschrocken den Kopf hob und schließlich nickte. 

„Ja, ich... ich muss nachher noch mal los", sagte er, warf sein Handy mit einer lahmen Bewegung über die Schulter aufs Bett und erhob sich. Jonas schluckte schwer, denn offensichtlich hatte er keine erfreulichen Nachrichten bekommen. 

Langsam ging er zum Schlafzimmer und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. Einen Moment lang betrachtete er Matthias, der gerade am Kleiderschrank stand und darin herumkramte. Sein schwarzes Haar brauchte dringend einen Besuch beim Frisör, es hing ihm schon fast bis auf die Schultern. Ein kleiner Bauchansatz hatte sich in den letzten Monaten bemerkbar gemacht, was er allerdings nicht weiter störend fand. Auch wenn Jonas ziemlich eitel war, was sein eigenes Aussehen anbetraf, war er nicht oberflächlich. 

Genau in diesem Moment wandte Matthias sich um und grinste ihn an. 

„Alles okay?", fragte er, denn noch vor einer Minute hatte er ganz und gar nicht gut gelaunt gewirkt. 

„Ja, meine Schwester will, dass ich ihr beim Einkaufen helfe. Sie will ein Kleid kaufen", antwortete er und verdrehte die Augen. Jonas lachte in sich hinein. 

„Was für eine nette Umschreibung dafür, dass sie reden will", sagte er, woraufhin Matthias die Schultern zuckte. 

„Keine Ahnung, was bei ihr wieder los ist", kommentierte er, drängte sich an ihm vorbei durch den Türrahmen und drückte ihm im Gehen ein Kuss auf die Lippen. 

„Ich gehe schnell duschen", rief er, bevor er im Bad verschwand. Jonas atmete tief durch. Auf einmal wurde ihm ein wenig mulmig zumute. Er konnte gar nicht so genau sagen, warum, aber er wollte Matthias dieses Wochenende nicht allein lassen. Vielleicht, weil er in den letzten Wochen so wenig Zeit mit ihm zu zweit hatte verbringen können. 

Jonas blies die Wangen auf und ließ langsam die Luft entweichen, bevor er sich vom Türrahmen abstieß und zur Küchenzeile ging, um ein kleines Frühstück vorzubereiten. Gerade als er den Kühlschrank öffnete, hörte er sein Handy klingeln. 

Eilig lief er zurück ins Schlafzimmer, wo er es vermutete und fand es schließlich unter seinem Kopfkissen. Als er den Namen auf dem Display erkannte, beeilte er sich, den Anruf anzunehmen. 

„Antoine, alles Gute zum Geburtstag!", rief er auf Französisch, bekam aber als Antwort nur ein erleichtertes Seufzen. Sofort wurde ihm klar, dass er Antoine gar nicht Bescheid gegeben hatte, dass er einen Tag später kam. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit. Er musste dringend wieder Ordnung in sein Leben bringen. 

„Da du dran gehst, nehme ich an, du bist nicht von einem LKW zerquetscht worden?", fragte Antoine eindeutig vorwurfsvoll. Jonas schluckte. Sein Kumpel schien sich ernste Sorgen um ihn gemacht zu haben. 

„Ich... tut mir leid, ich war gestern so müde und Matthias hat mich überredet, erst heute zu fahren. Ich habe ganz vergessen, Bescheid zu sagen", murmelte er und hoffte, dass Antoine nicht zu sehr gekränkt war. Einen Moment lang blieb es still, bis Antoine mit der Zunge schnalzte. 

„Mann, ich habe mir Sorgen gemacht! Dafür lädst du mich heute Abend ein!", rief er und lachte. Erleichtert stimmte Jonas mit ein. 

„Tut mir echt leid. Ich frühstücke noch schnell was, dann mache ich mich auf den Weg", versprach er, dann beendeten sie das Gespräch. Ein wenig verlegen kratzte er sich am Kopf, als sein Blick auf sein Handy fiel. Antoine hatte ihm jede Menge Nachrichten geschrieben und sich ganz offensichtlich halb verrückt gemacht, als er gestern Abend nicht aufgetaucht war. Sicherlich würde er dafür noch einen drüberkriegen. 

Jonas schob sein Handy in die Hosentasche und ging wieder in die Küche, wo er etwas Brot und Aufschnitt herausholte und auf dem Esstisch platzierte. Er hörte, wie Matthias duschte und er entschied sich, eine Zigarette zu rauchen. Tatsächlich war er in der letzten Zeit so sehr im Stress, dass sein Zigarettenkonsum deutlich zugenommen hatte. Zwar hatte er schon immer viel geraucht, aber in den letzten Wochen nahm es doch Züge an, die ihm selbst nicht gefielen. Er nahm sich vor, weniger zu rauchen, doch kaum dass der Rauch seine Lungen füllte, verwarf er diesen Vorsatz wieder. 

Slice of Life - L'AffaireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt