Tatsächlich hatte Esra schon eine halbe Stunde, nachdem Darren Aaliyah zu ihm gebracht hatte, angerufen. Ihre Stimme hatte tonlos und erschöpft geklungen und auch wenn sie Matthias ziemlich oft auf die Nerven ging, hatte er Mitleid mit ihr.
Inzwischen saß er im Auto, Aaliyah hinten auf der Rückbank. Sein Handy lag wie üblich in dem kleinen Fach über dem Radio und hin und wieder warf er an einer roten Ampel einen Blick darauf.
Was war nur los mit Jonas? Er meldete sich einfach nicht. Es war schon später Nachmittag, selbst wenn er die ganze Nacht durchgemacht hatte, sollte er sich so langsam mal auf den Weg machen. Immerhin musste er morgen wieder arbeiten.
Er fuhr bis zum Krankenhaus und parkte so nah dran, wie es ging, damit Esra nicht weit laufen musste. Kaum dass er den Motor ausgeschaltet hatte, griff er nach seinem Handy und wählte ihre Nummer.
„Bist du da?", begrüßte sie ihn, die Stimme noch immer kraftlos.
„Ja, bin ganz vorn auf dem Parkplatz. Kommst du raus?"
„Bin gleich da. Gib mir fünf Minuten", sagte sie, dann legte sie ohne ein weiteres Wort auf. Matthias sah noch einmal auf sein Handy, aber natürlich hatte Jonas sich noch immer nicht gemeldet. Er klickte noch einmal auf seinen Namen und rief ihn kurzentschlossen an. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte er. Er lauschte dem Tuten und wurde mit jedem nervöser. Natürlich meldete sich wieder nur die Mailbox, allerdings verzichtete er dieses Mal auf eine weitere Nachricht. Er schnalzte genervt mit der Zunge und warf sein Handy zurück ins Fach.
„Da ist Mama!", rief Aaliyah und ein wenig erschrocken richtete er den Blick wieder nach vorn. Esra kam auf sie zugeeilt, noch immer trug sie seine Jogginghose, die eigentlich viel zu eng war und sie hatte die Arme um sich geschlungen. Matthias hob kurz die Hand zum Gruß, den sie jedoch nicht erwiderte.
Als sie endlich am Auto ankam, lehnte er sich auf die Beifahrerseite und stieß die Tür auf. Mit einem Seufzen ließ sie sich in den Sitz fallen schlug die Tür zu und vergrub das Gesicht in den Händen. Matthias schluckte schwer, denn er wusste nicht so recht, was er sagen konnte, um sie sich ein wenig besser fühlen zu lassen. Er drückte kurz ihre Schulter und startete den Motor. Endlich nahm sie die Hände vom Gesicht und schnallte sich an.
„Mein Auto steht noch bei dir", sagte sie und erst da fiel ihm wieder ein, dass sie eigentlich Aaliyah hatte abholen wollen, als das Ganze passiert war.
„Stimmt", murmelte er und folgte weiter der Straße, anstatt abzubiegen. Auch wenn er froh war, dass Schweigen herrschte, fühlte er sich ein wenig unwohl. Hoffentlich würde Esra gleich fit genug sein, um allein mit Aaliyah nach Hause zu fahren, damit er noch ein wenig Zeit mit Jonas verbringen konnte. Sicherlich war das egoistisch, aber so war es nun einmal.
Nur wenige Minuten später parkte Matthias in der Straße, in der er wohnte. Als er den Motor ausschaltete, sah er fragend zu Esra, die in diesem Moment die Schultern straffte und sich abschnallte.
„Danke, dass du mir geholfen hast", sagte sie, warf einen Blick über die Schulter zu Aaliyah und lächelte sie an.
„Kein Problem", erwiderte er, schnallte sich ebenfalls ab und stieg aus. Esra und Aaliyah folgten ihm und langsam ging er in Richtung seines Hauses und Esras Auto. Blöderweise war die Parksituation an einem Sonntag, wenn alle zu Hause waren, alles andere als entspannt und er musste häufig ziemlich weit weg parken.
Er spürte, wie Esra und Aaliyah hinter ihm gingen und unweigerlich fühlte er sich ein wenig beobachtet. Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte, bis er schließlich vor Esras Auto stehen blieb und sie zögerlich ansah.
„Kommst du zurecht?", fragte er, woraufhin sie schnell nickte.
„Ja, schon okay. Ich ruhe mich einfach noch ein wenig aus und dann bin ich morgen wieder fit", sagte sie und kramte anschließend in ihrer Handtasche herum.
„Ich... ich habe deine Klamotten gewaschen", sagte er und erst da fiel ihm wieder ein, dass sie noch immer in der Waschmaschine lagen.
„Aber... sie sind noch nicht getrocknet, ich... ich bringe sie dir am Mittwoch mit", sagte er schnell, was Esra nicken ließ.
„Danke. Dann kommst du sie am Mittwoch bringen?", fragte sie, denn meistens holte Esra sie ab. Matthias nickte.
„Ja, kriege ich hin, denke ich", antwortete er und zwang sich zu einem Lächeln.
„Okay, dann sehen wir uns am Mittwoch", sagte sie und wandte sich ab. Sofort wandte Matthias sich Aaliyah zu. Er breitete die Arme aus und augenblicklich umarmte Aaliyah ihn fest und hielt ihm die Wange hin, damit er ihr einen Kuss gab.
„Bis Mittwoch, Kleine", verabschiedete er sich, dann stieg sie zu Esra ins Auto und die beiden fuhren davon. Einen Moment lang sah er ihnen nach, bis er sich schließlich seufzend umdrehte und die letzten Meter bis zum Haus ging.
Hoffentlich würde Jonas bald kommen, er würde dringend mal über diese ganze Geschichte reden müssen. Auf einmal erschöpft lief er die Treppen bis nach oben und betrat seine Wohnung. Sie war verlassen. Für eine Sekunde hatte er gehofft, dass Jonas vielleicht inzwischen aufgetaucht war, auch wenn er sein Auto vorhin nicht hatte entdecken können. Aber er wurde enttäuscht.
Missmutig zog er sich die Schuhe aus, ließ seinen Schlüssel auf die kleine Ablage an der Garderobe fallen und ging ins Bad, um die Wäsche aus der Maschine zu holen. Tatsächlich roch sie schon wieder ein wenig muffig, aber das war ihm in diesem Moment egal. Hauptsache, das gröbste Blut war rausgewaschen. Vermutlich würde Esra sie ohnehin noch einmal waschen, da war es nicht weiter schlimm. Er brachte ihre Sachen nach draußen auf den Balkon und hängte sie zum Trocknen auf den Wäscheständer, der immer in der Ecke stand.
Als er über den feuchten Stoff fuhr, fühlte er sich auf einmal schlecht. Eine Erinnerung an längst vergangenen Zeiten schlich sich in sein Hirn, die ihn inzwischen schmunzeln ließ. Damals, während Esras und seinem zweiten, kläglichen Versuch einer Beziehung, hatte sie ihn gefragt, ob er nicht bei ihr einziehen wollte. Offensichtlich hatte er abgelehnt, aber irgendwann, ein paar Monate später, als sie schon wieder getrennt waren, hatte sie gesagt, dass sie immer daran denken musste, wie sie seine Wäsche wusch. Sie meinte, das wäre das ultimative Zeichen, dass man zusammen war. Natürlich nicht ganz ernst gemeint, aber komischerweise hatte sich das in sein Hirn eingebrannt. Nun wusch er ihre Wäsche und er war sich ziemlich sicher, dass Esra auch seine Hose waschen würde, bevor sie sie ihm zurückgab.
Eilig schüttelte er den Kopf, um den Gedanken an sie zu vertreiben und ging stattdessen in die Küche. Er hatte heute noch nicht wirklich etwas gegessen und er bekam ziemlich großen Hunger. Kein Wunder, inzwischen war es kurz nach sechs.
Matthias zog sein Handy aus seiner Hosentasche und warf noch einmal einen Blick darauf. Keine Nachricht von Jonas. Allmählich wurde er wütend. Warum ignorierte Jonas ihn so konsequent? War er wieder einmal unbegründet eifersüchtig oder hatte er sonst irgendwelche Dinge gesehen, die nicht passiert waren? Nicht, dass er verrückt war, aber manchmal interpretierte er mehr in eine nette Geste oder ein Lächeln hinein, als da war. Vor allem, wenn es um Esra ging.
Matthias beschloss, einfach etwas für ihn mitzukochen, er würde es sich ja aufwärmen können, wenn er endlich nach Hause kam. Er legte sein Handy auf den Esstisch, schaltete Musik ein und durchforstete den Kühlschrank nach etwas Essbarem.
Auf einmal kam ihm die Idee, etwas Außergewöhnliches für Jonas zu kochen, etwas, über das er sich freute. Allerdings musste er zugeben, dass ihre Vorräte nicht allzu viel hergaben, aber sicherlich würde er irgendetwas Schmackhaftes hinbekommen.
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Slice of Life - L'Affaire
SonstigesJonas ist vollkommen gestresst von der Arbeit, worunter nicht nur er leidet, sondern auch sein langjähriger Freund Matthias und dessen Tochter Aaliyah. Bei all dem Stress kommt das bevorstehende Wochenende in Frankreich ganz recht. Ein alter Schulfr...