11 | Grenzen

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Die Nacht nahm meinen Körper mit all ihren Schattenseiten ein. Ich schlief und all diese Emotionen und auch Erlebnisse wirbelten immer wieder in meinen Träumen umher. Es war zu viel. Zu viel auf einmal, um es mit ein paar Stunden Schlaf abschütteln zu können. Es kam viel schlimmer. Die schlimmsten Erinnerungen an meine Kindheit, meine Mutter und ihre widerlichen Freier drängten sich in den Vordergrund meiner Träume. Es war, als stünde ich direkt daneben und müsse alles noch einmal durchleben. Ich spürte selbst im Schlaf, wie es mir die Luft abschnürte. Das letzte Mal, dass ich derartige Träume hatte, lag Monate zurück. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass ich diesen Teil meines Lebens nie vollends verdrängen könnte - doch dieses Mal kam es wie eine Welle, die ich nicht aufhalten konnte auf mich zu.

Erst flackerte die Situation mit Cruz vor meinen geschlossenen Augenlidern auf, um sich dann in einen düsteren Strudel aus Hilflosigkeit, Schmerz und Einsamkeit zu verwandeln. Die Bilder, wie meine Mutter von den Drogen eingenommen auf der Couch lag - nicht mehr fähig etwas wahrzunehmen. Die Männer, die sie nach Hause brachte. Sie benutzten sie. Immer und immer wieder bot sie sich ihnen an, um an neue Drogen zu kommen. Ich war ihr egal. Tagelang hungerte ich oder saß in einer dunkeln Wohnung, weil sie mal wieder kein Geld für die Miete oder den Strom hatte. Ich kann mich an keinen Abend erinnern, an dem sie keinen Mann mit nach Hause brachte. Ich war dann nur ein Störfaktor. sie schrie mich an oder schmiss mich als kleines Mädchen selbst im Winter aus der Wohnung. Ohne Jacke oder Schuhe saß ich in diesem runtergekommenen Haus und musste warten, bis sie fertig waren. Das war sogar noch das Beste, was mir passieren konnte. Oft kam es nicht einmal so weit und sie brachten mich mit Schläge zum schweigen. Wenn ich weinen oder jemanden etwas verraten würde, müsste ich sterben. 

Eines abends - ich war schon etwas älter, konnte ich meine Tränen und ein Schluchzen nicht unterdrücken. Da kam einer dieser Männer auf mich zu und schlug immer wieder auf mich ein. Ich werde seinen Blick niemals vergessen. Diese endlose Wut, die seinen ganzen Körper erreichte. Er war ein Monster. Er drohte mir, mich mitzunehmen. Doch an diesem Abend rettete mich Camilla. Sie war mein Schutzengel. Natürlich konnte sie mich nicht immer vor diesen Kreaturen beschützen, weil meine Mutter selbst im Drogenrausch so tat, als ginge es mir bei ihr am Besten. Doch sie gab alles für mich.

Und dann, wie so oft, fand mein Körper genug Kraft, um mich aus diesen Träumen zu befreien. Als würde Camilla selbst aus dem Jenseits heraus noch alles versuchen, um mich zu beschützen. Panisch riss ich meine Augen weit auf. Mein Herz schlug mir in einem viel zu schnellen Rhythmus bis zum Hals. Mein gesamter Körper verkrampfte sich. Es war nicht mehr dunkel, doch auch noch nicht richtig hell. Ich versuchte mich im Raum umzuschauen, als ich direkt in Camerons braune  Augen blickte. Warum ist er mir so nah? Hat er mich die ganze Zeit beobachtet?

>>Ist alles in Ordnung<<, fragte er überraschend sanft.

>>Du konntest es wohl kaum erwarten, dass ich einschlafe. Widerlich.<<

>>Ich?<< Sein Blick fiel auf meine Hände, die auch ich nun anstarrte. Ich hatte meine Finger in seiner Haut vergraben. >>Scheiße<<, entkam es mir geschockt und sofort löste ich meine Hände von seinem Körper. Überfordert mit der Situation rückte ich ein Stück von ihm weg.

>>Es tut mir -<<, stammelte ich den Versuch einer Entschuldigung vor mich hin, als es mich bereits unterbrach. >>Muss es nicht. Scheint sehr viel Chaos in diesem kleinen hübschen Kopf zu herrschen.<<

>>Was weißt du schon?<<

>>Es spielt keine Rolle, was ich weiß.<< Er verringerte den Abstand zwischen uns wieder und legte sein Gesicht so nah an meines, dass ich seine Atem auf meiner Haut spürte. >>Viel mehr, was ich gesehen habe.<<

Eyes on you - Ich sehe dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt