1 | Die Aussage

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Nachdem sich das Chaos im Park gelegt hatte und alle Opfer in die umliegenden Krankenhäuser gebracht wurden, hatte ich endlich einen Moment, um durchzuatmen. Doch lange hatte ich nichts von der Ruhe, als ich aus der Ferne schon Daryl und Simon auf mich zukommen sah. Die beiden hatten mir jetzt wirklich noch gefehlt, um das Drama abzurunden. „Süße, geht's dir gut?", rief Simon mir zu. Wollte er mich verarschen? Der letzte Typ, der mich so ansprach, hatte anschließend eine gebrochene Nase. In einer Welt, in der viele Männer denken, sie könnten sich alles herausnehmen, muss man sich eben durchschlagen. Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.

"Wie hast du mich genannt?", wandte ich mich den beiden zu und musterte sie mit einem angeekelten Blick. "Ach, Savannah. Hab dich doch nicht so. Eigentlich wollt ihr Frauen doch genau das von uns. »Aufmerksamkeit um jeden Preis!«, mischte sich nun Daryl ein. Ich hätte diesen Arschlöchern nur zu gerne gezeigt, dass sie damit falsch lagen. Aber ich musste noch zur Polizeiwache und meine Aussage zu Protokoll geben. Außerdem wollte ich nicht selbst in einer Zelle landen. „Wisst ihr was? Fickt euch! Und denkt nicht einmal daran, mich noch einmal anzusprechen." Angewidert von diesen widerlichen Scheißkerlen ging ich Richtung Ausgang. Ich überlegte erst, nach Hause zu fahren, um mich umzuziehen. Jedoch würde das alles viel zu lange dauern. Die Polizeiwache war nur wenige Minuten Fußweg entfernt, weshalb ich diese kleine Auszeit nutze, um nochmal die Details für meine Aussage durchzugehen. Eine Sache hatte sich besonders eingeprägt. Es war dieses Tattoo in seinem Gesicht. Selbst aus der Ferne konnte man es nicht übersehen. Er hatte zwar noch mehr, aber dieses eine stach besonders hervor.

Noch total in Gedanken versunken, stoppte ich direkt vor dem Gebäude der Polizei. Hier herrschte heute reger Verkehr und ich konnte nur hoffen, dass ich nicht lange warten musste. Je schneller dieser Tag ein Ende nehmen würde, desto besser. Ich betrat das Gebäude und meldete mich bei einem Officer am Empfang an. „Guten Tag, Officer. Mein Name ist Savannah Campbell. Ich sollte wegen meiner Aussage zur Schießerei im Park herkommen." Der mürrische, ältere Mann tippte stupide auf seiner Tastatur herum, bis er mir endlich mitteilte, an wen ich mich wenden muss. „Detective Miles. Gehen Sie zum Ende des Flurs und dann das Büro auf der rechten Seite."

„Vielen Dank!" Ich folgte seinen Anweisungen. Als ich dort ankam, stand die Tür zum Büro offen und mein Blick fiel sofort auf den Detective, der scheinbar Akten wälzte. Ein vorsichtiges Klopfen an den Türrahmen, erregte seine Aufmerksamkeit. „Entschuldigen Sie. Ich war gerade in Gedanken. Kommen Sie rein." Er sah freundlich aus, aber auch überarbeitet. Durch meine Arbeit im Krankenhaus, kannte ich mich bestens mit Menschen aus, die vollkommen übermüdet waren. Ich gehörte selbst dazu. „Hallo. Savannah Campbell. Ich bin wegen meiner Aussage zur Schießerei hier. Die im Park." Er musterte mich kurz, ehe er hinter seinem Schreibtisch vortrat. „Ja, richtig. Setzen Sie sich." Ich nahm auf einem Stuhl platz, während Detective Miles sich seinen Block und einen Stift nahm, um sich vor mich an den Tisch zu lehnen. „Sie waren also als Ersthelferin im Park tätig?! Erzählen Sie mir, was Sie beobachtet haben." Ich sammelte mich kurz und erklärte ihm dann den Ablauf.

„Wir hatten unser Sanitätszelt aufgebaut und kurz darauf entschied ich mich, mich unter die Leute zu mischen. Am Anfang schien alles ruhig. Es gab auch keine medizinischen Vorfälle. Dann sah ich eine Gruppe Männer, alle in Schwarz gekleidet, die in den Park liefen. Von der anderen Seite kamen ebenfalls zwei Männer. Plötzlich ertönten mehrere Schüsse. Und dann ging alles ziemlich schnell. Panik brach aus und die Menschen rannten in alle Richtungen. Ein älterer Herr winkte mich zu sich rüber, dessen Frau ich dann behandelt hatte. Als ich gerade Verbandszeug aus dem Rucksack holen wollte, lief einer der Männer Richtung Ausgang." Der Detective nickte stumm vor sich hin und notierte sich jedes meiner Worte.

„Haben Sie den Mann erkennen können?" - ,,Ja! Wie zuvor erwähnt, war er komplett in Schwarz gekleidet. Er hatte braunes bis schwarzes Haar. Über 1,80 m groß und tätowiert. Ich konnte Tattoos an Händen und Hals erkennen. Und ein auffälliges Tattoo auf der linken Gesichtshälfte. Ich kann es nicht genau sagen, aber es wirkte wie eine Rune." Sofort schreckte sein Kopf hoch. Eine Rune im Gesicht? Warten Sie kurz. Ich möchte Ihnen etwas zeigen." Detectives Miles lief zu seinem Computer und gab etwas auf seine Tastatur ein. Dann drehte er den Bildschirm in meine Richtung. „Ist das der Mann, den Sie gesehen haben? Lassen Sie sich Zeit." Mein Blick wanderte über die Bilder, die auf dem Monitor zu sehen waren. Dort waren die Haare anders, aber er war es definitiv. „Ja, das ist er. Hundertprozentig." Erneut erhob er sich von seinem Stuhl und lief schwer atmend auf und ab.

„Fuck!", fluchte er. Ich wusste gar nicht, was los war. „Der Mann, den Sie gesehen haben, ist Cesar Hernandez. Er leitet das mexikanische Drogenkartell. Kein Mann, dem man zu nahe kommen sollte. Wir sind seit einiger Zeit hinter ihm her, nur fehlten uns am Ende die entscheidenden Beweise. Das könnte sich jetzt ändern." Der Detective zog einen Stuhl heran und setzte sich direkt mir gegenüber. „Wären Sie bereit, vor Gericht auszusagen, was Sie gesehen haben?" " Wirklich jeder, der auch nur eine Crime Doku gesehen hat, weiß, dass das nicht gut endet. ,,Welche Konsequenzen hat das für mich? Und bitte verharmlosen Sie es nicht. Dafür bin ich zu intelligent."

,,Zeugenschutz! Wir können bei einem Mann wie Hernandez Nichts dem Zufall überlassen. Er und auch alle, die mit ihm in Verbindung stehen, sind sehr gefährlich." Das kam für mich nicht in Frage. Ich verstand ganz genau, was er mir da sagte, doch ich würde mir ganz sicher nicht mein ganzes Leben von der Justiz diktieren lassen. „Was ist, wenn ich mich dagegen entscheide?" Detective Miles sah mich an, als hätte er meine Frage nicht verstanden. „Warum sollten Sie das tun? Das würde bedeuten, dass Sie zu jeder Zeit in Gefahr sein könnten. Denn er wird bei einer möglichen Verhandlung im Gericht anwesend sein. Das können Sie nicht ernsthaft in Betracht ziehen." Doch das tat ich. So war ich schon immer und werde es wohl auch immer sein. Meine Mutter hat mir gezeigt, wie es ist, von jemandem abhängig zu sein, und ich habe mir geschworen, dass ich es niemals soweit kommen lasse. ,,Da ich Ihre Aussage aufgenommen habe, werden Sie eine Vorladung erhalten. Denken Sie bitte noch einmal darüber nach, ob Zeugenschutz nicht doch die bessere Option ist."

Ich erhob mich von meinem Stuhl, reichte ihm die Hand und verabschiedete mich. Auf dem Heimweg ging ich unser Gespräch immer und immer wieder durch. Was ist, wenn er Recht hatte. Vielleicht sollte ich einmal in meinem Leben den Rat eines anderen Menschen annehmen. Schließlich geht es hier um einen Typen aus dem mexikanischen Drogenkartell. Doch in mir sträubte sich einfach etwas vehement gegen diesen Gedanken. Ich kannte es einfach nicht anders. Ich hatte Riesenprobleme damit, anderen zu vertrauen. Warum sollte ich ausgerechnet jetzt damit anfangen? Die Polizei will ihn in den Knast bringen. Und dafür brauchen sie mich. Der Dank dafür ist, dass ich mein Leben bestimmen lasse? Das wird nicht passieren. Ich will beides. Den Typen in den Knast bringen und genauso meine Freiheit. Und ich werde auch einen Weg finden, wie ich das hinbekomme.

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