Prolog

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Gemeinsam mit zwei meiner Kollegen, bauten wir im Park unser Sanitätszelt auf. Für den jährlichen Chicago Charity Run meldeten wir uns als freiwillige Helfer. Pluspunkte bei der monatlichen Bewertung konnten nie schaden. Ich erwartete eh nicht viel mehr, als ein paar dehydrierte Läufer, die entweder zu wenig tranken, oder ihre läuferischen Fähigkeiten schlicht weg überschätzten. Im 4. Semester habe ich schon ganz anderen Scheiß erlebt. Da komme ich auch mit ein paar leichtsinnigen Läufern klar. Daryl und Simon haben sich richtig darum gerissen, mit mir zusammenzuarbeiten. Beide gehören zu der Sorte Mann, die direkt nen Harten bekommen, wenn sie eine hübsche Frau sehen. Das kannte ich allerdings auch schon von meiner Highschool Zeit in New York. Ich war das hübsche blonde Mädchen, mit dem man unbedingt gesehen werden wollte. Meine Noten waren immer gut und ich war beliebt.

Doch richtige Freunde hatte ich nie. Deswegen fiel es mir auch nicht schwer, New York für mein Studium zu verlassen. Meine Mutter war eine drogenabhängige Frau, die sich von irgendeinem Freier für Drogen ficken ließ. Sie wurde schwanger. Der Typ, also mein Erzeuger wollte das nicht und hat sie natürlich bei der erstbesten Gelegenheit sitzen lassen. Erst wollte meine Mutter abtreiben, was sie aber, wie sie mir mal erzählte, nicht übers Herz brachte. Doch als ich dann zur Welt kam, kümmerte sie sich nicht um mich. Unsere Nachbarin Camilla übernahm dies. Sie war mehr Mutter für mich, als es meine jemals sein würde. Leider verstarb sie vor drei Jahren. Von klein auf auf, hatte sie mir beigebracht, wie wichtig es war, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie brachte mir alles bei. Lernte mich in der Welt durchzusetzen. Schon früh ging ich neben der Schule arbeiten, damit ich mich irgendwie selbst versorgen konnte. 

Da ich ziemlich gut in der Schule war, bekam ich sogar ein Stipendium. Seitdem hab ich meine Mutter nicht mehr gesehen. Keine Ahnung, ob sie überhaupt noch lebt. Als ich damals von Camilla's Krebserkrankung erfahren hatte, stand für mich fest, dass ich Medizin studieren werde. Und diesen Traum verwirklichte ich mir. Doch auch jetzt sehen die Menschen immer nur das blonde Mädchen und drücken mir einen Stempel auf. In ihren Augen bin ich hübsch anzusehen. Das wars dann aber auch schon. Die Realität sieht aber anders aus, denn ich weiß was ich kann und ich lasse mir ungern reinreden. Ich bin die beste in meinem Jahrgang und die einzige aus meiner Familie, die je das College besuchte.  Daryl und Simon hingegen kamen aus einer dieser versnobbten, reichen Familien, die ihnen mit ihrem Geld alle Türen öffneten. 

Wir wurden gerade rechtzeitig zum Start fertig und ich hatte keine Lust ,die ganze Zeit bei den beiden im Zelt zu hocken. "Sie ist richtig versaut. Wir sollten es versuchen", sagte Simon zu Daryl. Wenn sie glaubten ich würde sie nicht hören, waren sie noch dümmer, als ich dachte. Niemals würde ich einen Dreier mit den beiden schieben. Da geh ich lieber ins Kloster. Ich entschied mich also kurzerhand den Notfallrucksack zu nehmen und meine Runden durch den Park zu drehen. "Ich sehe mal nach, ob alles ruhig ist. Bin gleich zurück." Sie tuschelten weiter und nickten mir nur zu.

Bisher schien alles gut zu laufen. Einige Läufer die an mir vorbeikamen, wies ich darauf hin, sich doch am Wasserstand etwas zu trinken zu holen. Schließlich gab die Sonne heute ihr Bestes. Der Park war nicht riesig, doch bis man erstmal eine Runde beendet hatte, dauerte es schon eine Weile. Ich beobachtete aufmerksam das Geschehen, als ich zu meiner linken etwas seltsames bemerkte. Eine Gruppe dunkel gekleideter Männer rannte durch die Menschenmenge, als ich nun auch von rechts zwei weitere Männer erkannte. Plötzlich ging alles schnell und Schüsse fielen. Die Menschen rannten in panisch in alle Richtungen, während ich versuchte mir einen Überblick zu verschaffen. Ein älterer Mann, der auf dem Boden kniete, winkte mich zu sich rüber. "Sir, ist alles in Ordnung? Sind Sie verletzt?

"Mir geht es gut, aber meine Frau Pauline. Sie blutet." Ich sah an ihm vorbei und erkannte, dass sie eine Wunde im Oberschenkel hatte. "Sie müssen jetzt genau tun, was ich sage. Legen Sie sich flach auf den Boden. Ich werde mich um Ihre Frau kümmern. Es ist keine schlimme Verletzung.", versicherte ich ihm. So lang die Männer noch hier rumliefen, konnte ich niemanden in meiner direkten Nähe aus dem Park schicken. "Pauline, ich bin Savannah. Ich bin angehende Ärztin. Ich weiß, Sie haben starke Schmerzen und ich gebe mein Bestes, dass sie so schnell wie möglich in ein Krankenhaus gebracht werden." Das war nicht meine erste Schusswunde und ich ging routiniert vor. Ich musste ihr Bein abbinden, um die Blutung zu stoppen. Als ich Verbandsmaterial aus dem Rucksack nahm, sah ich einen der Männer, der aus dem Park lief. Da ich in der Vergangenheit schon Aussagen bei der Polizei machen musste, prägte ich mir die auffälligsten Dinge schnell ein. Zu meinem Glück, hatte er uns nicht gesehen und ich konnte mich weiter um die ältere Dame kümmern. Als ich sie soweit verbunden hatte, kamen auch schon ein paar Polizisten auf mich zugelaufen. "Mam, benötigen Sie Hilfe?" - "Wir brauchen einen Krankenwagen. Sie ist soweit stabil. Schusswunde im Oberschenkel." Noch immer lag ihr Mann auf dem Boden. "Sir? Es ist alles okay. Sie können zu Ihrer Frau. Wir warten auf den Krankenwagen, der Sie dann beide ins Krankenhaus bringt." 

"Wie kann ich Ihnen nur danken?" Der arme Mann war voller Sorge. Das war etwas, was mich in meinem Job immer wieder bewegte. "Passen Sie gut auf sich und Ihre Frau auf. Das reicht mir vollkommen." Kurz darauf kam auch schon der Krankenwagen und ich übergab die Patientin mit allen nötigen Informationen an die Sanitäter. Als ich alles zusammenpacken wollte, kam der Officer erneut auf mich zu. "Wir benötigen noch Ihre Aussage." 

Was diese Aussage allerdings anrichten würde, wurde mir erst klar, als es zu spät war...



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