4 | Der Mann auf dem Bild

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Meine erste Schicht lief bisher ganz gut. Ich hatte wirklich viel zu tun und die meisten waren sogar echt nett zu mir. Ein paar Idioten gab es immer, aber wenn sie eben ihre Drinks wollten, mussten sie nach Jack's Regeln spielen. Es war mittlerweile fünf Uhr und so langsam leerte sich die Bar. Jack hatte ich den ganzen Abend nicht gesehen und ich hoffte wirklich, dass er mit meiner Arbeit zufrieden war. Ich muss nur noch warten, bis auch die letzten Typen verschwinden, und kann mich dann ans Aufräumen machen. „Kommt Jungs, lasst uns abhauen.", hörte ich, wie einer der Männer den anderen zurief.

Allesamt erhoben sich und liefen an mir vorbei zum Ausgang. Ich hatte es offiziell geschafft. Meine erste Schicht ohne Zwischenfälle. Wenn das mal keine gute Voraussetzung ist, um den Job zu behalten. Jack meinte, dass er um sechs Uhr hier sein würde, um abzuschließen. Ich hatte also noch eine Stunde, um hier aufzuräumen. Ich fing bei den Tischen an. Räumte alle Gläser und Aschenbecher weg, als ich hörte, wie die Tür sich öffnete. „Wir haben geschlossen!", rief ich rüber in der Annahme, dass wer auch immer es war, gehen würde. Doch ich irrte mich. „Ich denke nicht.", ertönte diese dunkle männliche Stimme. Ich hörte auf, die Tische abzuräumen, und drehte mich um. In dem schummrigen Licht erkannte ich nur eine dunkel gekleidete Silhouette. Groß und definitiv nicht so leicht zu übersehen. Dann trat er einen Schritt nach vorn und sein Gesicht kam mir so bekannt vor. Mir wollte aber einfach nicht einfallen.

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber die letzten Gäste sind weg und ich räume schon ab. Das Jack's öffnet heute Abend wieder. Versuch es doch dann nochmal." Doch statt meinen Worten zu folgen, kam er noch näher. „Wie ist dein Name?", musterte er mich. "Sky."

,,Also schön, Sky. Du bist neu und kannst das nicht wissen. Darüber sehe ich heute mal hinweg. Doch wenn ich das nächste Mal hier reinkomme, hältst du deine Klappe und schenkst mir einen Whiskey ein. Ist das angekommen?" Keine Ahnung, wer er ist, oder wer er glaubt zu sein. Aber dachte er wirklich, dass mich das jetzt einschüchtern würde?

,,Natürlich. Am besten mach ich dir dann auch gleich noch ein Sandwich und gebe dir eine Massage", lachte ich auf seine Warnung hin. "Ich habe Anweisungen von Jack, meinem Chef, die ich befolge. Von niemand anderem. Ist das bei dir angekommen?" Ich wartete gar nicht auf eine Antwort und wandte mich von ihm ab um weiterzumachen. Er packte mein Handgelenk und zog mich mit einem Ruck an sich. ,,Du gehst jetzt hinter die Bar und schenkst mir einen Whiskey ein. Und wenn ich weg bin, fragst du Jack, wer ich bin. Dann überlegst du dir, ob du dich wirklich mit mir anlegen willst."

Er gehört zu den Typen, die denken ein paar drohende Worte, und seine Erscheinung macht mir Angst. Zu dumm, dass ich schon zuviel in meinem Leben erlebt hatte. Angst kannte ich kaum noch. Ich ging hinter die Bar, nahm eine Flasche Whiskey aus dem Regal und stellte sie mit einem Glas auf die Theke. „Wenn dir der Service hier nicht gefällt, dann bitte. Mach es doch selbst." Auf meine Worte hin bildete sich ein düsteres Grinsen auf seinen Lippen. ,,Du bist mutig. Aber ebenso naiv. Das sollte dir jemand schnell austreiben."

..Hör zu. Wenn du ein Problem hast, dann kläre es mit Jack. Er müsste bald hier sein. Ansonsten, verschwinde einfach und lass mich meine Arbeit machen." Mittlerweile nervte er mich nur noch. Sein Blick lag auf meinem. Seine Augen dunkel wie die Nacht. Seine Spielchen reichten mir. Ich ging zur Tür und hielt sie ihm auf. ,,Ich denke, wir sind hier fertig. Vorerst!", erhob er sich von seinem Hocker und kam auf mich zu. Er blieb direkt vor mir stehen und hob mein Kinn an. Sein Duft stieg mir sofort in die Nase. Ein Mix aus Sandelholz und Muskat. „Ich habe keine Angst vor dir.", sagte ich in einem frechen Ton. ,,Das solltest du aber. Wir sehen uns schon bald wieder." Dann verließ er die Bar.

Ich atmete tief durch. Zumindest konnte ich nicht behaupten, dass mir hier langweilig werden würde. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, bis Jack hier ist, also musste ich mich etwas beeilen. Als ich zurück zu einem der Tische lief, fiel mir plötzlich ein, woher ich sein Gesicht kannte. Er ist einer der Typen auf dem Bild, was zwischen all den anderen herausstach. Ich werde Jack fragen, wer das ist.

Ich beeilte mich. Stellte die letzten Stühle hoch und polierte noch die Gläser, als Jack endlich hereinkam.

„Schon fertig?! Und die Bar steht auch noch. Ich bin beeindruckt. Du scheinst alles im Griff zu haben. Wie lief es?", fragte er mich, als er vor mir Platz nahm. ,,Es lief super. Idioten hast du immer, aber die waren wirklich kein Problem für mich." Ich schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln. ,,Dann kann ich davon ausgehen, dass du bleibst? Ich jedenfalls würde mich freuen. Eine Mitarbeiterin wie dich hatte ich noch nicht und ich denke, auch wenn ich mal nicht da bin, kannst du den Laden alleine schmeißen." Ich war mehr als froh über seine Worte und wollte diesen Job unbedingt. „Dann sind wir wohl im Geschäft, Boss!" Ich nahm zwei Gläser und befüllte sie mit dem Whiskey, der noch auf der Theke stand. Ein Glas schob ich zu Jack rüber. „Auf gute Zusammenarbeit." Jack nickte mir zu und leerte sein Glas in einem Zug.

,,Ich habe noch eine Frage. Bevor du aufgetaucht bist, war so ein Typ hier, der sich total aufgespielt hat. Du hast da drüben an der Wand ein Bild von ihm und drei weiteren Typen hängen. Der ganz links. Wer ist das?" Augenblicklich hielt er inne und schluckte schwer. Sein Blick fiel zu dem Bild an der Wand. Er ging ein paar Schritte darauf hinzu und nahm es von der Wand, um es vor mir auf die Theke zu legen. ,,Das hier links ist Cruz Salvador. Neben ihm seine besten Freunde Cameron Luciano, Mateo Russo und Damian Caruso." Wieder fixierte er meinen Blick mit seinem.

,,Cruz. Er war hier. Ich habe ihm gesagt, dass wir geschlossen haben. Das passte ihm nicht. Er dachte wohl, seine Aufmachung mit seinem Anzug und so, macht mir Angst. Fehlanzeige. Es kann sein, dass er mit dir sprechen will.", warnte ich Jack vor. "Okay! Beim nächsten Mal gib ihm einfach seinen Whiskey. Danach verschwindet er wieder. Ihm und seinen Freunden gehören neben einem Club noch andere Geschäfte und manchmal kommen sie auf einen Absacker hierher." Irgendetwas an Jack's Erklärung machte mich stutzig. Ich wollte aber nicht weiter nachhaken. Schließlich hatte ich den Job gerade erst bekommen. Irgendwie finde ich schon heraus, was da im Busch ist.

"Weißt du was? Fahr ruhig nach Hause. Ich spül den Rest weg und schließe dann ab. Heute Abend brauche ich dich um sechs." Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich warf ihm über die Theke hinweg das Handtuch zu und schnappte mir meine Tasche. „Dann bis heute Abend, Jack."

Ich wollte gerade zur Tür raus, um mir einen Uber zu bestellen, als Jack meinen Namen rief. „Sky!", ich ging zurück und schaute ihn fragend an. „Du hast dein Trinkgeld vergessen." Und hielt mir das randvoll mit Scheinen gefüllte Glas hin. ,,Oh, ja. Danke." Schnell entnahm ich das Geld aus dem Glas und stopfte es in meine Tasche. „Jetzt aber wirklich bis heute Abend. Bye."

Mittlerweile war Ruhe auf den Straßen eingekehrt und auch die Sonne ging bald auf. Ich konnte also in Ruhe auf ein Uber warten. Nachts allein als Frau in Harlem auf ein Uber zu warten, ist nämlich nicht die beste Idee. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und schrieb dem Typen vom Vorabend, dass ich eine Fahrt zurück zum Motel brauche. Ich wartete vor der Bar auf eine Antwort. "Braucht da jemand etwa eine Mitfahrgelegenheit?" Wieder diese Stimme. ,,Was willst du jetzt schon wieder? Jack ist in der Bar. Geh doch ihm auf die Nerven." Mit langsamen Schritten kam er näher. ,,Was macht dich so sicher, dass ich wegen dir hier bin?" Ein amüsiertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. ,,Was macht dich so sicher, dass ich das denke? Ganz bestimmt nicht. Ich steh nicht auf Clubbesitzer, die morgens vor einer Bar im Schatten Frauen auflauern." Offensichtlich davon überrascht, dass ich mittlerweile wusste, wer er war, zog er eine Augenbraue hoch. ,,Ja, ich weiß, wer du bist. Du würdest mir also einen Riesengefallen tun, wenn du dich außerhalb der Bar von mir fern hältst."

Meinst du nicht, dass dir deine große Klappe noch zum Verhängnis werden wird? Ich weiß auch genau, wer du bist, Savannah Campbell!" Mir gefriert das Blut in den Adern. „Schon interessant, was so ein Clubbesitzer alles in der kurzen Zeit herausfinden kann, oder?" Wenn er wusste, wer ich bin...wer wusste es dann noch? Ich entschied mich nicht länger, zu warten, und entfernte mich von ihm. „Du weißt gar nichts über mich!", blaffte ich ihn an. ,,Dann finden wir das doch einfach heraus. Wir werden uns schon bald wiedersehen, Savannah." 

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