𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 55

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Dag sah auf sein Handy, als eine Nachricht eintraf. Es war Vincent, der ihn fragte, wo er blieb.

Nachdem er ihn darüber unterrichtet hatte, war es für seinen besten Freund keine Frage der Zeit. Er hatte sich sofort ebenso auf den Weg nach Hamburg gemacht, um Dag beizustehen.

Statt zurückzuschreiben, schaute er sich um und erkannte den Großen auch auf Anhieb, der sein Blick aufs Handy gerichtet hatte. »Hey. Vinne.« , rief Dag und kam ihm auf der Straße entgegen.

Vincent sah auf. »Wo ist ... Jona?«

»In Längenfeld.«

»Sie wollte nicht mit?« , fragte er. »Aber ... es ist doch ihr Fall.«

»Ja, aber ... sie weiß nicht alles. Ich ... ich habe ihr eine Nachricht hinterlassen, das ich den Rest noch schnell zu Ende bringe und dann halt ...« Er machte eine Pause. »Wir haben miteinander geschlafen.«

Vincent sah ihn keineswegs überrascht an. »Okay.«

»Du ... wirkst nicht gerade ...«

»Es war vorhersehbar, das du deine Python nicht in der Hose lassen kannst.«

»Hey.« Dag blieb stehen, nachdem sie einige Schritte getätigt hatten. »Mir ist das wirklich ernst mit ihr. Sie ist ... wow. Sie ist ... ich ... ich glaub'... ich ... ich hab' mich verliebt.«

»Und sie?«

Er nickte. »Ich bin mir sicher, das sie dasselbe empfindet.«

»Ihr habt nicht geredet.«

»Dazu sind wir noch nicht gekommen.«

»Na ja fürs Reinstecken war die Zeit ja auch da. Wäre es nicht vorrangiger gewesen, erst einmal mit ihr zu reden? Oder wie kam es zum Sex? Seid ihr nackt aufeinandergefallen und Schwupps war deine Flöte verschwunden?«

»Nein, wir ... da war ... dieser Moment.«

»Dag, ich weiß, wie es geschieht. Ich meinte es rein metamorphisch.«

»Meta- was?«

»Ja ... hypothetisch.«

»Metaphorisch?!«

»Sagte ich doch.«

Dag schmunzelte und beließ es dabei. »Ich weiß, was ich fühle und ihre Art, wie sie mit mir ... ich irre mich nicht.«

»Du hast ihr eine Nachricht hinterlassen?«

»Ja genau.«

»Du bist einfach abgehauen?« , fragte er weiter.

»Nein. Also ... ja, aber ... ich hab' eine Nachricht hinterlassen.«

»Du hättest es ihr doch ...«

»Nein.« , unterbrach er Vincent. »Jona weiß nichts von dem Buch und ich will das einfach nur für mich abhaken, und so, das sie auch nicht weiter in diesem Arbeitsverhältnis mit mir steht. Ende der Geschichte. Zeit für einen neuen Schmöker.«

»Okay. Dann ... hoffen wir mal das Beste.«

Dag nickte und blieb stumm neben Vincent. Mit den Händen in den Hosentaschen und Blick gen Bürgersteig, dachte er nach.

Er hoffte ebenso auf das Beste, weil er tatsächlich nicht auf Jona verzichten wollte. Doch seine Beklemmung wuchs Schritt für Schritt mehr an. Die Panik, was er erfahren würde. Die Angst, nicht gut für die Frau zu sein, die er zurückgelassen hatte, und die sich bisher nicht bei ihm gemeldet hatte. Was ihn ebenso beschäftigte.

Vielleicht war sie sauer, weil er es alleine durchzog.

Vincents Satz von vorhin hatte ihn nun darauf gebracht, da dieser davon ausgegangen war, sie würde mitanwesend sein.

Konnte es möglich sein, dass sie es als ihre Pflicht ansah, Élaine zu finden?

Er holte sein Handy hervor und sah drauf.

Sollte er sich melden? In kurzen Sätzen erklären, dass er dies halt alleine zu Ende bringen musste?

Aber sie war Ermittlerin. Sie würde sich mit mal eben kurz gar nicht zufriedengeben. Er hatte schon Muffensausen, wenn er an das Gespräch mit ihr dachte, welches anstehen würde.

Entweder in dem Sinne, dass er es beenden musste, eh es starten konnte, oder halt ... die Wahrheit über alles.

Beides war unangenehm und erstes mit Schmerz verbunden, aber er gab kein Drumherum. Das Buch musste enden. Die Kapitel mit Élaine waren Vergangenheit.

»Das ist die Adresse oder nicht?« , fragte Vincent und sah auf das Haus mit den efeubesetzten Wänden.

Dag sah auf die Hausnummer und nickte. »Denkst du ... sie wird auch dabei sein?«

»Kann gut möglich sein.«

Der Lockenkopf sah auf die Türe und bewegte sich nicht. Er hatte ein seltsames Gefühl. Wie viel Jahre hatte er Élaine jetzt insgesamt nicht mehr gesehen? Würde er sie wiedererkennen? Er hatte sich ja auch verändert im Gegensatz zu damals. Würde sie ihm gegenüber eher ... feindlich reagieren, oder ...?

Dag wollte keinen Krach mit ihr. Er strebte ein gutes Ende an. Er wollte einfach nur noch positiv in die Zukunft schauen. Eine, die hoffentlich mit Jona sein würde.

Er schloss kurz die Augen. Er musste zukunftsgläubig denken.

Jetzt gleich würde sich endlich alles aufklären und er würde wissen, ob er das Problem war und eventuell auch für Jona sein würde, oder ... ob es etwas vollkommen anderes war, was Élaine dazu getrieben hatte, ihn ohne eine Erklärung abzuservieren.

»Sollen wir?« Vincent hatte mit Absicht gewartet, bis sein bester Freund sich ein wenig gesammelt hatte.

Dag nickte mau. »Ja. Ich bin bereit.«

Gemeinsam gingen sie zur Türe und der Größere der beiden betätigte die Klingel, die einen melodischen Klang besaß.

Schritte näherten sich und eine Frau mit leicht gräulichen Strähnen in ihrem dunklen Haar, öffnete die Türe. Ihr Blick fiel sofort zu Dag, den sie anlächelte. »Hallo Dag.« , sagte sie. »Ich darf dich doch ... duzen?«

»Ehm ... natürlich ... klar.«

Sie sah zu Vincent. »Ich bin Margarete.«

»Vincent.« , stellte er sich kurz und knapp vor.

»Ja, das habe ich mir bereits gedacht.« Sie trat beiseite. »Kommt doch rein.«

Die zwei gingen nacheinander ins Innere und folgten Margarete, wer auch immer sie war, den Flur entlang. Dag blieb jedoch nach einigen Schritten stehen und sah auf ein Bild an der Wand, wo jene Frau jünger zu sein schien. Neben ihr befand sich eindeutig Élaine. Sie lächelte in die Kamera, war dessen ungeachtet sehr schmal und ... irgendwas an dem Bild machte ihm angst. »Wird ... wird Élaine auch ... kommen?« , fragte er.

»Nein.« , antwortete sie und zeigte in einen Raum hinein. »Setzt euch doch. Dann ... beantworte ich alles, was ihr wissen wollt.«

Mein Leben ist nicht wie ein Film, es ist wie ein BuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt