𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 40

39 14 0
                                    

Ich hatte keine Ahnung, wo Dain mich hinführte. Wir fuhren zu einem Stadtteil, den ich nicht kannte, beziehungsweise, ich war noch nie dort gewesen, aber dieser lag nicht weit von seiner Wohnung entfernt.

Wir stiegen aus dem Bus aus und gingen die Straße entlang. Ich ertappte mich tatsächlich dabei, ihn aus dem Seitenwinkel heraus zu beobachten. Er rauchte, was nichts Neues war, denn irgendwie hatte er immer einen Glimmstängel zwischen den Lippen. Meine Augen waren auf seinen Mund ausgerichtet. Er hatte einen richtig schönen. Die Form, die Fülle, und ... mit seiner Zunge befeuchtete er seine Lippen, eh er in meine Richtung blickte. »Es ist nur noch die Ecke rum.« , meinte er und ich bemerkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.

Hatte ich mich ertappt gefühlt?

Aber ich hatte in der Tat nichts Schlimmes getan. Ich hatte ihn lediglich beobachtet ... mehr nicht.

Und doch fragte ich mich in dem Moment, wie er küsste, und bemerkte auf Anhieb, dieses Gefühl in meiner Magengegend.

»Wohin gehen wir?« , wollte ich wissen, um meine Neugier zu befriedigen und mich gleichzeitig auch abzulenken.

Dain zeigte auf ein verfallenes Haus. »Geisterjagd.«

»Was?«

»Hast du das nie getan?«

»Ehm ... nein. Natürlich nicht.«

»Gut.« Er reichte mir seine Hand, auf die ich nur sah.

»Du willst da rein?« , fragte ich und betrachtete die Tür, die mit Brettern zugenagelt wurde.

Er nahm seine Hand zurück und nickte. »Nur ein kleiner Rundgang.«

»Dain, da steht Zutritt verboten.«

»Und?«

»Und?!« , wiederholte ich sein Wort. »Man darf da nicht rein.«

»Komm mal aus deiner Komfortzone, Elea.« Er lächelte mich an und legte den Kopf schräg, als es leicht zu regnen begann.

Ich musste an mein Elternhaus denken. An Samuel. An mein Leben.

Hatte Dain Recht?

Nein. Ich hatte mich schließlich aus freien Stücken bereits teilweise befreit. Es war mein Wille gewesen, die Beziehung mit Samuel zu beenden. Ich war längst aus der Komfortzone herausgebrochen.

Allerdings ...

Ich kam mir vor, wie bei einer Mutprobe.

Wieso sollte ich es also nicht wagen? Ich war kein Feigling. »Okay.« , sprach ich.

Dain lächelte. »Gut. Komm mit.« Wir umrundeten das Haus und er kletterte zuerst über die Brüstung eines Balkons im Erdgeschoss.

»Witzig.« , sagte ich. »Wie soll ich denn rüberkommen?«

Er hielt seine Arme nach unten. »Ich zieh' dich rauf.«

Nach ein wenig Überlegung griff ich zu und versuchte, mich mit den Beinen nach oben fortzubewegen, während er mich mit Kraft festhielt.

Mein rechtes Bein ging über die Brüstung und ich merkte, das ich bestimmt einen blauen Fleck bekommen würde. Dain half mir allerdings weiterhin und ließ mich erst los, als ich mit beiden Füßen neben ihm stand. »Müssen wir auch hier wieder raus?« , fragte ich ihn und wollte mir nicht anmerken lassen, wie anstrengend es für mich war, weshalb ich eilig sprach, damit er meine schnelle Atmung nicht bemerkte.

»Die Türen sind alle zu.« , gab er an und kletterte durch einen Spalt, der bei der Balkontüre frei war, weil ein Holzbrett fehlte und anscheinend das Glas dahinter.

Ich sah mich nochmals um, entdeckte einen Mann am Fenster des anderen Hauses, dachte mir nichts dabei und folgte Dain im weiteren Verlauf.

Wie schon davor, half er mir, auf die Weise, dass er seine Hand zuvorkommend hinhielt, als ich in gebückter Haltung hineinkletterte. »Hier ist es dunkel.« , bemerkte ich.

»Hat wohl jemand die Stromrechnung nicht bezahlt.« , scherzte er.

Es war nicht witzig, dennoch ... musste ich lachen. Vielleicht war es auch meine Angst, die ich damit überspielte, denn es war tatsächlich düster im Inneren. Bereitwillig nahm ich also seine Hand, als er sie mir abermals hinhielt. Zusätzlich hielt ich mich an seinem Oberarm fest. »Und was wollen wir hier?« , fragte ich und erschrak mich vor einem Schatten, der die Silhouette eines Menschen hatte.

»Nur eine Runde gehen.«

»Und was soll das beweisen.«

Er blieb stehen und sah mich an. »Was spürst du?«

»Was meinst du?«

»Hier.« Er berührte meinen Oberbauch und ich bekam eine Gänsehaut. Wie eine kleine Hitzewelle bemerkte ich, die Hitze bis zu meinen Ohren steigen ... und dann sah er mir auch noch in die Augen, und ... benetzte abermals seine Lippen. Wieso tat er das so oft?

Ich nickte, obwohl ich nicht genau wusste, was er meinte. »Ja.« , wollte ich laut sagen, aber irgendwie kam es ... leicht stöhnend in einem Flüsterton über meine Lippen, was mir selbstverständlich mehr als peinlich gewesen war.

Dain registrierte dies anscheinend und seine Mundwinkel hoben sich an ... plus wiederholtem Lippen anlecken.

Ich konnte nicht anders, als draufschauen, doch urplötzlich ertönte ein lautes Gepolter, gefolgt von Schritten und einer Taschenlampe, die aus dem Gang seitlich von uns schien.

»Fuck.« , sagte Dain und nahm mich wieder an die Hand, wo er mich den Weg zurück manövrierte.

Ich hatte Panik. Richtige Panik. Mein Herz pochte wie wild und er ließ mich zuerst auf den Balkon zurückhuschen, eh er mir folgte und nach draußen sah.

Es regnete mittlerweile mehr. »Das sind die Bullen.« , sagte er und meine Augen wurden riesengroß. Ich sah schon meine Eltern vor mir, wie sie mich bestrafen würden, aufgrund des ... Einbruchs. Es war doch ein Einbruch, oder nicht? »Elea, ich spring' jetzt runter. Du musst mir danach vertrauen. Kletter' rüber und lass dich fallen. Ich fang dich auf.«

Ich nickte und er kletterte auch sofort los und landete anschließend auf dem Boden. Ich sah zu ihm runter. Die Brüstung war nass und ich hatte Angst auszurutschen, als aus dem Raum zusätzlich ein Klopfen kam und im Folgenden ein Mann durch die Lücke sah und mich anblickte. »Sie sind unbefugt ...« , begann er und ich ließ mich fallen.

Dain fing mich tatsächlich auf, obwohl ich Angst hatte, er würde es nicht hinbekommen, weil ich ohne Vorwarnung gesprungen war. Irgendwie musste ich automatisch lachen. Es sprudelte aus mir heraus und er sah mich erst verwirrt an, eh er Mitlachte und mich fragte, ob alles okay wäre.

Ich nickte, während der Polizist von oben rief, wir sollten stehenbleiben.

Was wir selbstverständlich nicht taten. Dain nahm mich abermals an die Hand und lief mit mir davon.

Mein Leben ist nicht wie ein Film, es ist wie ein BuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt