𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 56

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Dag sah sich in dem Zimmer um, während Margarete beiden etwas Trinkbares einschüttete und sich anschließend in den passenden Samtsessel in Grün setzte.

Er hatte bereits nervös die Couch, auf welcher er sich mit Vincent befand, befummelt und undefinierbare Muster mit dem Finger reingemalt, bis sein Bester seine Hand auf dessen gelegt hatte und ihn damit etwas Beruhigung sendete.

»Sie ... Sie sind also Johanna Wild?« , fragte Dag, weil er eins und eins zusammengerechnet hatte.

Margarete nickte. »Ja. Mein Künstlername.«

»Sie ...«

»Dag, ich habe ein Buch verfasst, in dem du ein wichtiger Bestandteil bist. Ich habe eh das Gefühl, das ich dich kenne, aber ... du mich nicht, deswegen ... sollte ich mich erst einmal besser vorstellen.«

»Ja. Natürlich.«

»Hier ... lebe ich schon immer. Élaine hat ... mit ihren Eltern nebenan gewohnt. Sie sind Ende 2004 hergezogen.«

Dag bemerkte die Vergangenheitsform auf Anhieb. Demzufolge war sie anscheinend wieder weggezogen. Das erklärte auch der Umstand, weshalb sie nicht hier war.

Dennoch fragte er sich, ob sie Bescheid wusste, dass er momentan hier saß.

»Die Familie hat sehr darauf geachtet, unter sich zu sein. Mir kam es damals schon seltsam vor, aber ... wie Menschen so sind, möchte man meist auch nicht zu sehr in der Privatsphäre anderer Personen herumschnüffeln.« , sprach sie weiter. »Doch unsere Gärten grenzten aneinander. Und ... wie das Schicksal es so wollte, bekam ich einen Krach mit. Élaine hatte sich mit ihrer Mutter gestritten. Eigentlich belauscht man niemanden, aber die ... die Worte dieser jungen Frau hatten mich berührt, weshalb ich ... geblieben bin. Ich wartete, bis ihre Mutter wieder ins Haus ging und fragte anschließend, ob bei ihr alles okay wäre. Sie weinte umso mehr. Ich kletterte über den Zaun und ... nahm sie in den Arm. Ich weiß nicht, wieso ich es getan habe, aber ... ich spürte sofort, wie viel sie in sich trug und mit sich herumschleppte. Sie hörte kaum auf zu weinen.«

Dag fühlte sich schlecht, zu wissen, dass es ihr doch nicht so gutging, wie er gedacht hatte.

»Das war nett von Ihnen.« , sprach Vincent.

»Sie hatte es nötig gehabt. Danach trafen wir uns heimlich. Ihre Eltern wollten nicht, dass sie großartigen Kontakt zu anderen hatte.«

»Das war aber nicht immer so.« , meinte Dag.

»Ich weiß. Sie hat mir alles erzählt.«

»Ja, das ... habe ich gemerkt, anhand des Buches.«

»Es hat lange gedauert, bis es in deine Finger gerutscht ist.« , sagte sie und lächelte. »Wie kam es dazu, und ... hast du es direkt bemerkt?«

»Es war Zufall. Ich war ... Ich hab bei einem Umzug geholfen. Das Buch habe ich wahllos in die Hände genommen und ... ja, es kam mir alles eindeutig bekannt vor.«

»Dies ohne dein Mitwissen zu kreieren war für mich nicht sehr leicht, aber ... Élaine hatte es gewollt.« , sagte sie. »Wir kamen eines Abends auf die Idee. Mittlerweile wussten ihre Eltern, das sie sich mit mir traf und das ich auch ... über alles Bescheid wusste. Diese Geheimhaltung ... einfach alles. Ich hatte ihnen eine Standpauke gehalten, dass dies kein Leben für Élaine war und das sie Freude und Freunde benötigte.«

»Ich wusste es.« , kam aus Dag geschossen. »War es wegen mir? Haben sie Élaine von mir ferngehalten?«

Margarete legte den Kopf schräg. »Hast du ... das Buch gelesen?«

»Nicht alles.«

»Es war nicht wegen dir.«

»Aber es war deren Entscheidung und nicht ... Élaines?«

»Jein. Élaine war ... einverstanden gewesen. Sie ... wollte dich schützen. Dir ein ... Leben ohne Sorgen ...«

»Bin ich Vater?« , schnellten seine Worte wie gehabt aus ihm heraus.

»Nein Dag. Élaine war nicht schwanger gewesen.«

»Aber ... warum diese Flucht? Und ... wieso diese vielen Umzüge und wo ist sie jetzt? Warum dieses Buch, und ...«

»Sie wollte eine Erinnerung. Etwas, was ich ihr zum Ende hin immer vorlesen konnte, mit der Hoffnung, sich zu erinnern. Erst sollte es nur für sie sein, bis sie sich entschied, dass es ... herausgebracht werden sollte. Ich glaube, sie hatte irgendwie die Zuversichtlichkeit gehabt, dass es dich mal erreichen würde.«

Dag bekam eine Gänsehaut und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Sich erinnern? Zum ... Ende hin?«

Margarete machte eine minimale Pause. »Élaine ist ... am 28. Juli 2007 von uns gegangen.«

»Was?« Er starrte sie fassungslos an und schüttelte den Kopf. »Nein.«

Sie streckte ihre Hand nach seiner aus und schaute ihn mitfühlend an. »Doch. Es ... es tut mir wirklich leid. Sie war sehr krank.«

»Nein. Sie war nicht krank. Sie ...« Er stand auf. »Soll das ein Witz sein? Will sie mich einfach nur nicht sehen und hat sich diesen Schwachsinn ausgedacht?«

»Dag.« , mischte Vincent mit. »Setz dich hin. Lass sie ausreden.«

»Nein. Sie ist nicht tot.« Er wurde laut. »Sie ist nicht tot. Sie kann nicht tot sein.«

»Dag, ich verstehe, wie du dich fühlen magst. Mir ist Élaine auch sehr ans Herz gewachsen.« Margarete blieb ruhig, als sie sprach.

»Nein. Das können Sie verfickt nochmal nicht verstehen.« Seine Tonlage verblieb. »Wieso steht das nicht im Buch?«

Sie stand auf. »Die Geschichte wurde geschrieben, als sie noch lebte, und da wollte sie nichts von der Diagnose drin haben. Einzig ihren Besuch beim Arzt.« Aus einem Bücherschrank holte sie genau jenes heraus und blätterte zu der tatsächlichen letzten Seite, welche sie Dag präsentierte. Sie erschien nach den Epilog und einigen Büchervorschlägen.

Er nahm es in die Hand und las es für sich.


~ Du warst meine große Liebe und wirst es immer sein. Ich jedoch, werde irgendwann nur eine Erinnerung für dich sein und du wirst eine neue Liebe finden, die ich dir mehr als nur vom Herzen gönne. Mein Leben ist vorbei. Deines liegt im Gegensatz dazu noch vor dir. Ich danke dir, für die schöne Zeit, die ich mit dir hatte und ich entschuldige mich dafür, dir nie die Wahrheit gesagt zu haben.

Ich hoffe, du wirst mir irgendwann, falls du es je erfahren wirst, verzeihen können. Auch wenn ich dann schon lange nicht mehr unter den Lebenden weile.

Meine Absicht war, dass du ein Leben hast, ohne meine Last zu tragen. Ich wusste, dass du es nicht zugelassen hättest mich alleine zu lassen. Doch du hattest noch so viel vor. Ich hoffe, du hast deine Träume und Wünsche realisieren können.

Du warst das Beste in meinem Leben und genau so jemanden wünsche ich mir auch für dich. Ein Mensch, der dich an die Hand nimmt. Der für dich da ist. Der eine Zukunft mit dir haben wird. Der dich so liebt, wie ich dich liebe.

Vergiss bitte niemals, was für ein wunderbarer Mensch du bist, und das du ... mich für eine Zeitlang aus meinem eintönigen Leben befreien konntest und mir damit, die schönste Zeit in meinem kurzen Dasein geschenkt hast. Dafür danke ich dir. 

In Liebe, Élaine. ~

Mein Leben ist nicht wie ein Film, es ist wie ein BuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt