𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 57

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Dag ließ das Buch zu Boden fallen und sackte heulend zusammen. Er hatte keine Kontrolle darüber.

Die ganze Zeit über dachte er, sie hätte ihn eiskalt verlassen, dabei ... hat sie gelitten, ihn vermisst ... und war gestorben.

Er war nicht mal auf ihrer Beerdigung gewesen, geschweige denn, dass er wusste, wo sie lag. Er wusste nichts. Wie ein Fremder.

»Hey. Hey.« , hörte er Vincent sagen, der vor ihm kniete. »Du hast es doch nicht gewusst.«

»Ja, genau. Sie hat mich nicht eingeweiht. Ich hab' sie gehasst, dabei hätte sie mich gebraucht.«

»Dag, du wusstest es doch nicht.« , wiederholte er.

»Ich hätte ihr helfen sollen. Ich hätte bei ihr sein sollen. Ich hätte Bescheid wissen müssen. Ich ... verdammt nochmal ich, ... ich hätte ihre Hand halten sollen, als sie ging. Niemand anderes.« Er wischte mit den Fingern seine Tränen weg. »Ich ... nur ich.«

»Hey Dag, ich verstehe deinen Unmut, aber Élaine hat es aus Liebe zu dir getan.« , sprach Margarete.

»Aus Liebe?« Er schniefte. »Nein. Sie hätte mir die Wahrheit sagen sollen ... aus Liebe zu mir.«

»Dag, sie wollte nicht, dass du ein Teil davon wirst.«

»Ich war aber ein Teil davon. Sie war ein Teil von mir. Stattdessen hat sie mich einfach verlassen. Ohne eine Antwort, sitzen lassen. Und jetzt muss ich erfahren, sie war sterbenskrank und ist mittlerweile tot. Sie ist tot, verdammt nochmal.«

»Sie hat es nicht getan, um dir wehzutun. Sie hat sich damit selber verletzt und hatte Angst, dich zu vergessen.«

»Woran ist sie gestorben?« , fragte Vincent, der Dag wieder auf die Beine half.

»Ein Tumor in ihrem Kopf. Sie konnten den nicht herausholen und ... ihre Eltern wollten alles tun, um sie vor dem Tod zu bewahren. Sie konsultierten Ärzte auf der halben Welt.«

»Weshalb denn dieses ... Geheime?« , fragte Dag.

»Ein ... Arzt in Berlin, der ... homöopathisch behandelte, hatte den Vorschlag gemacht, die Krankheit so gut wie es ging, aus Élaines Wortschatz zu streichen. Sie sollte Ruhe haben. Keine Aufregung. Gar nichts. Daran hielten sie sich. Jeder Kontakt wurde ihr untersagt. Zumindest zum größten Teil, bis ich den beiden eine Ansage gemacht hatte.«

»Sie war ... all die Jahre allein?«

Margarete nickte. »Bis sie mich traf.«

Dag fühlte sich nun noch schlechter, weil sie ihn ausgegrenzt hatte. »Es war nicht ihre Entscheidung. Sie hätte mich mit einbeziehen müssen. Ich hätte auch eine Wahl haben sollen. Sie konnte nicht einfach über mich bestimmen.«

»Sie wusste, wie du reagiert hättest.«

»Und was wäre daran verkehrt gewesen?«

»Dag, sie wollte, dass du lebst. Sie wollte nicht, dass du mit ihr leidest.«

»Ich habe gelitten. Ich habe sie vermisst. Ich wusste nicht, was los war. Was ich falsch gemacht habe.«

»Das hat sie so nicht gewollt.«

»Aber das hätte sie wissen müssen.« , schrie er. »Sie kannte mich. Sie wusste, wie ich ticke. Sie wusste, wie sehr ich sie liebe.«

»Dag, das ändert jetzt nichts. Versuche jetzt erst einmal, dich zu beruhigen.« Vincent legte wiederholt seine Hand auf die seines besten Freundes.

Margarete holte eine Taschentücher-Box hervor und reichte dem Lockenkopf eine Menge. »Sie war doch selbst noch jung, und dann ... manchmal denkt man, man macht das Richtige, und ...«

»Sie hat alles falsch gemacht.« , schluchzte er.

»Es nützt doch nichts, darüber nachzudenken, was hätte sein können, und was man hätte ändern können.«

»Hatte sie je den Wunsch zurückzukehren? Zurück zu mir?« Er sah sie mit klatschnassen Augen an.

»Ja. Sehr oft sogar. Ich hatte ihr obendrein angeboten, sie zu begleiten. Doch ... sie entschied sich auch immer wieder schnell um.«

»Sie hätten sie drängen sollen. Sie hätten doch wissen müssen ...«

»Dag, weißt du, was mit ihr geschehen wäre, wenn ich sie dazu gedrängt hätte? Es wäre genauso falsch gewesen.«

»Ich komm' darauf nicht klar. Ich komm' darauf einfach verfickt nochmal nicht klar.«

»Die Zeit ...«

»Die Zeit heilt alle Wunden?« , unterbrach er sie. »Am Arsch. Ich hätte schon Zeit gehabt, wenn ich dabei gewesen wäre. Wenn ich es gewusst hätte. Stattdessen starte ich zehn Jahre zu spät.«

»Nehmen Sie das alles nicht so persönlich.« , sagte Vincent. »Er ist einfach nur aufgebracht, und ...«

»Nein, ich kann's verstehen.«

»Ich muss ... raus. Ich muss ... ich ... ich ... muss geh'n.« Dag stand auf.

»Natürlich, also ... falls du noch Fragen hast, oder so ... dann ... wir können im Kontakt bleiben, und wenn das alles ein wenig gesackt ist, dann ...«

Dag sagte nichts und nickte nur mau, während er bereits zum Flur hin schwankte. Vincent bedankte und verabschiedete sich in der Zwischenzeit von Margarete und folgte seinem Freund, den er dann sofort nicht nur im Geiste unter die Arme griff.

Für Dag war es unbegreiflich.

Er hatte die Zeilen gelesen. Es von dieser Frau erfahren, aber es war so ... surrealistisch, als wäre es immer noch ein Teil einer fiktiven Geschichte und nicht die Realität.

Hätte Danielle ihm die Wahrheit gesagt, wenn er sie besucht hätte?

Oder hätte sie ihm ein Lügenmärchen aufgetischt, und ihn im Unwissen gelassen?

Wäre es vielleicht einfacher gewesen, als zu erfahren, dass sie tot war. Das sie nicht mehr existierte auf dieser Welt?

Er fühlte sich, wie auf Drogen gesetzt. Der Boden schwankte, oder besser gesagt, er empfand es so, als würde er auf Wackelpudding laufen. Er schaffte es mit Vincents Hilfe bis zum Beginn der Straße und hockte sich wie ein plumpsender Sack auf den Bürgersteig.

»Ich dachte, ich bin der Fehler gewesen.« , gab er fast tonlos von sich.

»Dag, du ... kann ich irgendwas für dich tun?« Vincent setzte sich in Schneidersitz neben ihn hin, als wäre es das Normalste der Welt.

»Ich hatte Angst, das sie hier sein würde, das sie ... mit dem Finger auf mich zeigen würde und ... mich als Arschloch betiteln würde.« Seine Stimme blieb im Gegensatz zu vorhin still. »Das wäre mir echt lieber gewesen.«

»Ich weiß, aber ... sie hat dich echt geliebt. Du bist kein schlechter Mensch, und das wusste sie. Das hat sie geschätzt. Ist das nicht auch etwas wert?«

»Das macht es nicht ...«

»Was stand auf der letzten Seite?«

»Wörter an mich. Das ich ihr verzeihen soll für ihre Entscheidung. Dass ich das Beste in ihrem Leben war und ... das ich eine Liebe verdient habe, die ...« Er blickte ins Leere. »Denkst du ... Jona und ich haben überhaupt eine Chance? Ich will sich nicht verlieren. Ich brauch' sie. Ich ... ich will sie. Ich ... sie tut mir gut. Élaine hat mich einfach ...«

»Ja. Lebe, Dag. Hab' deswegen kein schlechtes Gewissen. Wenn sie das ist, was du möchtest, dann ... sag' es ihr. Du hast es dir verdient. Du warst nie der Fehler.« , unterbrach er ihn.

Dag nickte und holte sein Handy hervor. Keine Nachricht von Jona war bisher eingetroffen. Er atmete tief ein und wählte ihre Nummer. Doch ...

Er sah auf sein Display. Checkte ihren gemeinsamen Chat und blickte anschließend zu Vincent. »Ich glaube, sie hat mich blockiert.«

Mein Leben ist nicht wie ein Film, es ist wie ein BuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt