𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 33

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Dag hatte keine Ahnung davon, was wirklich bei ihr zu Hause abgegangen war.

Anscheinend hatte er tatsächlich nicht viel Einblick gehabt, denn er kam sich gerade vor, wie vor den Kopf gestoßen.

Ja, einiges konnte Fiktion sein, aber ... es fühlte sich real an.

Die Umstände in Élaines Umfeld waren ihm schon bewusst, allerdings nicht dieses Ausmaß. Er wusste nichts davon, das sie fast bei Sebastian einziehen sollte oder das ihr Vater mal handgreiflich geworden war.

Aber ... machte es dann Sinn, dass sie mit ihrer Familie weggegangen war?

Freiwillig?

Sie hatte einst zu ihm gesagt, sie würde da nicht reinpassen. Das sie sich nur bei ihm richtig fühlte. Das sie bei ihm sie selbst sein konnte. Doch wieso hatte sie unter dem Umstand dieses Leben vorgezogen? Was war vorgefallen?

Er stand nun auf und verstaute das Buch in einer Schublade.

Für heute hatte er genug gelesen.

Vielmehr konnte er derzeit nicht aufnehmen.

Irgendwie war dadurch rückwirkend Wut entstanden. Ein Gefühl, welches er nicht verspüren wollte. Doch es war nicht nur auf ihre Eltern. Es war die komplette Situation. Hatte Élaine ihm so wenig vertraut, dass sie ihm nicht mehr über ihre familiäre Lage erzählen konnte?

Aber vielleicht war auch dies das Problem gewesen.

Diese Verbindung war nicht das, was er immer gedacht hatte.

Oder ...

Er war halt nicht für eine Beziehung gemacht und das hatte Élaine mit Sicherheit bemerkt. Sie hatte gewisse Dinge verschwiegen, weil sie in ihm nicht das gesehen hatte, was sie wollte.

Höchstwahrscheinlich war er es nicht mal wert gewesen geliebt zu werden.

Falls sie das tatsächlich je getan hatte.

Wenn er es mal so betrachtete, war er vielleicht nur ein rebellischer Aufschrei einer verzogenen Göre gewesen. Schaut-mal-Mama-und-Papa-was-ich-mir-angelacht-Habe. Er war in diesem Fall vergleichbar wie ein frischgestochenes Miniatur Tattoo, welches eine kleine Rebellin sich hatte machen lassen, um Daddy zu zeigen, wie wild sie doch war.

Er hatte seine Antwort.

Dag musste nicht mehr weiterlesen.

Es hatte sich erledigt.

Er war ihr nichts wert gewesen.

Nur eine Phase.

Mehr hätte es nie sein sollen.

Dag war einfach nur blind gewesen.

Sie war herausgewachsen und hatte ... sich weiterentwickelt, während er ... stehengeblieben war. Oder ... sich ... zurückentwickelt hatte.

Ja genau.

Mitte dreißig und er lebte wie ... wie jemand, der gähnende Leere besaß.

Er hatte nichts.

Die Erkenntnis traf ihn hart.

Ja. Er hatte rein gar nichts.

Niemand war da, wenn er nach Hause kam.

Keiner erkundigte sich nach ihm.

Ja, es gab Vincent und andere Freunde, aber ... das war etwas anderes. Und ja, Dag wusste, wie wichtig er zum Beispiel seinem besten Freund war, dennoch ... dieses eine Gefühl fehlte ihm.

Er bemerkte es gerade in diesem Moment.

Das Gefühl ... geliebt zu werden. Gewollt zu werden.

Jahrelang lief er damit herum, nicht genug gewesen zu sein. Er hätte dafür nicht mal lesen müssen. Er hatte genauso sein Leben geführt. Lockerflockig, da er für mehr nicht imstande gewesen war. Schlicht und ergreifend, weil ... Élaine es ihm so hatte fühlen lassen, als sie gegangen war.

Sie hatte ihn dazu gebracht, sich unbewusst selbst kleinzuhalten.

Seine Ex weiterzusuchen, wäre somit Schwachsinn. Wenn da nicht der Umstand wäre, dass er dann Jona eventuell nicht mehr sehen könnte.

Und ... er wollte sie dringend weitersehen.

Dag verließ das Studio.

Ja, er wollte sie sehen, daran bestand kein Zweifel.

Allerdings ... erwartete sie andere Dinge. Dinge, nach denen er sich insgeheim anscheinend doch sehnte, aber ... diese ehrlich gesagt nicht umsetzen konnte.

Er war kaputt.

Er war einfach ... kaputt.

Élaine hatte ihn damals zerstört. Das, was in ihm war, welches sie geweckt hatte, so dass er eine Beziehung eingegangen war, hatte sie mit einem Male zertrümmert.

Wie sollte er das von alleine wieder reparieren?

So etwas war doch gar nicht möglich.

Oder?

Dags Wut stieg an.

Er musste irgendwas tun.

So ging es nicht weiter.

Er konnte nicht heilen, wenn er nach dem Verursacher suchte. Das war einleuchtend. Das würde ihm nicht helfen.

Doch ... abstoppen konnte er auch nicht.

Jona war bereits distanzierter geworden.

Sobald er den Auftrag stornieren würde, wäre er mit Sicherheit sofort Geschichte für sie.

Demzufolge musste sie weitermachen, im Gegensatz dazu... durfte sie nicht ans Ziel gelangen.

Dag hielt es für nötig einen Plan zu entwickeln, wie er ... ihr dazwischenfunken konnte.

Er konnte sie nicht aufgeben.

Obwohl aufgeben war ein eventuell zu mächtiges Wort. Sie hatten schließlich nichts miteinander. Nichtsdestotrotz merkte er dennoch diese Anziehung.

Möglicherweise war es keine Heilung im eigentlichen Sinne, aber ... eine Medizin.

Jona war die Erste, nach deren Nähe er sich sehnte.

Dag konnte das Gefühl nicht ignorieren, als wäre es nicht da. Es war viel zu lange weg gewesen, also sollte er es auch annehmen, egal, wie viel Angst es ihm machte.

Jetzt, wo er es ... teilweise angenommen hatte, musste er nur einen Plan austüfteln.

So schwer konnte das doch nicht sein ...

Mein Leben ist nicht wie ein Film, es ist wie ein BuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt