Ein merkwürdiger Zusammenstoß

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Ich war gut gelaunt und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Großvater Simon machen wollte. Mein hellbraunes Haar fiel mir über die Schulter. Ich hatte sie offen gelassen, da ich Simon nicht lange warten lassen wollte. Meine grünen Augen sahen mir entgegen und ich legte noch etwas Tusche auf die Wimpern. Fertig, das müsste reichen. Großvater wartete schon auf mich in seinem kleinen, alten, verstaubten aber sehr gemütlichen Buchladen auf mich. Ich hatte Geburtstag, ich wurde 26 Jahre alt und wollte mit ihm zusammen Mittagessen gehen.

Ich lief also um die Ecke und - peng - stieß ich mit jemandem zusammen. All die Bücher und lose Blätter, die ich darin als Anmerkungen aufbewahrte, fielen runter und wehten herum. "Oh man," fluchte ich und versuchte alles wieder einzusammeln. "Ich bitte vielmals um Entschuldigung," hörte ich jemanden sagen, der mir auch gleich half, alles wieder einzusammeln. Als wir es geschafft hatten, erhoben wir uns gemeinsam und standen voreinander. Ich blickte in zwei blaue Augen, die strahlten wie die Sonne auf das Meer. Er hatte blondes schulterlanges Haar und ein sehr freundliches Gesicht. Verwirrt schaute ich ihn an, er kam mir so vertraut vor. Er gab mir die Bücher, die er eingesammelt hatte und sagte nochmals: "Entschuldigung." Ich nuschelte nur: "ist schon gut, ich hab es sehr eilig," und lief schleunigst davon.

Ganz gehetzt kam ich am Buchladen an und trat ein. Eine kleine Glocke erklang als ich die Glastür öffnete. Drei Stufen führten nach unten. "Opa ich bin hier." Rechts und links waren die Wände von oben bis unten mit Bücherregalen zugestellt. Die Bücher waren nach Kategorien sortiert. In der Mitte standen zwei Wühltische in denen die Sonderangebote lagen. Auf einem Tisch lagen Bücher mit einem Schild - "letzte Gelegenheit," - diese wurden nicht mehr neu aufgelegt. Links vom Eingang stand eine uralte Kasse. In der rechten Ecke befand sich ein Mahagonibrauner Tisch an dem zwei, aus rotem Samt gekleideten, bequeme Lesesessel standen. Der hintere Teil wurde von zwei schweren Bücherregalen abgetrennt, die nur einen kleinen engen Durchgang offen ließen. Dort hinten gab es die wahren Schätze.

Uralte Bücher aus längst vergangenen Zeiten. Raritäten, die man sonst nirgends erhalten konnte. Im Laden roch es nach altem Holz und altem Papier. Auf der rechten Seite befand sich eine schwere Holztür. Dahinter war ein kleiner Raum, in dem mein Großvater die uralten Bücher restaurierte. An der Wand ging eine breite Treppe fünf Stufen nach unten. Rechts und links davon standen zwei Statuen aus echtem Silber. Sie zeigten einen Turm und einen Ritter. Der Turm sah aus, wie von einem Schloss und der Ritter hatte einen Stab mit einer runden Kugel darauf in seiner rechten Hand. Die Kugel zeigte eine Welt, die ich nicht kannte. Es gab darauf nur einen Kontinent. Am Ende der Treppe war ein halber kreisrunder Platz und dahinter noch einmal ein riesiges Bücherregal aus zwei gebogenen Flügeln. "Hallo Sarah, da bist du ja endlich." Simon schlürfte durch den engen Durchgang auf mich zu. Er lachte und umarmte mich liebevoll. "Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag Sarah, bevor wir essen gehen, muss ich dir noch etwas zeigen." Er drehte sich um, ich folgte ihm. Vor den fünf Stufen, zwischen dem Turm und dem Ritter blieb er stehen.

"Es ist ein Geheimnis, und ich muss es dir jetzt anvertrauen." "Opa du machst mich ganz neugierig," erwiderte ich und musste lachen, weil er so dramatisch tat. Doch er schaute mich sehr ernst an. "Weißt du, wir sind keine normalen, einfachen Leute. Wir kommen nicht von hier." "Wir kommen nicht von hier?" Wie meinte er das? Meine Gedanken und Erinnerungen überschlugen sich. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals woanders gelebt zu haben oder woanders gewesen zu sein. Und überhaupt, mir fiel plötzlich auf, dass ich mich an gar nichts erinnern konnte. Warum? Wo waren meine Erinnerungen geblieben? Wer war ich? Wo kam ich her? Was hatte ich für eine Kindheit? "Opa was redest du denn da? Wir sind schon immer hier gewesen. Du hast deinen Buchladen in dem ich schon als kleines Kind rum gestöbert habe." Oder etwa nicht? Ich erinnerte mich nicht. Simon schaute mich mitfühlend an.

"Ich werde dir jetzt alles erklären, was du wissen musst." Du darfst niemandem vertrauen. Nur dir selbst und Elijah. Sie haben uns gefunden." "Wer hat uns gefunden? Und wer ist Elijah?" "Du wirst das alles noch verstehen Sarah." Simon ging durch die Dunkelheit, und betätigte einen Schalter. Ein schummriges Licht fing an den Raum zu erhellen. Im Inneren waren uralte Artefakte wie Gemälde und Schwerter an den Wänden angebracht. Eine Wand bestand aus einem einzigen, schweren, staubigen Vorhang mit einem Gemälde darauf, dass eine Geschichte zu erzählen schien. So etwas hatte ich zuvor noch niemals gesehen. "Was ist das hier alles?" Fragte ich neugierig. "Das ist dein wahres Leben. Es ist der Durchgang zu der Welt von der du kommst," erwiderte Simon. "Bald werde ich nicht mehr hier sein und du bist hier nicht mehr sicher." Großvater setzte seine Brille ab, putzte sie setzte sie wieder auf und sah mich traurig an. Ich blickte verzweifelt: "was soll das bedeuten? Bist du krank Opa? Warum solltest du bald nicht mehr da sein?"

Simon antwortete nur zögernd. "Was ich dir jetzt sagen muss, schmerzt mich sehr. Deine Eltern, also weißt du, sie sind nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen. Sie wurden ermordet, und es waren nicht deine richtigen Eltern." Ich schaute ihn mit offenem Mund fragend an. "Opa was erzählst du da? Ist es so schlimm um dich bestellt? Sollte ich dich lieber ins Krankenhaus fahren? Die Ärzte müssen dich gründlich untersuchen. Das wird schon wieder Opa." Er hielt sich an einem Stuhl fest und das erste mal sah er für mich aus, wie ein gebrochener alter Mann. "Nein Liebes, du verstehst nicht. Es ist die Wahrheit. Mir bleibt jetzt nicht mehr viel Zeit, dir alles zu erklären. Deswegen muss ich mich beeilen, also höre gut zu." Ich wusste nicht was ich denken sollte, ich wusste nicht was ich tun sollte. Simon fuhr ungeachtet des ungläubigen Blickes von mir fort, ging zu einem kleinen Tisch der in einer Nische stand, und nahm ein Kästchen in seine Hände.

Er öffnete es und holte eine Kette heraus an der ein uralter Schlüssel hing. In dem Kästchen befand sich noch eine ebenfalls uralte Schriftrolle. Großvater ging auf mich zu und hing mir die Kette um."Du musst gut auf den Schlüssel aufpassen. Du darfst ihn niemanden geben und du darfst ihn auf keinen Fall verlieren. Das ist der Schlüssel, der dich zwischen den Welten hin und herführen kann." Ich blickte ihn ungläubig an. Ich verstand gar nichts mehr, doch Großvater fuhr fort: "dies ist die Schriftrolle die unsere Familiengeschichte erzählt und die dich gleichzeitig ausweist, als diejenige, die du in Wirklichkeit bist und wer deine wahren Eltern sind. Du musst sie gut aufbewahren. Sarah, das ist jetzt sehr wichtig, siehst du diesen Vorhang." Ich ging zu dem Wandteppich und schaute mir das Bild darauf genauer an. Ich sah ein Reiter auf einem sich aufbäumenden Pferd sitzen. Der Reiter hatte eine goldene Rüstung an. In seiner rechten Hand hielt er eine Waffe. So eine Waffe hatte ich noch nie gesehen. Er stand auf einem Hügel. Im Hintergrund war eine Burg, mit ganz vielen kleinen, verzierten Türmen aus hellem Marmor. Vor der Burg war eine Stadt, eingebettet in einem Wall aus hohen Mauern. Alles wurde von Sonnenstrahlen ausgeleuchtet.

Die Türme der Burg sahen aus wie der Turm draußen vor der Tür und der Reiter sah aus, wie der Ritter daneben. Er hatte halblanges dunkelblondes Haar und leuchtend blaue Augen. Ich kniff die Augen zusammen. Er sah genau so aus, wie der Mann, mit dem ich vorhin an der Ecke zusammengestoßen war. Aber wie konnte das sein? Das Bild und dieser Vorhang waren mindestens einhundertfünfzig Jahre alt. In Gedanken versunken stand ich vor dem Bild, als ich von der Glocke der Eingangstür aufgeschreckt wurde. "Das ist das Tor zu deiner Welt. Dort musst du hindurch gehen Sarah, Elijah wird dir helfen," rief Großvater mir zu und lief schnell in den Buchladen zurück. Die zwei schweren Regale klappten zu und ich stand alleine in dem Raum. Ich hörte ein Geräusch, wie aus einer Waffe, ich konnte es nicht zuordnen, und noch einmal das Selbe. Es bedeutete nichts Gutes, das wusste ich. Ich schrie.


Das Geheimnis der leuchtenden StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt