Kapitel 90

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Am nächsten Morgen wachte ich mit Kopfschmerzen, Schwindel und leichter  Übelkeit auf. Ich war es einfach nicht gewohnt, so viel zu trinken und nun musste ich mit den Konsequenzen klar kommen.
Riku schnarchte neben  mir und da ich bei dem Krach eh nicht wieder einschlafen würde, schlich  ich in die Küche um mir einen Kaffee zu machen.
Am liebsten hätte ich mir noch eine Tablette genommen, aber ich hatte  keine Ahnung wo ich die bei Riku finden könnte und wollte auch nicht suchen. Ich lümmelte mich mit einer Decke auf das Sofa und schloss die  Augen. Mein Kreislauf fuhr gerade Achterbahn und ich kämpfte gegen das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Wenn Riku wach war, werde ich ihn auf alle Fälle nach einer Schmerztablette fragen.
Ich muss wohl nochmal eingeschlafen sein, denn ich wurde wach als Riku sich zu mir auf das Sofa setzte.
„Guten Morgen!" sagte er leise. Er sah eindeutig fitter aus, als ich mich fühlte. Er konnte durch diverse After-Show-Feiern und Abende mit seinen Bandkumpels Alkohol viel besser vertragen als ich.
„Morgen." grummelte ich und rieb mir die Augen.
„Noch einen Kaffee?" Er lächelte mich mitfühlend an.
„Ja bitte. Und eine Kopfschmerztablette." Nachdem das Koffein und die Tablette ihre Wirkung zeigten, war ich einigermaßen aufnahmefähig.
Zum Frühstück gab es Reste von gestern, die  wir direkt auf dem Sofa und vor dem Fernseher aßen. Mehr war mit uns erst mal nicht anzufangen und den restlichen Nachmittag verbrachten wir halb dösend aneinander gekuschelt.
Gegen Abend ging ich duschen und fing dann an, meine Sachen allmählich zusammen zu räumen und zu packen.
Es gab noch ein paar Themen, die wir vor meiner Abreise besprechen mussten und die mir wichtig waren. Wir setzten uns mit einem Kaffee wieder auf das Sofa und ich versuchte die richtigen Worte zu finden.
„Wie fange ich am besten an? Hm... ja.... also erst mal geht es mir um unsere Verhütung. Ich würde beim Frauenarzt demnächst einen Termin machen und mich wegen Hormoneller Verhütung beraten lassen. Ich möchte gerne auf die Kondome verzichten, allerdings nur, wenn wir beide einen Test gemacht haben. Ist das okay für dich?" Während ich sprach, hatte  ich auf meine Finger gestarrt und sah ihn jetzt direkt an.
Riku griff nach meinen Händen, weil ich so nervös war und an meinen  Nägeln zupfte. „Ich finde den Vorschlag gut. Wegen dem Test werde ich nächste Woche bei meinem Arzt anrufen."
„Okay das war ja einfach." seufzte ich erleichtert auf. „Dann müssten wir noch organisieren, wann wir uns wieder sehen."
Riku kramte nach seinem Handy und schaute in den Kalender. „Wir haben kommende Woche ein Bandmeeting und da werden die nächsten Termine besprochen. Reicht es dir, wenn wir dann nochmal drüber sprechen?"
„Natürlich. Aber weißt du was? Ich will gar nicht wieder nach Hause. Hier ist es so schön." Ich lehnte mich traurig zurück und atmete tief  durch.
Riku schwieg und ich befürchtete schon, dass diese Aussage zu aufdringlich war. „Ich will dich auch viel lieber hier behalten." sagte er dann und ich legte meinen Kopf auf seine Schulter.
Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie es wohl wäre, hier zu wohnen. Vielleicht könnte ich mich ja als persönliche Sunrise Avenue Fotografin bewerben, dachte ich und musste bei den Gedanken schmunzeln. Dann würde es endlich mal mehr Fotos von Riku geben, als von Samu. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und wachte aus meiner Tagträumerei  wieder auf.
„Da hat wohl jemand Hunger. Musst du noch zu Ende packen? Dann würde ich uns etwas zu Essen machen und wir können in Ruhe essen, wenn du fertig  bist." Riku ging bereits Richtung Küche und ich überlegte kurz.
„Eingepackt habe ich soweit alles, was ich nicht morgen noch brauche. Aber ich würde kurz meine Nachrichten durchgucken, da habe ich gestern gar nicht mehr dran gedacht."
Ich holte meinen Laptop hervor und loggte mich bei meinem Emailpostfach und bei Facebook ein. Ich hatte einige Nachrichten von Bekannten, meinen Freunden und auch von Leuten die ich nicht so gut kannte. Meine  Pinnwand war voller Glückwünsche und ich hatte zwei lange Nachrichten von Charlie und Emma.
Ich musste meine Schwester unbedingt bald mal wieder sehen, vielleicht kann man das ja mit einem Besuch von Riku verbinden? Emma würde mich morgen vom Flughafen abholen, deswegen brauchte ich ihr nicht antworten. Allen anderen schrieb ich brav zurück und brauchte dafür auch eine ganze Weile. Dann klappte ich den Laptop wieder zu und ging zu Riku in die Küche.
Nach dem Essen beschlossen wir noch etwas spazieren zu gehen und ich nutze die Gelegenheit, um noch Fotos von Helsinki und von Riku zu machen. Ich wollte auf diese Weise so viele Erinnerungen wie möglich festhalten und das Gefühl der baldigen Einsamkeit so verdrängen.
Den Rückweg gingen wir schweigend zurück. Riku hielt meine Hand und jeder hing seinen Gedanken nach. Meine Heimreise rückte immer näher und der Abschied fing langsam an real zu werden.
Wieder bei Riku angekommen schauten wir uns die Fotos an, die ich im Laufe der Woche gemacht hatte, redeten über alles mögliche und  versuchten uns so gut wie möglich abzulenken. Es herrschte eine gedrückte Stimmung und keiner von uns konnte das leugnen. Wir mochten nicht an morgen denken, aber die Zeit verging wie immer viel zu schnell, wenn man es gar nicht wollte.
Erst als wir fast auf dem Sofa einschliefen, gingen wir ins Bett. So hatten wir noch so viel wie möglich von unserem letzten Tag gehabt.
Ich lag in Rikus Armen, mein Kopf auf seiner Brust und lauschte seinem Herzschlag. Ich genoss seine Nähe schweigend, da ich keine Worte fand um meine Gefühle auszudrücken.
Seine Finger strichen mir sanft immer wieder über den Rücken und die Situation ließ mich bald einschlafen.
Der Wecker klingelte erbarmungslos am nächsten Morgen und ich wollte nicht wirklich aufstehen. Ich hätte mir am liebsten die Decke wieder über den Kopf gezogen und mich zusammen mit Riku im Bett vor der  Außenwelt versteckt. Ich versuchte stark zu sein und kämpfte die ganze Zeit mit mir und meinen Tränen.
Wir hatten uns früh genug wecken lassen, damit wir noch gemeinsam frühstücken konnten. Dies verlief fast ohne Worte, wir warfen uns nur  immer wieder liebevolle und traurige Blicke zu.
Leider wurde es viel zu schnell immer später und bald war es leider soweit. Ich packte noch die letzten Sachen zusammen, wir verstauten  alles in Rikus Auto und fuhren zum Flughafen.
Dort angekommen erwartete mich eine kleine Überraschung. Samu und Tarja waren gekommen, um mich mit Riku zusammen zu verabschieden. Ich freute mich total und war auch froh, dass Riku seinen Freund da hatte, wenn ich gleich weg war. Wenn es ihm nur ein bisschen so ginge wie mir, dann würde er Samu gleich wirklich brauchen.
Wir tranken noch einen Kaffee zusammen, aber mehr als Smalltalk war irgendwie nicht möglich. Ich wartete bis zum letzten Moment, um durch die Kontrolle zu gehen und umarmte zuerst Tarja. Sie flüsterte mir noch liebe Worte zu und ließ mich auch eher unwillig wieder los. „Meld dich bei mir, wenn du angekommen bist." bat sie mich und ich versprach es ihr.
Dann wendete ich mich Samu zu und auch er drückte mich an sich. „Lilly es war toll dich hier zu haben.Komm gut nach Hause."
„Pass bitte auf Riku auf und lass ihn keinen Unsinn machen." flüsterte ich leise, damit mein Freund mich nicht hörte.
„Das verspreche ich dir. Ich glaube allerdings, er wird keinen Unsinn machen. Er ist wie ausgewechselt seit ihr zusammen seid." erwiderte er und ich löste mich von ihm.
„Mach du bitte auch keinen Unsinn. Riku  braucht dich und ich will ihn nicht wieder so erleben müssen, wie nach euren ersten... missglückten Zusammentreffen." Er schaute mich eindringlich an und das entlockte mir ein Lächeln.
„Ich werde ganz artig sein, bis ich ihn wieder sehe." sagte ich und seufzte auf.
Samu nickte und stellte sich wieder neben Tarja.
Dann war es soweit und ich musste mich nun endgültig von Riku verabschieden. Ich atmete ein paar mal tief durch um mich zu beruhigen,  doch als er mich in seine Arme schloss und ich den vertrauten Geruch wahrnahm, entwich mir ein verzweifeltes Schluchzen. Mir kamen die Tränen und es war mir egal, ob es alle sehen konnten. „Ich will hier nicht weg... Riku ich liebe dich!" schniefte ich und konnte sehen, dass er auch mit den Tränen kämpfte.
Ich fühlte mich so machtlos und wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Gerade jetzt überkamen diese mich mit einer ungeahnten Heftigkeit. Da war einerseits der Schmerz, weil wir uns trennen mussten und gleichzeitig die Liebe, die jetzt bereits so gefestigt zwischen uns war.
„Lilly ich liebe dich auch. Ich wünschte, du könntest bleiben und ich weiß jetzt schon, dass ich dich vermissen werde, sobald du weg bist. Wir sehen uns bald wieder, das versprech ich dir. Ich schaue meine und unsere Termine durch und dann besuche ich dich bei dir zu Hause." Diese Worte und sein ehrlicher Gesichtsausdruck dazu trösteten mich ein wenig und ich versuchte zu lächeln.
Ich wischte mir die Tränen weg und beglückwünschte mich im stillen selbst für die Entscheidung, heute kein Make up zu tragen.
Wir küssten uns ein letztes Mal intensiv, dann nahm ich meine Tasche und ging mit langsamen Schritten weg. Ein paar Mal drehte ich mich um, winkte ihnen nochmal zu und war dann mit dem Sicherheitscheck  beschäftigt.
Es dauerte nicht lange und mein Flieger war bereit, da ich ja schon etwas spät dran war. Die 3 Stunden im Flugzeug waren schrecklich und ich fühlte mich wie betäubt. Meine Gedanken waren bei Riku und bei all dem, was wir zusammen erlebt hatten.
Es war alles einfach nicht fair, warum musste ich mich auch in einen Finnen verlieben? Tränenblind starrte ich aus meinen Fenster und wünschte mich wieder zurück.

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