Einhundertundzehn

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Am nächsten Morgen wartete ich ungeduldig auf Noahs Zug.
Vor einer halben Stunde hat er mir geschrieben, dass er noch etwa zwanzig Minuten braucht. Ich hasse es zu warten. Ich bin die ungeduldigste Person auf Erden!

Nach weiteren fünf Minuten hörte man endlich den Zug kommen. Aufgeregt sprang ich auf und ab. Der Zug hielt quietschend und eine Handvoll Leute stiegen aus. Ich erblickte Noahs braunen Schopf ein paar Meter von mir entfernt und hüpfte lächelnd auf ihn zu. "Hey!" rief ich und warf mich in seine Arme. Noah lachte und schlang seine langen Arme um mich. "Hi, Clary." er löste sich lächelnd von mir und wuschelte mir durch die Haare. "Sind länger geworden." "Hey! Niemand darf mir durch die Haare wuscheln." Ich trat ihm spielerisch gegen's Schienbein. "Verzeihung." grinste er und versuchte mit seinen Händen zu retten, was zu retten war. "Lass es! Du machst es nur noch schlimmer!" rief ich und duckte mich weg. Er entschuldigte sich lachend. "Ich find es sieht gut aus." sagte er Schulterzuckend. "Über deinen Geschmack lässt sich streiten." Er lachte erneut und wir verließen den Bahnsteig. "Also, wo geht's zuerst hin?" fragte er neugierig. "Lass dich überraschen." grinste ich und zog ihn mit in Richtung Bushaltestelle.
"Wieso zur Hölle kommt der nur jede halbe Stunde?" fragte er, als er einen Blick auf den Fahrplan geworfen hatte. "Weil das auf dem Land so ist. Hach, immer diese verwöhnten Großstadtgören." ich schüttelte den Kopf. "Das hat rein gar nichts mit verwöhnt sein zu tun. Aber wie macht ihr das, wenn ihr den verpasst? Ich verpasse grundsätzlich alle öffentlichen Verkehrsmittel." "Tja, wenn man Glück hat, so wie ich, kann man dann seinen Freund oder seinen Bruder bestellen, die einen abholen." "Wow, Service." Ich nickte grinsend. "Also müssen wir jetzt eine Viertelstunde warten?" "Jap." "Urgh." er fiel neben mir auf den Sitz. "Meine Mom, hat dir wieder Honig mitgegeben." er schmunzelte. Noah kennt meine Einstellung zum Thema Honig. Manchmal ist er ja ganz lecker, aber mir ist das Zeug einfach zu süß und zu schmierig. "Äh, wie lieb von ihr. Danke." murmelte ich und öffnete meine Tasche. "Schmeiß das Zeug einfach in die nächste Bio Tonne." lachte er. "Nee, mein Vater ist das schon." "Na dann."

Der Bus war so gut wie leer. Noah hatte sich über drei sitze ausgestreckt und sah sich die vorbeiziehende Landschaft an.
"Das ist das erste mal, dass ich aus Berlin raus bin und innerhalb Deutschlands unterwegs bin." sagte er nach einer weile, ohne seinen Blick abzuwenden. "Echt?" hakte ich nach und sah von meinem Handy auf. "Ja, sonst bin ich immer nur ins Ausland getrampt." "Getrampt? Noah! Das ist voll gefährlich." "Sorry, Mama." er kniff mir in die Wangen. "Mann!" rief ich und duckte mich weg.

Wir stiegen in Wismar aus, ich zeigte ihm den Hafen und die Altstadt. Außerdem gingen wir auf den Kirchturm, von wo man die ganze Stadt von oben betrachten konnte.
"Nicht zu vergleichen mit dem Ausblick vom Fernsehturm, aber ganz nett." sagte ich Schulterzuckend. "Ich find's cool. Danke dass du mich hergebracht hast." er lächelte zu mir runter. Habe ich schon gesagt, dass ich sein Lächeln liebe? Okay, nicht liebe liebe. Aber es ist toll. Es ist einfach toll.

"Wollen wir wieder nach unten?" fragte ich stattdessen. "Ja. Gibt's hier irgendwas zu essen? Ich sterbe vor Hunger!" "Natürlich, willst du ein fischbrötchen oder was normales?" er überlegte kurz. "Fischbrötchen sind hier so üblich, huh?" "Naja, ja. Aber ich hasse Fisch, also müsstest du alleine dein Brötchen essen." "Okay, ich probiere es mal." "Urgh, wehe du nimmst irgendwas was stinkt." grummelte ich.
Im Fischrestaurant hielt ich mir die Nase zu. Noah holte sich irgendein Brötchen, ich zwang mir ein Backfisch Brötchen rein. Das war auch das höchste der Gefühle.
Noah bezahlte und wir machten uns endlich auf dem Weg zum Strand.

***

"Ich hoffe du hast deine Badehose dabei, das Wasser hat angenehme dreizehn grad." neckte ich ihn als wir den kleinen Weg durch den Wald nahmen. "Habe ich leider nicht, aber wenn das Wasser mich anspricht, und vor allem wenn du mit machst, spring ich rein." Ich warf lachend meinen Kopf in den Nacken. "Lass mal, ich verzichte." "Spielverderber." maulte er. Bevor er noch weiter herum zicken konnte, packte ich seine Schultern und drehte ihn so dass er das Meer sehen konnte. Es machte Spaß seine Reaktion zu sehen. Seine Augen weiteten sich und sein Mund klappte auf.
"Da muss ich rein." sagte er leise und schnappte sich meine Hand. Ehe ich protestieren konnte, war er losgerannt und zog mich hinter sich her. Als wir am Strand angekommen waren, stoppte er und zog seine Schuhe aus. Ich nutzte die Gelegenheit um zu Atem zu kommen. Ich erklärte ihm nebenbei, dass ich ganz sicher nicht mit rein gehen würde. Er sah das anders. Noah warf mich über seine Schulter und lief aufs Meer zu. "Noah!" ich trommelte auf seinem Rücken rum. "Noah, lass mich runter!" Ich sah erschrocken zu, wie meine Schuhe im Sand landeten. "Noah!" kreischte ich nochmal. "Halt die Klappe." rief er. Noah stand bereits bis zu den Oberschenkeln im Salzwasser. Er hob mich höher, sodass ich über seinem Kopf schwebte. Ich schlug mir die Hände vors Gesicht.
Der hat sie doch nicht mehr alle!

Ich landete wenig später im kühlen Nass. Sobald ich aufgetaucht war, schubste ich den lachenden Noah beiseite. Das ganze artete in eine Wasserschlacht höheren Grades aus. Die Kälte spürte ich nach einer Weile schon gar nicht mehr.

The Exchange Student ( Luke Hemmings FF ) WIRD ÜBERARBEITETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt