Ein neuer Tod

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,,Michael! Michael!"
Nach einer halben Ewigkeit hörte ich wieder meine Freunde. Ich wollte meine Augen öffnen, aufstehen und über das, was vorhin geschah, nachdenken. Doch daraus wurde nichts, denn im nächsten Moment, wo ich mich aufsetzen wollte, platschte eine große Portion Wasser in mein Gesicht. Ich zuckte mit noch geschlossenen Augen zusammen und brüllte genervt: ,,Ich wollte gerade antworten!" ,,Endlich bist du wach.", bekam ich jedoch nur von Jeff als erleichternden Seufzer. Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf dem Boden ab und blickte Jeff an, der vor mir hockte, vorbei an den Höhlen Bäumen neben dem dunkelgrünen Dornengebüsch hinüber zum glasklaren Teich mitten im Wald.
,,Wo sind die anderen? Was ist mit Charlie?" Doch während ich alles wissen wollte, legte Jeff mir mit einem ,,Schhhhh." den Finger auf meinen Mund, sodass ich sofort verstummte und ihn verstört ansah. Doch mein Kumpel fuhr weise fort: ,,Überschütte mich nicht mit Fragen. Steh lieber auf und sieh zu, dass deine Hosen sauber sind." Ich grinste Jeff breit an und nahm seine leichenblasse Hand an, um aufzustehen. ,,Also", fing er an, nachdem ich mir wirklich kurz Hoodie und Hose abgeklopft hatte. ,,Nachdem du weg warst, hat Chris dich gepackt und wir haben uns hinter den Säulen bei der Schule versteckt. Die Feuerwehr ist gekommen und konnte es erst gar nicht glauben, aber dann haben sich drei, vier Typen um Charlie gekümmert und der Rest ums Schulgebäude. Abby, Lynne und Melina haben dir die ganze Zeit auf die Wange geschlagen, damit du aufwachst." Still fuhr ich mit der Hand über meine Wangen. Sie glühten.
,,Die anderen aus der Klasse haben dann alles erklärt, währenddessen sind wir hierhin gefahren. Ende." ,,Und seit wann sind die anderen weg?" Ich steckte meine Hände in die Hoodietaschen und sah durch die Baumkronen.
,,Knappe 5 Minuten bevor du aufgewacht bist.", erklärte Jeff und steckte ebenfalls seine Hände in den wie immer mit Blutflecken übersäten weißen Kapuzenpullover. ,,Okay, dann lass uns mal..." Badumm-Tss! Wir beide blickten und fragend an, doch dann wusste Jeff Bescheid und holte sein Handy raus. ,,Neuer Klingelton.", lachte er und ich konnte sein Lachen nur erwidern. Währenddessen blickte mein Kumpel auf den Display, das seine Haut noch heller aussehen ließ, als sie jetzt schon war. Nach wenigen Sekunden entstand ein neues Grinsen auf seinem Gesicht und mit diesem Grinsen sah er mich an. ,,Perfektes Timing, würde ich sagen.", meinte er und steckte das Handy wieder ein. ,,Abby hat geschrieben. Die anderen sind auch schon bei ihnen in der Scheune auf dem Feld und wir sollen auch zum Pennen kommen. Hailey und Grace sind auch da. Na los, worauf wartest du?" Jeff ging an mir vorbei. ,,Und wie sollen wir dahin kommen?", fragte ich ihn, doch Jeff ging hinüber zu den Büschen und zog zwei Mountainbikes heraus. Ich lachte. ,,Du hast echt immer einen Plan B!"
,,Immer!", versicherte er mir und gab mir anschließend ein High-Five.

Es folgte eine ruhige Nacht. Das Holz in der Scheune auf dem Heuboden, wo wir alle lagen, knarzte etwas, doch ansonsten machte niemand und nichts einen Mucks. Wir schliefen wie Murmeltiere. Am darauf folgenden Morgen winkten Jeff, Chris und ich den Mädels zum Abschied zu bevor wir durch den frühen Sonnenschein losradelten, Richtung Heimat. Die frische, aber schon ziemlich kalte Luft blies uns gegen das Gesicht. Nebelschleier umhüllten uns bis wir die Stadt erreicht hatten. An der großen Kreuzung bei der Bäckerei bogen meine Freunde schließlich ab. Ich lächelte ihnen noch nach, bis sie verschwanden und ich nun alleine weiterfuhr. Ich überholte die Autos, raste über die Ampel, kurz bevor sie auf rot sprang und schlug dann einen Feldweg ein.
Mystische Schatten gewannen gegen das schwache Licht, das voller Elan versuchte, durch das dichte Blätterdach hindurch zu dringen. Doch vergeblich. Auch wenn es erst früher Morgen war, meine Augen leuchteten in der Dunkelheit bis ich das Haus meiner Familie schon von Weitem erkannte.

Am Montagmorgen stießen wir alle lässig zusammen. Hailey, Grace, Lynne, Abby, Melina, MR, Chris, Jeff und ich, wir kamen wie im Film einzelnd oder mit mehreren aus den Gassen und schlenderten mit Händen in den Hosentaschen und im leichten Modelgang den Weg entlang zur Schule.
Wegen dem Brand machten wir keinen Unterricht mehr im Schulgebäude, dafür in speziellen Containern, die Bauarbeiter für uns am Wochenende gebaut hatten. Wär witzig, wenn sie den Typen von Freitag gefunden hätten.
Wir gingen still an den Werbeplakaten vorbei und um die Ecke, als ich und Jeff plötzlich stehen blieben. Die anderen mussten aufpassen, dass sie nicht über uns fielen. ,,Wow!", rief Chris und fing sich wieder auf. ,,Ja gut, auch mal weitergehen?", fragte Hailey und Grace schmunzelte grinsend. Doch wir antworteten nicht, denn gerade kam eine Person auf uns zugelaufen. Leah. Ihr leuchtender Körper und ihre noch mehr strahlenden blutroten Augen verrieten uns, dass sie wieder gesund war, was in mir eine große Welle der Erleichterung ausbreiten ließ.
Als sie bei uns war, bekamen wir jedoch keine Umarmung oder ähnliches. Stattdessen plapperte sie los: ,,Leute, ich hab's in der Zeitung gelesen! Wer, verdammmt, hat versucht unsere Schule abzufackeln?" Leah blickte durch die stille Runde. Nach einigen Sekunden hob Chris langsam die Hand und sagte: ,,Hi." ,,Hey.", lachte Leah und wir stimmten in ihr Lachen ein.
Zusammen mit dem Creepygirl gingen wir weiter. ,,Wir war es im Krankenhaus, Leah?", fragte Lynne etwas später. Leah sah zu ihr. ,,Abgesehen davon, dass ich einen Anfall hatte, sterbenslangweilig." Grinsend schaute sie mich an. ,,Und was gibt's noch so neues?" ,,Na ja, eigentlich...", setzte ich an, doch weiter kam ich nicht.
Wir kamen am Schulgebäude oder besser gesagt, das was davon übrig geblieben ist, an. Die ganze Wand war vom Feuer zerstört und verbrannt. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie wir alle dort vor drei Tagen ohne die geringste Ahnung hinein gegangen waren, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass wir ein paar Stunden später wieder wegen einem riesigen Brand hinaus flüchten würden.
Aber das war nicht der Grund wieso ich nicht weiter reden konnte.
Vor einer umgefallenen, zerstückelten Tür stand der Direktor. In seinem alltäglichen Anzug mit der roten Krawatte und dem weißen Hemd darunter, blickte er auf die Scharr der Schüler, die wie wir stehen geblieben waren und aufgehört hatten zu tuscheln. ,,Ich habe eine Ankündigung für euch.", sagte er laut, sodass alle es hören konnten. ,,Statt dem normalen Unterricht wird es heute eine große Versammlung auf dem Schulhof geben. Es ist sehr wichtig. Bitte trefft euch alle in spätestens 10 Minuten dort." Er drehte sich um und stieg über die Steinbrocken in die noch vorhandene Schule.
Im nächsten Moment brach ein aufgeregtes Geflüster auf dem Parkplatz aus. Jeff, Leah und ich drehten uns zu den anderen, um eine eigene Besprechung zu führen. ,,Was meinen die wohl damit?", fragte Abby und sprach somit unser aller Gedanke aus. ,,Wir wissen doch schon inzwischen alle, dass die Schule abgebrannt ist." ,,Beweisstück A.", fügte Leah noch hinzu und nickte zum Gebäude. MR überlegte. ,,Vielleicht wurde ja etwas gestohlen." ,,Genau.", sagte Melina mit tiefer, ironischer Stimme. ,,Das will ich sehen. Ein Dieb, der während eines Feuerbrandes - die Betonung liegt ganz klar auf Feuer - teuren Schmuck oder was weiß ich klaut." ,,Sehe ich auch so. Am besten wir gehen jetzt los, dann werden wir es erfahren.", schlug ich vor und meine Freunde nickten zustimmend, bevor wir den anderen Schülern hinterher trabten.
Nachdem wir uns durch die Übermenge an Schülern durchgeschlängelt hatten und auf dem Schulhof einen guten Platz gefunden hatten, stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um größtenteils zum Direktor blicken zu können. Alle anderen Lehrer standen hinter ihm, alle in ganz feiner Kleidung. Ein bisschen zu fein für meinen Geschmack. Der Direktor hatte ein Mikro in der Hand, das er antippte. Es folgten kurze, dumpfe Schläge und die Schüler sahen auf. ,,Sehr schön, dass ihr alle da seid..." ,,Ich hoffe, es ist nichts schlimmes." Ich sah zu meiner Rechten und erblickte Lynne. Ihre mintgrünen Augen blitzten unter der Kapuze auf. ,,Ich hoffe es ist nichts mit uns.", erwiderte ich murmelnd. Lynne schaute mich fragend an, ihre Augenfarbe änderte sich schlagartig zu grau. ,,Was meinst du?"
,,Keine Ahnung, hab nur so ein komisches Gefühl.", meinte ich immer noch zögernd. Als Abby uns wütend zuzischte, wir sollten unsere Klappe halten, verstummten wir beide schlagartig. Schnell blickte ich zum Direktor. ,,Es tut mir Leid, dass ihr es so erfahren müsst, doch ihr habt das Recht es zu wissen. Bei dem Brand ist euer Sportlehrer Mr. Fitz gestorben." In Sekundenschnelle brach blankes Entsetzen unter den Schülern aus. Alle starrten sich an und tuschelten aufgeregt miteinander.
Mr. Fitz war unser absoluter Lieblingslehrer gewesen. Er war immer super nett, lustig, gab uns gute Noten und sah mega gut aus, wie Melina es mal erzählt hatte.
Der Direktor fuhr hastig fort: ,,Die Ärzte haben herausgefunden, dass Mr. Fitz mit einem Tuch erstickt wurde, welches die Feuerwehr nach dem Brand neben seiner Leiche gefunden haben. Der Täter hat das Tuch in ein Betäubungsmittel getränkt und so Mr. Fitz erstickt. Die Polizei ist schon die ganze Zeit auf der Suche nach dem Mörder. Nun zu euch: Wer war zur Zeit des Brandes in der Schule außer den Lehrer?" ,,Wusste ich's doch.", dachte ich und biss auf meine Lippe. Meine Klasse blickte sich unsicher um, doch schließlich hoben einige, darunter Jack und Chris, die Hände. John blitzte die beiden an und trat ihnen gegen das Schienbein. ,,Au!! Bist du dumm? Was soll das?"
,,Ruhe!", brüllte der Direktor und aus dem Mikro schoss ein unerträglich hoher Ton heraus, sodass wir uns alle die Ohren zuhalten mussten. ,,Äh, ja..." Der Direktor schmiss das Mikro in eine Kiste hinter sich. Ein weiterer Ton durchfuhr unsere Nerven, danach ein Rumpeln, die Geräusche erstarben. Wir sahen wieder zum Direktor, während wir die wutentbrannten Blicke der anderen Schüler in unseren Nacken spürten. Also, wenn Blicke töten könnten, wären wir wahrscheinlich jetzt schon auf unserer Beerdigung. Und auch die sonstige neutrale Freundlichkeit des Direktors war verflogen. ,,Heute.", sagte er mit drohender Stimme und zusammengekniffenen Augen. ,,In meinem Büro, 2. Stunde." Wir sagten weiterhin nichts, nickten nur stumm. ,,Ihr dürft jetzt gehen. Alle.", knurrte er zum Abschluss und drehte uns den Rücken zu.
Sofort spürte ich Leahs Arme, die meine fassten und mich zu den anderen zogen, die sich eilig auf den Weg gemacht haben. Als wir uns ihnen angeschlossen hatten, hielt es Liu, ein Schüler aus der Paralellklasse, nicht mehr aus. ,,Na, das habt ihr ja ganz toll gemacht!" Die anderen und ich drehten uns abrupt zu ihm um. Lius goldfarbenes, schulterlanges Haar erinnerte trotz der Glätte an eine Löwenmähne und in seinen schwarzen Augen blitzte und donnerte es gewaltig.
Lynne biss sich wütend auf die Unterlippe und ging auf ihn zu. Alle, die um uns standen, wichen Lynne aus und bildeten einen Kreis um die beiden. Liu verschränkte die Arme und ließ sich von Lynne nicht im Geringsten einschüchtern, sondern behielt seinen eiskalten Blick. ,,Glaubst du das im Ernst?", fragte ihn Lynne. ,,Glaubst du allen im Ernstes, wir hätten unseren Sportlehrer gekillt?" Liu hob die Schultern. ,,Du hast den Direktor gehört. Der Mord ist während dem Brand passiert. Und ihr wart die einzigen, die zu diesem Zeitpunkt da waren. Darüber hinaus: Zutrauen kann man es ja euch." Ein gemeines Lädcheln kräuselte sich auf seinen Lippen und dieses Lächeln ließ meine Hände zu Fäusten werden. Doch Nick war schneller als ich. ,,Wow, wow, wow! Immer schön langsam, Liuli!" Liu sah über Lynnes Schulter zu unserem Klassenkameraden. Nick trat einen Schritt nach vorne und erklärte: ,,Bis jetzt hat niemand hier wörtlich bestätigt, dass wir an diesem Tag wirlich hier waren." Mit einem aufgesetzten selbstbewussten Grinsen verschränkte er wie Liu die Arme vor der Brust.
Für einen kurzen Moment herrschte tatsächlich ein Funke Hoffnung.
Aber eben nur für einen kurzen Moment.
Hinter mir sprang Luke plötzlich auf, in seiner Hand sein Smartphone. ,,Leute! Ich habe gerade unser Gruppenselfie von der Party am Freitag auf Insta gestellt!" Leah, Jeff und ich schlugen uns gleichzeitig die Hand vor die Stirn. Lynne holte tief Luft, um nicht zu explodieren. Abby stöhnte mit geschlossenen Augen und in den Nacken gelegten Kopf laut auf. ,,Oh, Luke..." Luke wurde tomatenrot vor Scham und machte sich ganz klein. ,,Sorry.", murmelte er noch und verkrümelte sich dann hinter Mark. Nun war es Liu, der grinste. ,,Nach der zweiten Stunde werden wir es ja erfahren. Bin gespannt welche Strafe ihr bekommt." Lynne wollte sofort zurückkontern, aber da tauchte Abby schon neben ihr auf. Den Arm lässig auf Lynnes Schulter gelegt, meinte Abby leichthin: ,,Vielleicht müssen wir ja deine zu große Fresse polieren. Wäre auf jeden Fall sehr nützlich." Abbys Schwester unterdrückte ein Lächeln und gemeinsam drehten sie sich um, sodass das Haar der beiden Schwestern herumwirbelte und Lius Gesicht traf. Unsere ganze Klasse musste aufpassen nicht laut loszulachen.
,,Das war der Hammer, Abby!", strahlte Grace und gab dem Vampirmädel ein High-Five. Im nächsten Moment dröhnte die Schulklingel in unseren Ohren, während Lius Freunde und Klassenkameraden den vor Wut kochenden Creepyboy anstarrten. ,,Na dann los." Ich stellte mich nach vorne und schritt selbstbewusst voran, die anderen folgten mir grinsend. ,,Das wird ein Kinderspiel."

10 Minuten später standen 32 Schüler aus der 8b im Büro des Direktors. Der Ventilator surrte leise auf dem Schreibtisch, hinter welchem der Chef in seinem Ledersessel saß. In seiner Hand spielte er mit einem Bleistift herum, indem er ihn zwischen Daumen und Zeigefinger herumwirbeln ließ. ,,So", begann er. ,,Ihr habt also unseren Sportlehrer umgebracht." ,,Wir haben ihn nicht umgebracht!", rief Jeff aufgewühlt dazwischen. ,,Leise.", meinte der Direktor nur ruhig. Jeff schnaubte, hielt dann aber doch seinen Mund. Der Direktor fuhr fort: ,,Jedenfalls habe ich mit der Polizei gesprochen. Sie haben ebenfalls keinen einzigen Beweis, der gegen eure Beschuldigung spricht. Daher wird euch alle morgen früh eine Gerichtsverhandlung erwarten." ,,Eine Gerichtsverhandlung?", stutzte Chris hinter mir, als habe er sich verhört. ,,Sie meinen diese Art Zeremonie, wo alle in teuren Anzügen und Kleidern gestopft werden?" ,,Genau die meine ich, Mr. Brown." Über das Gesicht des Direktors huschte ein schwaches Lächeln. Ich unterdrückte mir mein Ausrasten. Wieso hätten wir das tun sollen? Zugegeben, wir habt nicht das kleinste Problem mit allem was mit Mord zu tun hat, aber unseren Lieblingslehrer? Ich fühlte mich wie Simba aus Der König der Löwen und der Direktor spiegelte sich als der Bösewicht Scar wieder. Mein Gefühl sagte mir, dass dies zu 1000% stimmte.
,,Also, morgen 9 Uhr. Bei dem Arbeitsamt, das ein Block von hier entfernt ist. Verstanden?" ,,Verstanden, Sir.", antworteten wir murmelnd. Dann durften wir endlich den Raum verlassen.

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