Jacks Geheimtraining

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Der kalte Asphalt des Gehwegs führten entlang einer verlassenen Turnhalle. Ich war für mich allein und setzte problemlos einen Fuß vor dem anderen auf den Bordsteinrand. Die Sterne funkelten am dunkelblauen Himmel und es wehte ein starker Wind, doch der Stoff meines Pullovers schützte mich vor der Kälte. Inzwischen hatte ich mir ein ganzes Album von Chillstep angehört und so blieb ich stehen, nahm meine Kopfhörer ab und wickelte sie gähnend zusammen. Mal wieder hatte ich alle Zeit der Welt um zuhause zu sein, weshalb ich leise summend den Weg zur Turnhalle einschlug. Ich ging gerade an der großen Eingangstür vorbei, als ich von drinnen ein leises, kurzes Geräusch hörte.

Ich blieb stehen und mein Kopf drehte sich zur Tür. Nichts. Ich drehte mich um, hielt mein Messer bereit und linste durch das Fenster. Tatsächlich: Irgendwo am anderen Ende des Ganges flackerte ein schwaches Licht aus Halle A.

Ich ging ein paar Schritte zurück und mein Blick blieb auf einem gekippten Fenster kleben. Entschlossen schlich ich schnell dahin, steckte mein Messer weg, fasste nach einem Rohr um es hinaufzuklettern und war im Nu im Flur. Dunkle Stille herrschte hier und ich griff erneut nach meiner Waffe. Da hörte ich es wieder, dieses seltsame Poltern. Leise und vorsichtig ging ich durch den einsamen Gang und auf das helle Licht zu. Als ich im Türrahmen stand, huschte ein überraschender Gesichtsausdruck über mein Gesicht. Jack, der Werwolf aus meiner Klasse, stand mit dem Rücken zu mir in der Mitte der Turnhalle und vor ihm ein hölzerner Rüstungsständer, den ich bis jetzt nur aus Minecraft kannte. Jack schien sehr konzentriert und bemerkte mich deshalb nicht. Ein langes glänzendes Schwert lag fest in seiner Hand und er trug auch einen pechschwarzen Ninja-Anzug. Auf dem Griff der Waffe prangte ein blitzender Haizahn.

Als ich einen Schritt auf ihn zumachte, wirbelte Jack blitzschnell herum und hielt mir dabei das lange Schwert entgegen, die scharfe Klingenspitze deutete mir genau auf die Kehle. Abwehrend hob ich die Hände. ,,Oh, sorry, Michael, du bist's." Jack ließ das Schwert senken und blickte mich leicht verlegen an. Ich bin wohl der erste, der ihn bei seinem Ninja-Kampf erwischt hat.

,,Hey Jack, was... tust du hier genau?" Ich blickte mich ein wenig um und meine Augen blieben bei seinen hängen. Jack nahm seine Mundmaske hinunter und räusperte sich kurz: ,,Also, als Werwolf verbringe ich schon lange sehr viel Zeit mit Kampfkünsten, insbesondere der Samurai. Ich liebe sie! Die Tarnung, die Waffen..." Im nächsten Moment hob er sein Schwert, welches sich nun zusammenschob und er nur noch den kleinen Haizahn in der Hand hielt. Diesen schob er grinsend an seine Kette, die sich klickend mit dem Zahn verschloss. Bewundernd starrte ich ihn an.

,,Wow! Das ist cool." Jack lachte. ,,Danke." ,,Was baust du denn noch so? Ich meine, außer dieses Schwert." ,,Nun, eigentlich alles.", meinte Jack leichthin. ,,Ich verwende so gut wie alles wieder und baue aus den unbrauchbarsten Kleinigkeiten etwas ganz Großes. Gerade bastle ich an einer neuen Ninja-Rüstung." Jack sah sich um und beugte sich ganz leicht nach vorne. ,,Willst du was cooles sehen?" ,,Klar!" Jack richtete sich wieder auf, schob sich Mittel- und Zeigefinger in den Mund und stieß einen lauten Pfeifton aus. Ein kurzes Fauchen, das jedoch wie aus einer alten Whatsappaudio klang, ertönte. Mein Kopf drehte sich zu den Tribünen und aus ihnen kamen zwei großkatzenähnliche Roboter heraus. Ihre Augen leuchteten giftgrün auf und in mechanischen Sprüngen kamen sie auf uns zu. Vorsichtig machte ich ein paar Schritte zurück. ,,Keine Sorge, die tun dir nchts!", lachte Jack. ,,Das sind meine Haustiere. Darf ich vorstellen: Tigres und Chico." Nun erkannte ich auch, dass die beiden jeweils ein Tiger und ein Gepard waren und sie eine erstaunlich reale Größe haben. Beide setzten sich gleichzeitig hin und Chico leckte sich mit der metallgrauen Zunge über die Pfote, die spitzen Krallen eingezogen.

Jack gab mir ein Zeichen, dass ich wieder zu ihm kommen sollte. Jack nickte zu seinem Tiger und zögernd strich ich mit der Handfläche über Tigres Kopf. Zu meiner Überraschung schloss das Tier die Augen und begann tief zu schnurren. Jack und ich lachten. ,,Wow, das ist der Wahnsinn!", strahlte ich ihn an. Lässig tat Jack die Hände in die Taschen seines Anzugs. ,,So? Dann pass mal gut auf!" Er hob die Hände und klatschte zweimal. Mein Kopf schnellte nach oben, als sich ein großer Schatten über uns wölbte.

Das, was ich dort sah, verschlug mir den Atem. An der Decke tauchte ein riesiger Roboter-Drache auf, der sanft auf den Boden zuflog und sich neben uns niederließ. Der Wind, den er bei sich trug, traf mich im Gesicht und pustete mir die Kapuze von den Haaren. Jack musste lachen und legte liebevoll eine Hand auf den zahmen Drachen. ,,Darf ich vorstellen? Bam!" Ich zog mir den Stoff wieder über den Kopf und sah in die funkelnden, doch freundlich roten Augen. ,,Und wie heißt er?" ,,Na, Bam!" ,,Ach soooo!" Grinsend und mit klopfenden Herzen fuhr ich mit der Handfläche über Bams Stirn. Der Drache atmete ein modriges Gas aus seinen Nüstern aus und ließ mich auflachen. Jack grinste zufrieden und rieb dem Drachen den Bauch, als dieser sich ein wenig erhob.

,,Ach ja, ich habe hier noch etwas für dich..." Überraschend sah ich ihn an. Jack kramte kurz in seinen Taschen, dann hielt er mir ein schwarzes Armband entgegen, ebenfalls mit einem Haizahn. Jack drückte auf den Zahn, worauf blitzschnell ein scharfer Dolch herausragte. Ungläubig starrte ich auf das Geschenk. ,,Hamma!" Jack grinste und legte es mir im Handumdrehen um. Begeistert betrachtete ich meine neue Waffe. Schließlich hob ich meinen Kopf erneut. ,,Noch ne Frage: Wie bringst du dir das Kämpfen bei?" Jack überlegte. ,,Ich tu es einfach. Manchmal auch mit meinem Bruder, aber eigentlich alleine. Wenn du willst, kann ich dir was beibringen." Er grinste, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. ,,Oh, äh, keine Ahnung..." ,,Komm schon! Ich werde dich schon nicht umbringen!", lachte Jack und schickte Tigres und Chico auf die Tribüne. Bam gesellte sich zu ihnen und nun hatten Jack und ich die ganze Halle für uns. ,,Los geht's, ich zeige dir ein paar simple Kampftechniken.", meinte Jack und stellte sich in die Mitte. Ich seufzte innerlich. Na super...


Circa drei Minuten später flog Lynne an den schwarzen Wolken vorbei. Der Wind brachte ihr eine angenehme Kühle ins Gesicht. Sie bleckte sich die Eckzähne, als sie ein helles Licht aus der naheliegenden Turnhalle unter sich erblickte. Lynne brachte sich in eine passende Position und sauste pfeilschnell auf das Dach zu. Noch im Fliegen erkannte sie mich, wie ich schwer atmend über den Boden rollte und schließlich liegen blieb. ,,Michael!" Sie kniff die Augen zusammen, um die Tränen wegen dem starken Wind zu stoppen und flog weiter.


Ich blieb auf dem Boden liegen, nachdem Jack mich schon zum vierten Mal mit einer seiner genialen Attacken zu Boden brachte. ,,Jack, gib mir wenigstens eine Chance!", lachte ich, obwohl ich wenig Luft dazu hatte und mein Klassenkamerad half mir grinsend aufzustehen. ,,Nun, um ehrlich zu sein, bist du sogar ziemlich gut." ,,Das ist ein schlechter Scherz?", sagte ich grinsend, doch mit einem Mal hörten wir über uns einen dumpfen Aufprall. Verwundert darüber sahen Jack hinauf und entdeckten den schwarzen Schatten eines Mädchens. Sofort erkannte ich sie. ,,Lynne?"Der Vampir hob den Kopf von der Plexiglasscheibe und schüttelte den Kopf.

,,Ähh, willst du sie nicht darunter holen, Michael?", fragte Jack unsicher, doch ich winkte ab. ,,Meine Freundin ist ein Vampir, die kommt mit allem klar." Im nächsten Moment schaffte es Lynne, das Fenster zu öffnen und ließ sich fast lautlos in die Turnhalle hinein gleiten. Schnell landete sie vor uns und richtete sich auf. ,,Michael! Ist alles okay? Ich habe nur gesehen, wie du..." ,,Hi, Lynne.", unterbrach Jack sie. ,,Hi Jack. Und ich habe mir echt Sorgen gemacht, dass dir was... Warte, Jack?" Jack grinste sie breit an und ich legte lachend einen Arm um Lynnes Schulter. ,,Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Wie süß von dir, aber es ist alles gut. Ich habe nur Jack hier getroffen und wir haben nur ein bisschen... unsere Kraft ausgemessen." Lynne sah an mir vorbei zu Bam, Tigres und Chico, die bereits friedlich schlummerten. Völlig ratlos sah sie wieder Jack an, der leise seufzte. ,,Okay, ich erklär's dir... Nochmal..."

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