So in etwa ging es die nächsten Schulwochen weiter, bis wir uns schließlich wieder im friedlichen Herbst wiederfanden. Goldbraune und dunkelrote Blätter wirbelten herum und bedeckten die millionen Kastanien, die bereits von den Bäumen gefallen sind.
Bei gemütlichen zwölf Grad befand ich mich mit meinen Freunden auf dem Schulhof und gemeinsam warteten wir noch auf Abby und Lynne, die fast immer als Letzte kamen.
Während die anderen zusammen quatschten, Leah mir von ihr und Speed erzählte und Jeff mit Chris Stein, Schere, Messer spielte, kamen zwischendurch ein paar andere Creepyschüler und schlenderten ins Schulgebäude.
Als Melina mir gerade aufgeregt neue Posts von Shay zeigte, sah ich im Augenwinkel wie Abby schnell auf uns zu zischte. ,,Oh, hi Abby.", meinte Chris grinsend und wandte sich von dem beleidigten Jeff ab, der nun schon zweimal hintereinander verloren hatte. Abby streckte ihre Beine in der Luft aus und sank immer tiefer bis sie mit einem Klack die Sohle ihrer Stiefel auf den Boden absetzte. Sie war ein wenig außer Atem und blickte mich daraufhin an, einige blonde Haarsträhnen hingen zwischen den grauweißen Augen. Ich lächelte sie freundlich an, bemerkte dann aber, dass irgendetwas nicht stimmte. ,,Michael. Wo ist Lynne?", fragte Abby mich dann.
Ich starrte sie an und spürte direkt die Blicke der anderen auf mir ruhen.
,,Lynne? Ich...weiß nicht, war sie nicht zuhause?", fragte ich unsicher und Abby stöhnte gereizt. ,,Nein, du Dummkopf! Sonst würde sie ja logischerweise neben mir stehen. Lynne hat mir gestern Abend noch geschrieben, dass sie bei dir übernachten würde. Also, jetzt raus mit der Sprache!" Abby trat nun einen Schritt auf mich zu, ihre Augen blitzten jetzt schon gefährlich auf. Ich hob beide Hände und war mehr als irritiert. ,,Was sagst du da? Lynne war nach unserem Treffen nicht mehr bei mir, sie ist nach Hause gegangen!" ,,Alleine? Du lässt sie einfach so nach einer Verabredung alleine nach Hause gehen ohne sie noch zu begleiten? Du bist ja ein toller Freund!", fauchte Abby und ich konnte ohne hinzusehen spüren, wie sich der Rest während unserem Streit anstarrte. Doch nun stieg in mir ebenfalls eine Wut wegen Abbys Vorwürfen hoch und ich ballte heimlich die Fäuste. Entschlossen ging ich wieder auf Abby zu, sodass wir auf Augenhöhe direkt gegenüber standen.
,,Warum auf einmal so fürsorglich, Abigail?" Die anderen hielten die Luft an. Normalerweise wäre ich allerspätestens jetzt gestorben, doch Abby behielt ihren eiskalten Blick mit rot funkelnden Augen, ohne etwas zu sagen.
Bevor sie auch noch etwas erwidern konnte, mischte sich schnell Melina ein:
,,Yo, Leute! Bitte chillt mal alle eure Base. Danke. Und jetzt hört auf zu streiten, wir müssen uns wirklich Gedanken über Lynne machen.", beteuerte das Gurl.
,,Melina hat recht.", stimmte Chris zu. ,,Alles andere hat keinen Sinn. Wir müssen irgendwas tun." ,,Vielleicht können wir ja ihren Nachhauseweg von Michaels Haus aus absuchen. Man kann ja nie wissen, ob man etwas findet.", überlegte Jeff.
Leah verdrehte die Augen. ,,Jeff, Lynne ist ein Vampir. Vampire fliegen."
,,Besteht die Möglichkeit, dass sie auch mal zu Fuß geht? Und wenn ja, welchen Weg nimmt sie dann, Michael?", fragte mich Detective MR. ,,Nun, wenn er sie denn mal begleitet.", zischte Abby mich von der Seite an, doch ich sah nicht zu ihr rüber.
,,Abby!", sagte Melina laut. ,,Komm schon." Abby überkreuzte die Arme und sah auf ihre Stiefel. ,,Sie fliegt eigentlich immer. Selten geht sie mal zu Fuß, in die Stadt oder so." ,,Selten ist etwas.", meinte MR trotzdem und sah nun mich erwartungsvoll an. Ich erwiderte kurz den Blick und meinte dann leise: ,,Wir spazieren manchmal in der Nähe meines Hauses. Die Straße verläuft direkt in den Park."
,,Perfekt, ich würde sagen, wir machen uns gleich auf die Suche.", schlug Leah vor und wir alle waren einverstanden. Sie gingen wieder zurück zum Schultor, doch Abby und ich blieben stehen. Abby sah mich kurz ernst von der Seite an, dann hob sie stolz vom Boden ab und schwebte hinter den anderen her.
Ich seufzte in mich hinein. Das konnte doch nicht wahr sein. Meine Freundin war einfach weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich atmete durch und hörte daraufhin ein fragendes ,,Bro?". Ich sah auf und entdeckte Jack vor mir. Besorgt sah er mich an.
Ich sah in seine Augen, seufzte und klatschte bei ihm im Vorbeigehen ab, bevor ich zu den anderen joggte. Jack sah mir noch kurz nach, dann verschwand er in der Schule.
Etwa eine Stunde suchten wir in der morgendlichen Frische die Straßen nach Lynne ab. Während andere arbeiteten um etwas großes in ihrem Leben zu erreichen, wühlten wir in Büschen herum, lugten hinter Häuserecken und betraten leer aussehende Gassen. Doch weit und breit keine Spur von Lynne.
Hin und wieder sah ich zu Abby hinüber. Das Mädchen holte zum zehntausendsten Mal ihr Handy hervor und tippte eine Nachricht für Lynne. Abby seufzte. Sie hatte sich also noch nicht gemeldet. ,,Und, Leute? Wie sieht's bei euch aus?", fragte Chris ein wenig später und wir alle versammelten uns auf der leeren Straße.
Jeff sprang auf ein paar Mülltonnen aus Blech und trottete dann zu uns.
,,Keine Spur." ,,Nein, nichts." ,,Und jetzt?" Dann war erst gar nichts.
Wir überlegten oder sahen nur auf den Boden. ,,Was ist mit der Polizei?", fragte Leah dann. ,,Die Bullen?", wiederholte Chris irritiert. ,,Was sollen die uns bringen?"
,,Sie könnten eine Suchmeldung veröffentlichen. Los, kommt!" Und schon rannten wir los.
,,Was soll das heißen, Sie können eine Suchmeldung erst in 24 Stunden erstatten?"
Wir standen zu siebt vor einer Theke, hinter der zwei Polizisten in Uniform und bekanntlicher Morgenmuffel-Laune saßen. Einer von ihnen kratzte sich an seinem acht-Tage-Bart und sprach, ohne vom Bildschirm seines Computers wegzusehen: ,,So sind die Vorschriften." ,,Die Vorschriften gehen mich einen scheiß an.", knurrte ich und stellte mich dicht vor die Theke. Der Polizist sah mich nur kurz an und machte dann mit seiner Arbeit weiter. Ich musste mir wirklich ein Aufbrüllen und Zücken meines Messers zurückhalten. Schließlich verließen wir wieder den Laden.
,,Das ist ja echt super gelaufen.", murmelte Chris ironisch. Wir traten wortlos über den Asphalt, bis Leah nun anfing sich zu fragen, wo Lynne sich gerade befand.
,,Ob sie entführt wurde?" Jeff und wir anderen machten eine dramatische Pause.
,,Nein, ich glaub nicht.", meinte Jeff dann doch.
Ich hörte neben mir ein leises Schluchzen. Wir alle drehten uns zu Abby, die die Arme stur überkreuzt hatte und eine einzige Träne ganz langsam über ihre vampirblasse Wange rannte. Ich unterdrückte mir ein Seufzen, ging zu dem Mädchen hinüber und nahm sie einfach in denArm. ,,Wir werden sie finden. Versprochen.", sagte ich und Abby tat ebenfalls die Arme um meine Schultern. Kurz darauf ließen wir uns los und drehten uns zur Gruppe. Chris nickte mir zu und sah dann auf den Boden.
Zunächst hatten wir wirklich keine Ahnung, was wir sagen sollten.
In mir sammelte sich große Verzweiflung. Wo war Lynne?
Und als hätte ich gerade laut gefragt, bekam Abby eine Nachricht. Blitzschnell zückte sie ihr Handy und wir alle starrten sie an, aufgeregt auf eine Antwort wartend.
Während Abby auf das Display starrte, vergrößerten sich ihre Augen. ,,Oh mein Gott..." Wir stellten uns als Kreis hin und Abby streckte den Arm aus, damit wir alle einen Blick auf die Nachricht werfen konnten. Es war ein Video einer Live-Kamera.
Lynne saß gefesselt in einem kerkerähnlichen Raum. Ihre Arme und Beine waren zugebunden und ihr Mund mit einer Stoffbandage verdeckt. Die Kamera zeigte nur schwarz-weißes Licht, sodass Lynnes dunkle Augen ängstlich den Raum absuchten.
Das Bild blieb stehen und ich starrte ungläubig auf die unordentlichen Haare und den zitternden Körper meiner Freundin. Wer zur Hölle tat so etwas unverzeihliches?
Da verschwand das Bild und eine Nachricht tauchte auf, welche meine Augen noch größer machen ließ:
Wenn ihr Lynne je wieder sehen wollt, dann muss sich Michael Dawson innerhalb der nächsten 24 Stunden stellen!
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CREEPY-KLASSE
HumorEine kleine Horrorstory, die aus der Sicht des 14-jährigen Michael Dawsons erzählt und erlebt wird. Mit seinen Freunden und seiner Klasse erlebt er viele coole, lustige und natürlich bescheuerte Momente. Was steckt hinter den beiden Schwestern Abby...