Die Scheinwelt

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Am nächsten Tag hatte ich ein sehr unangenehmes Gespräch mit meiner Mutter gehabt. Es war als wenn sie von allen Dingen wusste. Auch wenn ich mir zu 100% sicher war , dass das nicht möglich sein konnte gab sie mir trotzdem das Gefühl es wäre so. Das ist keineswegs gut. Meine Mutter dürfte das niemals erfahren. Dann könnte sie sich nämlich schon denken was ich vorhatte und es verhindern. Aber ich denke sie ist nicht in der Lage schon so weit zu denken.

,, Weißt du, Tante Chelsea meinte das nicht so. Du bist dünn genug. Sehr dünn sogar'' , sagte sie plötzlich als ich ihr half in der Küche aufzuräumen. ,, Gut dass du heute gegessen hast. Nicht zu wenig und nicht zuviel.'' Ich dachte nach. Sie redete Blödsinn. Ich habe wieder einmal zuviel gegessen. Nicht aus großem Hunger, sondern aus Frust. Trotzdem gab ich ein ,,Ja ich weiß.'' von mir. Hier wollte man das so. Sie wusste wahrscheinlich dass ich es nicht so meinte und trotzdem grinste sie mich an. Ob sie verstand dass ich log? Bestimmt. Aber das ist ja Standart. Ich beschloss das Spiel weiter zu spielen. ,,Ich bin absolut nicht fett. Ich höre nicht auf Tante Chelsea. Im Gegensatz zu ihr bin ich perfekt.'' ,,Da gebe ich dir Recht. '', sagte sie mit einer freudigen Stimme. Ich lächelte sie an. Ich bin verdammt gut darin. Vielleicht sollte ich anfangen sie zu manipulieren oder so. ,, Du bist eine gute Mutter.'' Das kam unerwartet für sie. Sie sah mich glücklich an und gab mir ein Kuss auf die Wange. Wow, sie war echt naiv. Ich merkte langsam dass ich so wie sie wurde. Ich lüge sie genauso an wie sie mich. Sie tut es für dein Schein, für eine ''perfekte Familie'' die man auch in der Öffentlichkeit zeigen kann. Ich wusste nicht wieso ich das tat. Ich machte es so sarkastisch , dass man es eigentlich bemerken sollte. Aber langsam kaufte ich ihr ab, dass sie es nicht sah. ,, Ich muss noch was erledigen.'' Meine Mutter sah auf. ,,Okay'' , sagte sie mit einer falschen Freundlichkeit. Ich hielt mich wieder zurück, wieder einmal hab ich meine direkte und ehrliche Seite verschlossen. Trotzdem habe ich sie nicht vergessen.

Ich ging wieder ins Bad. Diesmal ließ ich das Wasser nicht laufen. Wenn meine Mutter mich hören wird , lüg ich sie wieder an. Mir wäre bloß schlecht gewesen. Sie wird antworten mit : ,, Hm ja okay. Ich gebe dir eine Tablette gegen deine Übelkeit.'' Natürlich wissen wir beide dass mir nicht schlecht ist. Trotzdem, man tut alles für den Schein. Entweder sie ''vergisst'' mir die Tablette zu geben, oder ich schluck sie einfach runter. So wird das alles enden und die Sache ist vergessen. Meine Mutter hat wahrscheinlich selbst ein Problem mit dem Essen. Sie schneidet alles was sie isst in 1000 Stückchen, isst langsam und nicht einmal die Hälfte von ihrem Essen. Ich sehe es Menschen sofort an. Meistens reden essgestörte Menschen sehr viel beim Essen, damit die anderen nicht sehen, dass sie im Moment gar nicht isst sondern alle ablenkt. Wenn ich versuche Andeutungen zu machen, blockt sie sofort ab. Auch ein weiteres Anzeichen. Aber ich habe genug Probleme und ich bin auch kein Psychologe oder sowas. Sie ist alt genug um sich selber Hilfe zu suchen. Ich bin nur ihre Tochter und egal was ich tue und sage ist nicht richtig. Weil es einfach nicht echt ist.

Als ich fertig war putze ich sofort die Zähne. Es ist so verdammt ekelhaft. Ich will das gar nicht mehr. ,Du musst' , flüsterte sie. Na klar muss ich. Mein Hals brannte doch es war mir egal. ,Es ist noch nicht alles draußen.' Ich rollte meine Augen. 'Okay okay',antwortete ich. 'Ich mach ja schon'. Wieder einmal. Voller Erwartung steckte ich mir wieder meinen Finger in den Hals. Erfolglos. ,Geb nicht auf. Dreh dich im Kreis.' Natürlich tat ich das. Ich erbrach wieder. Diesmal war ein bisschen Blut dabei. Das freute mich. Das hieß es ist alles draußen. ,Gut gemacht.' Zum ersten Mal lobte sie mich. Es zauberte mir ein Lächeln auf meine Lippen. ,Trotzdem, du hast gegessen und mich ignoriert. Ich will dass du dich bestrafst dafür.' Mein Lächeln verschwand. Bestrafen? 'Wie meinst du das?' ,Ich will dich bluten sehen.' Niemals. Niemals könnte ich das tun. Ich war wieder bei Verstand. 'Ich mache das nicht' ,Widersprichst du mir?' , fragte sie mich mit einer angsteinflössenden Stimme. Ich stand auf und holte mir aus dem Badezimmerschrank eine Rasierklinge. 'Ich will das nicht! Bitte hör auf' Als Antwort kam nur ein hässliches Gelächter. Ich schmiss die Klinge aus meiner Hand. Mein Atmen wurde immer schneller. 'Nein verdammt ich kann das nicht.' Ich hatte Angst. ,Mach es jetzt' schrie sie. Ich versuchte rauszugehen doch ich konnte nicht. 'Wer bist du verdammte scheiße.' Ich konnte das nicht fassen. Ich könnte mich niemals schneiden, einfach so? ,Du hast es verdient Schlampe' Jetzt ging es wirklich nicht mehr. Ich lag auf dem Boden und konnte nicht mehr vor Weinen. Die Tränen gaben mir eine verschwommene Sicht auf alles. Ich sah nur noch die Klinge neben mir auf dem Boden liege. Ich nahm sie einfach und tat es.

Als ich es langsam realisierte was ich gerade tat wurde mir extrem schlecht. Diesmal wirklich. Schnell lief ich zum Waschbecken, dass sich sofort rot färbte. Ich sah mir meine Arm an und dachte ich kotz gleich. ,Endlich hast du es verstanden. Du kannst mir nicht widersprechen, versuche es schon gar nicht' Ich konnte es einfach nicht fassen. Wieder sah ich auf meinen Arm. Ich fing wieder an zu weinen. Doch das Weinen mutierte langsam zu einem Lachen. Ich lachte mich selber aus, für das was ich tat. Es war kein fröhliches Lachen, sondern ein Lachen von dem ich nicht mal wusste dass es existierte.

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