5. Ein Abend zu zweit

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Als ich dann endlich meinen Mut zusammennahm und zu unserem Tisch zurückgekehrte, musste ich feststellen, dass Jamie mittlerweile nicht der einzige war, der dort saß. Zwei blonde, relativ hübsche Mädchen hatten sich in der Zwischenzeit zu ihm gesellt und plauderten mit ihm, die Lateinbücher waren anscheinend längst vergessen. Eigentlich war ich erleichtert, nicht sofort mit ihm darüber reden zu müssen, dass er mich geküsst hatte, aber trotzdem fand ich es unangenehm, dass die beiden einfach so aufgetaucht waren, es wäre mir einfach lieber gewesen, das Ganze auf der Stelle aus der Welt zu schaffen.

"Ani!", rief mir Jamie gut gelaunt und offensichtlich vergnügt entgegen, "Macht es dir was aus, wenn ich schon Schluss mache? Ich müsste nämlich schon los, ich habe völlig die Zeit übersehen!". Zu den Blondinen gewandt fügt er schelmisch hinzu: "Nicht wahr, meine Damen, wir haben ja noch etwas vor." Er lächelte schief und noch bevor ich mehr tun konnte, als stumm zu nicken, rief er mir ein kurzes "Bis später, dann!" zu und zog er mit den beiden im Schlepptau, die in regelmäßigen Abständen unecht kicherten, egal, was Jamie zu ihnen sagte ab.

"Klar," sagte ich zu niemand bestimmten, nachdem das Trio die Bibliothek verlassen hatte und die typische menschenleere Ruhe wiedereingekehrt war, "Bis später."


*+*+*


Als ich mit mich meinem Tablett bei der Essensausgabe in der Kantine anstellte, bemerkte ich, dass ich so gut wie keinen kannte und die, mit denen ich mittags zusammengesessen hatte nicht anwesend zu sein schienen. Jenny fehlte wegen ihrer Migräne, Jamie war wahrscheinlich noch mit den beiden Mädchen vom Nachmittag beschäftigt und auch Lou und das Pärchen, Simon und Maja, verzichteten heute offensichtlich auf eine warme Mahlzeit. 

"Na toll...", dachte ich mir und biss mir überlegend auf die Lippe. Wo sollte ich mich nun dazusetzen? Ich mochte es nicht, mich Fremden vorzustellen, und außerdem war es mir auch unangenehm, mich irgendwo dazuzusetzen, wenn ich dann am Ende sowieso nur peinlich schweigen würde. Was sollten die Leute nur von mir denken!

Viel zu früh bekam ich meine Portion von einer Küchenkraft, die mir einen guten Appetit wünschte und dann stand ich auch schon unschlüssig da. Ein bisschen ziellos wanderte ich durch die relativ große und geräumige Kantine, bis ich in einer Ecke einen eher kleinen Tisch entdeckte, an dem noch niemand saß. Hastig ließ ich mich dort nieder und begann lustlos zu essen, wobei ich die Blicke der anderen Schüler vermied und möglichst nicht aufschaute - ich fühlte mich, als wäre alle Aufmerksamkeit auf mich, die Neue, die ganz alleine isst, gerichtet. Dem war natürlich nicht so, aber ich konnte diese Vorstellung einfach nicht abschütteln.

Ich war so damit beschäftigt, meine Umgebung geflissentlich zu ignorieren, dass ich nichts bemerkte, bis Thomas mit einem kühlen "Hey" auf dem Stuhl gegenüber von mir Platz nahm. Ich zuckte überrascht zusammen und konnte seinen Gruß nicht sofort erwidern, da ich mich an meinem letzten Bissen verschluckt hatte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mir zu, und nachdem ich zu husten aufgehört hatte meinte er nur "Ist hier noch frei?".

Ich blinzelte überrascht, dann sagt ich, vielleicht ein wenig sarkastisch: "Klar, setzt dich doch!" Er lächelte, ich erwiderte seine Lächeln, und für eine Weile aßen wir in stiller Eintracht. Eigentlich war die Situation seltsam und hätte auch irgendwie peinlich sein sollen, schließlich kannten wir uns nicht, aber mit den Gesprächen der anderen Schüler im Hintergrund war die Stille natürlich, nicht erdrückend. 

Nachdem er fertig gegessen hatte - er war um einiges schneller als ich - wartete er schweigsam ab, bis auch ich meine Mahlzeit beendet hatte, bevor er mich ansprach: "Und, wie gefällt es dir auf unserer Schule? Welche Lehrer hat du?" 

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