20. Nachts am See

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Es war definitiv nach Mitternacht, als ich Lou wieder traf. Sie lehnte in ihrem knappen, aber eleganten Kleid an einem Tisch, nippte an einem seltsam blauen Getränk, und wirkte sehr selbstzufrieden. Ihre dunklen Locken hatten sich aus dem Dutt gelöst und fielen ihr wild über die Schultern. Simon war nirgends zu sehen.

Thomas hatte ich auch gerade verloren. Er hatte auf die Toilette gemusst und hatte mich nach einigem Zögern zurückgelassen, aber nicht bevor er mir eingeschärft hatte, mich nicht von der Stelle zu rühren, bis er zurückkehrte. Er traute mir anscheinend nicht mehr zu, alleine herum zu laufen. Tja, er hatte mir überhaupt nichts zu befehlen, und deswegen war ich auch prompt davon gewandert, als er mir den Rücken zugekehrt hatte. Hey, so betrunken, dass ich nicht mehr richtig gehen konnte, war ich auch nicht!

In mich hinein grinsend gesellte ich mich zu meiner Zimmerkollegin. "Lou, die Party ist der Wahnsinn!", rief ich ihr zu, wobei ich die Musik zu übertönen versuchte. Amüsiert lächelte sie mir zu, bevor sie mich an de Hand nahm und zielsicher in Richtung Seeufer zog, wo die Musik leiser war und man sich besser unterhalten konnte. Ich folgte ihr gespannt - was wollte sie denn mit mir besprechen?

"Was ist denn los?", fragte ich sie direkt und legte den Kopf schief. Sie kicherte und murmelte mit ihrem französischem Akzent, der durch ihren angeheiterten Zustand noch ein bisschen merkbarer war als sonst: "Rien, überhaupt nichts, Chérie. Nur... Wie stehst denn bei dir in der Liebe, hmmmm?" 

Ich hatte gerade einen Schluck aus meinem Becher genommen - diesmal nur Wasser, auf kotzen hatte ich keine Lust - und verschluckte mich auch prompt. Damit hatte ich definitiv nicht gerechnet. Lou sah mich auffordernd-interessiert an, und irgendwie konnte ich keinen Grund dafür finden, ihr nicht von meiner Thomas-Jamie-Problematik zu erzählen. Gut, über Jamie wusste sie ja sowieso schon ein wenig Bescheid, und unglaublich viel Interessantes gab es zu Thomas ja auch nicht zu sagen. 

"Warum fragst du?", versuchte ich es mit einer Gegenfrage, um ein wenig Zeit zu schinden. Ich wollte zuerst meine Gedanken sammeln, bevor ich auspackte. Außerdem, eigentlich war die Frage ja auch irgendwie interessant. Lou war sonst nicht so auf mein Privatleben fixiert. 

"Ach, weißt du", zwitscherte sie vergnügt. "Es gäbe da jemanden... du weißt schon...",  sie zwinkerte mir zu, und fügte dann hinzu: "Einen heimlichen Verehrer!" Ich sah sie verdutzt an, blinzelte einmal, und dann kicherte ich los. Ich konnte einfach nicht anders. Ein heimlicher Verehrer! Ich hatte einen heimlichen Verehrer, das war doch absurd. 

Lou musterte mich mit einem seltsamen Blick. Anscheinend hatte sie mit einer anderen Reaktion gerechnet. "Wenn er was von mir will, dann soll er mir das sagen, und nicht durch Mittelsmänner.", sagte ich, aber ich konnte nicht verbergen, dass ich irgendwie ziemlich geschmeichelt war. 

Nachdenklich sah ich auf den See hinaus, der im Mondlicht wie magisch schimmerte. Überhaupt, es war eine wunderschöne, sternenklare Nacht. 


*+*+*


Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass ich auf die Toilette musste, also bahnte ich mir einen Weg durch die feiernden Menschen, die noch nicht müde schienen. Mittlerweile hatten sich mehr oder weniger drei Gruppen herauskristallisiert: jene, die wie verrückt tanzten, die, die ums Lagerfeuer saßen und philosophierten und schlussendlich noch die Unglücklichen, die zuviel getrunken hatten und entweder schon schliefen oder sich irgendwo die Seele aus dem Leib kotzten. 

War gerade an der Bar vorbei gekommen, als ich Jamie sah, der an einem Baum lehnte. Und er war - wie konnte es anders sein - nicht alleine. Er neigte gerade seinen Kopf, um das Mädchen, das er mit beiden Armen umschlungen hatte, erneut in einen tiefen Kuss zu verwickeln, und sie erwiderte diesen mit größtem Enthusiasmus, während er seien Hände über ihren Körper wandern ließ. 

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihn einfach zu ignorieren. Aber irgendwas irritierte mich, und so unauffällig wie möglich musterte ich das Paar aus den Augenwinkeln. Ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, was sich verändert hatte: ich konnte zwar wegen der Dunkelheit wenig erkennen, aber das Mädchen, das Jamie in seinen Armen hielt und begrapschte, trug definitiv nicht Jennys denkwürdige pinkes-Top-und-Rock - Kombination. Jamie hatte sich anscheinend jemand Neues gefunden. 

Eilig ging ich weiter, ich hatte jetzt nicht unbedingt Lust, Jamie und seinem Aufriss beim Rummachen zuzusehen. "Die arme Jenny", murmelte ich vor mich hin. Wirklich, sie tat mir leid, auch wenn sie mir heute Nachmittag noch ins Gesicht gesagt hatte, was ich nicht für eine falsche Freundin sei. Sie war eben wirklich in Jamie verknallt, und der war leider ein kompletter Arsch. 


*+*+*


Ich war gerade auf dem Weg zurück zur Party, als ich Jenny in die Arme lief. Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie hatte offensichtlich schon vor einiger Zeit alle Rücksicht auf ihr Make-up aufgegeben, dann um ihre Augen fanden sich nur noch schwarze und glitzernde Schlieren, weil sie sich die Tränen weg gewischt hatte. 

"Jenny!", brachte ich überrascht hervor. Erst da schein sie mich überhaupt zu bemerkten, und ohne einen Moment zu zögern - sie war wohl auch nicht mehr ganz nüchtern - warf sie sich in meine Arme, und schluchzte los: "Ich war nur ganz kurz weg, und dann war Jamie weg. Und dann hab  ich ihn gesehen, mit dieser Schlampe! Er wollte doch mir mir auf die Party!"

Anscheinend hatte sie unseren Streit schon vergessen. Oder ihr Kummer wegen Jamies neuem Aufriss war ihr wichtiger als das. Wie auch immer, mir blieb wohl auch nichts anderes übrig, als sie zu trösten. Ich umarmte sie und strich ihr leicht über ihren Rücken, während sie in mein - eigentlich in Lous - Shirt weinte. Ich überlegte kurz, dann löste ich ihre Umarmung und zog meine Freundin vorsichtig in Richtung Steg. 

Jamie würde wahrscheinlich heute Nacht nicht in seinem Bett verbringen, so viel stand eigentlich fest, also hatten Jenny und ich das Zimmer für uns. Wir kamen nur langsam vorwärts, denn meine Freundin schwankte merklich, und ich fragte mich insgeheim, wie sie die Toiletten überhaupt gefunden hatte - oder war sie nur zufällig in diese Richtung gelaufen?

Während sie weinte redete Jenny ununterbrochen von Jamie. Die meiste Zeit war sie beinahe unverständlich, weil sie immer wieder schluchzte, aber im Grunde war alles, das sie von sich gab, ziemlich melodramatisch. Ich glaubte nicht, dass Jamie ihre große Liebe gewesen war, und genau so wenig würde Jenny immer nur ihn lieben. Sie war wohl wirklich ziemlich betrunken, und ich konzentrierte mich lieber darauf, sie sicher ins Bett zu bringen, als auf ihre Worte. 

Als wir in unserem Zimmer waren half ich ihr rasch beim Abschminken und brachte ihr ihren Pyjama, bevor ich mich auf die Suche nach einem potenziellen Kotzkübel machte. Schließlich stellte ich nur den Papierkübel, der in unserem Zimmer stand, neben Jennys Bett. 

Meine Freundin hatte mittlerweile aufgehört zu weinen und sich mit ihrer Bettdecke eingerollt. Diesen Abend hatte sie sich sicher mit einem schöneren Ende vorgestellt. "Hey", sagte ich leise und berührte ihre Schulter. "Neben deinem Bett steht ein Kübel, falls dir übel wird, okay?" Jenny war anscheinend schon halb eingeschlafen, aber sie nickte trotzdem. "Danke, Ani", murmelte sie, und ich musste lächeln. 

Leise und schnell suchte ich mir ein neues Top - das, das ich mir von Lou geliehen hatte, war jetzt einerseits nass und andererseits fleckig von Jennys Make-up. Das nahm ich mir auch gleich eine Weste mit, denn es war mittlerweile schon ziemlich kühl draußen. Nachdem ich ein letztes mal nach Jenny gesehen hatte, die schon tief und fest eingeschlafen war, schlüpfte ich nach draußen, um zur Party zurück zu kehren - für mich war die Nacht noch nicht vorbei. 

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