51. Happy Halloween 3

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Um ehrlich zu sein wusste ich nicht, was ich erwartet hatte. Die Party war ein einziges, gruseliges Labyrinth, und es waren so viele Leute unterwegs, dass ich kaum ein paar Schritte machen konnte, ohne auf irgendjemanden zu stoßen, der genau so verloren wie ich war, aber im Gegensatz zu mir um einiges mehr Spaß zu haben schien. Ich war einfach nur verwirrt. Der lauten Musik nach zu urteilen, die von überall zu kommen schien, war ich in der Nähe der Tanzfläche. Von Maja und Jenny fehlte jede Spur, und von Valentin sowieso. Thomas hatte ich auch noch nicht gesehen, aber er hatte ja gesagt, dass er ziemlich beschäftigt sein würde.

Ich bog um eine weitere Ecke, vielleicht ein bisschen zu schnell, dafür, dass ich in den letzten zehn Minuten meinen Drink zur Gänze geleert hatte, und prallte sofort gegen jemanden. Ich strauchelte, stolperte, und dann war es schon zu spät. Ich trug High Heels, und je weniger über meinen Gleichgewichtssinn gesagt wurde desto besser - unmöglich, meinen Fall alleine aufzuhalten. Blindlinks griff ich nach vorne und erhaschte mit meiner Hand etwas Stoff, an dem ich mich festkrallte. Trotzdem, ich war schon zu sehr aus der Balance gebracht - ich stürzte zu Boden. Wenigstens hatte ich kein Glas mehr in der Hand, also blieben mir zumindest Scherben erspart.

Zwei warme, starke Arme schlangen sich um mich, und ich landete weicher als gedacht, halb auf einer muskulösen Brust. Trotzdem presste mir der Aufprall sämtliche Luft aus den Lungen, und ich lag für einen Moment regungslos da. Mein Herz pochte wie wild. Ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören, und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Oh nein. Warum genau musste soetwas immer mir passieren? Innerlich stöhnte ich auf.

Der Körper unter meinem bewegte sich, und ich fand mich damit ab, dass ich dem Resultat meiner Ungeschicklichkeit ins Auge sehen musst. Wenigstens war der Rock meines Kleides lang genug, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte, ob ich mehr als die Hälfte meiner Oberschenkel zeigte. Vorsichtig warf ich einen Blick auf den Jungen, auf dem ich gelandet war.

Er hatte kurze dunkelbraune glatte Haare und trug einen dunkelrotes Seidenhemd und ein dazupassendes schwarzes Cape. Seine Augen waren ungewöhnlich grün und sie erinnerten mich ein wenig an Smaragde, die im Kontrast zu seinen dunklen Haaren und der relativ hellen Haut geradezu hervorblitzten. Zwischen seinen Lippen, die eine Mischung von Überraschung und Amüsiertheit ausdrückten, blitzten zwei weiße Fangzähne durch. Er war gutaussehend, das war keine Frage. Markante Wangenknochen, gerade Gesichtszüge und diese Augen... Er war sportlich, aber nicht übermäßig muskulös - das konnte ich späterstens jetzt, wo ich durch seinen Einsatz als Kissen einen mehr als provisorischen Eindruck bekommen hatte, mit Gewissheit sagen.

"Valentin!", brachte ich hervor. Von allen Typen, auf die ich hier hätte treffen können, war er mir bei weitem der Liebste, den ich hätte niederrennen können. Er würde keine Gerüchte verbreiten, und mir meine Tollpatschigkeit nicht übel nehmen. Das hoffte ich jedenfalls.

Ich löste meine Hände, die noch immer an seiner Schulter in den Stoff seines Capes gekrampft waren und versuchte, mich zumindest auf die Knie und Ellbogen hochzurappeln, damit ich nicht mehr mit meinem vollen Gewicht auf ihm lag. Seine Arme, die er im Fallen um mich geschlungen hatte, ließen mich nur zögerlich gehen.

"Ich hab' dich gesucht", sagte ich atemlos und grinste ihn an. Unsere Gesichter waren nahe beieinander, und ich konnte von meiner erhöhten Position ein bisschen auf ihn herabsehen, da er immer noch auf dem Boden lag, sein Cape um ihn heraum ausgefächert.

"Ich würde sagen du hast mich gefunden", lispelte er durch die Plastikzähne in seinem Mund, bevor er sie schnell herausnahm und in einer Tasche verschwinden ließ. Ich musste einfach kichern. "Oh, du bist Dracula mit Sprachfehler", kicherte ich und fuhr ihm mit der Hand durch seine seidigen Haare, die durch den Sturz sowieso schon in Durcheinander geraten waren.

Er griff nach meinen Fingern und hielt sie fest. Doch anstatt sie von sich wegzudrücken, wie ich das eigentlich erwartet hatte, behielt er sie in seiner eigenen warmen Hand.

"Du siehst heute toll aus, Ani. Aber das brauche ich dir wohl nicht zu sagen, oder?" murmelte er, sodass ich es nur verstand, weil wir so nahe beisammen waren. Vor den zwei Wochen, die ich mit Valentin im selben Zimmer verbracht hatte, hätte mich diese Nähe verunsichert, aber jetzt fühlte sich das nur natürlich an. Wir kannten uns gut, und waren Freunde. Wir hatten fast vierzehn Tage lang alles geteilt, da gewöhnte man sich an die Präsenz des jeweils anderen. Außerdem war er mir einfach sympathisch.

"Danke, du auch", erwiederte ich ehrlich. Er lächelte mich an, und drehte sich auf die Seite, stützte seinen Arm auf dem Boden auf, sodass er mir voll ins Gesicht sehen konnte. Seine grünen Augen schienen im diffusen Licht des Labyrinths zu strahlen, und ich fragte mich für einen Moment, ob er Kontaktlinsen trug.

"Weißt du was, Ani? Die letzten Tage mit dir waren toll. Wirklich. Und... ich mag dich Ani, schon von Anfang an. Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Kannst du dich daran erinnern? Lou hat dich uns vorgestellt, im Aufenthaltsraum. Ich hab es nicht einmal geschafft, ein einziges Wort herauszubringen. Als wir für die Zimmertausch-Aktion zusammengewürfelt worden sind, habe ich es kaum glauben können. Ich war so nervös. Und Jamie hat mir gesagt ich soll cool bleiben, ein richtiger Badboy sein. Ich habe es versucht. Weißt du was? Ich musste jeden Tag an dich denken, an dein Lächeln, deine Augen, deine Stimme. Aber jetzt ist es so viel mehr als das. Ich habe dich kennen gelernt, als Person, nicht als einen fernen Stern, den man nur von weitem bewundern kann. Und das ist ein Gefühl, dass sich garnicht richtig in Worte fassen lässt. Du bist ein wundervoller Mensch, Ani. Du bist das Beste, was mir je passiert ist. Das ist zwar vielleicht kitschig, aber es ist einfach die Wahrheit. Ich weiß, du und Thomas..." Valentin brach ab. Er hatte seine Stimme bei seinen nicht erhoben, er hatte einfach weiter gemurmelt, so, dass nur ich ihn verstehen konnte. Ich spürte die Schmetterlinge in meinem Magen tanzen, und mein Herz pochte so laut, dass ich mir sicher war, dass Valentin es auch hören konnte.

"Ich wollte es dir nur sagen. Ich finde, du solltest das wissen. Wenn wir weiter befreundet sind... falls du das noch willst", flüsterte er, kaum hörbar. Das Lied, das bis jetzt auf der Tanzfläche gespielt hatte wechselte, doch ich bekam es kaum mit. Ich war vollständig auf Valentin fokussiert, der immer noch meine Hand hielt.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich meinem Kopf herrschte komplettes Chaos und sobald ich den Mund auftat blieben mir die Worte im Hals stecken. Was sollte ich auch antworten? Ich war vergeben. Thomas war mein fester Freund. Oder war er das wirklich? War es das, was ich wollte? Ich hatte tausend Fragen im Kopf, und auf keine einzige eine wirkliche Antwort. Mein Blick fiel auf Valentins Lippen, und für einen Moment stellte ich mir vor, wie wundervoll es wäre, ihn jetzt einfach zu küssen, und zur Hölle mit den Konsequenzen.

Dann verdrängte ich den Gedanken schnell. Das konnte ich nicht tun. Das hatte Thomas nicht verdient. Und Valentin auch nicht. Der sah mich aus seinen grünen Augen mit mildem Blick an. "Keine Sorge, du musst mir jetzt keine Antwort geben. Garnicht, wenn du nicht willst. Zwischen uns muss sich nichts ändern, versprochen. Ich... ich wollte meine Gefühle einfach nicht mehr geheim halten, das ist alles." Er drückte meine Hand sanft, dann ließ er sie los und stand langsam auf. Sein Cape war auf der einen Seite etwas staubig, aber das änderte nichts daran, dass er unglaublich gutaussehend war, wie ein Filmstar.

Valentin hielt mir eine Hand hin, und ich griff nach ihr, um mir aufhelfen zu lassen.

"Oh là-là! Was gibts denn da zu sehen?", fragte eine Stimme hinter uns beiden. Mir wurde kalt, als ich plötzlich realisierte, dass wir nicht allein waren.

Badboy AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt