Am ersten Schultag nach dem Kennenlernwochenende war ich hundemüde, obwohl ich eigentlich früh schlafen gegangen war. Lou hatte natürlich wie jeden Morgen blendende Laune und war, als ich endlich aus dem Bett kroch, schon fertig angezogen und geschminkt.
"Chèrie, Bonjour! Zeit zum Aufstehen, in zehn Minuten beginnt das Frühstück!", rief sie mir fröhlich zu, und dann war sie auch schon aus unserem Zimmer verschwunden. Die Tür krachte mit Schwung zu, und ich zuckte zusammen, bevor ich mich rasch anzog - ein weinrotes Top, dunkle Jeans, und zur Feier des Tages beschloss ich auch, Ohrringe zu tragen, was ich sonst eigentlich nicht tat. Ich schminkte mich flüchtig - nur ein bisschen Concealer und Lidschatten - und dann machte ich mich auf den Weg in den Speisesaal, wo ich mich zu Jenny und Olivia setzte. Die beiden schienen sich tatsächlich während des Wochenendes angefreundet zu haben, also musste ich wohl oder übel damit leben, dass Olivia nun zu Jennys - und damit auch meinem - Freundeskreis gehörte.
Erstaunlicherweise war der Unterricht heute interessant und kurzweilig, also verging der Vormittag rasch. In Latein saß ich zwar immer noch neben Jamie, und das in der ersten Reihe, aber heute hatte Frau Billa einen guten Tag, denn sie ließ uns in Gruppen übersetzen, was in ihrem Unterricht einem Wunder gleichkam. Mit Jamie sprach ich wenig bis garnichts, und das war gut so.
Nach dem Mittagessen beschlossen Jenny und ich, uns im Sekretariat ein bisschen über die verschiedenen Clubs zu informieren, die an der Academy angeboten wurden. Natürlich gab es verschiedenste Sportarten, aber ich wusste schon von vornherein, dass ich weder Volleyball noch Rhythmische Gymnastik noch irgendetwas anderes, das mit Bewegung zu tun hatte machen wollte - ich war einfach viel zu ungeschickt, und außerdem machte es mir keinen Spaß. Stattdessen sah ich mir die anderen Angebote an. Es gab unter anderem einen Schach-Club, einen Lesezirkel, einen Chor, seltsamerweise eine Häkel-AG und natürlich das Schulkommitee, das verschiedene Events, wie zum Beispiel eben das Kennenlernwochenende für die neuen Schüler oder den alljährlichen Schulball, organisierte.
Jenny meldete sich sofort für das Volleyballteam an und überlegte dann, ob sie auch die Kunst AG besuchen sollte. "Wollen wir uns da nicht gemeinsam anmelden, das ist bestimmt total lustig!", meinte sie zu mir, aber ich war bei Weitem nicht überzeugt davon, dass das eine gute Idee war, und außerdem war ich generell eher keine Künstlerin.
Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte einfach keine Lust, meine Freizeit mit etwas zu verbringen, das mir keinen Spaß machen würde. Jenny versuchte zwar weiter, mich davon zu überzeugen, dass ich dem Club beitreten sollte, aber ich hielt an meiner Meinung fest. Als klar wurde, dass ich nicht nachgeben würde war Jenny auch prompt beleidigt und schmollte: "Dann frag ich eben Olivia, die macht das bestimmt mit mir!" Nach dieser Aussage verabschiedete sie sich rasch und ließ mich überrascht im Sekretariat stehen - damit hatte ich nicht gerechnet.
War Jenny doch noch sauer auf mich? Oder war sie immer schon so schnippisch gewesen, und ich hatte es nur nicht bemerkt?
*+*+*
Ich schlenderte also ohne Jenny zurück in den Wohnflügel der Academy, um meine Tasche mit meinen Zeichensachen zu holen, denn am heutigen Nachmittag hatte ich zwei Stunden Kunstunterricht. Dieses Fach hatte ich an der Badboy Academy noch nicht gehabt, da an den ersten Schultagen kein Nachmittagsunterricht gewesen war, und deswegen freute ich mich eigentlich darauf. Außerdem konnte ich zwar nicht gut zeichnen, aber ich hatte trotzdem Spaß dabei.
In meinem Zimmer angekommen brauchte ich einige Zeit, bis ich alles beisammen hatte, und als ich dann auf die Uhr sah blieb mir fast das Herz stehen: Es war viel zu spät! Ich würde es nie rechtzeitig zum Zeichensaal schaffen, vor allem, da ich noch nicht so genau wusste, wo der überhaupt war!
Gerade als ich gehetzt um eine weitere Ecke bog, hinter der nun hoffentlich das gesuchte Klassenzimmer lag, stolperte ich und prallte ziemlich unsanft gegen jemanden, der mir entgegenkam. Ich schrie auf und versuchte, meine ins Wanken geratenen Balance wiederherzustellen, strauchelte zwei ungelenke Schritte nach vorn und plumpste dann samt meinen Zeichenutensilien zu Boden, wobei ich die zweite Person gleich mitriss. Scheppernd krachten Wasserfarben und Zeichenblock auf den Boden.
Meine Haare waren mir bei dem Sturz ins Gesicht gefallen, und zuvor war ich so mit meinem Lageplan beschäftigt gewesen, dass ich wahrscheinlich auch gegen eine Mauer gerannt wäre, wenn sie im Weg gestanden hätte. "Sorry, ich hab nicht aufgepasst, hatte es eilig", entschuldigte ich mich hastig, während ich mir schnell meine Haare aus dem Gesicht strich, die jetzt natürlich wie ein Vogelnest aussehen mussten. So ein Unglück! Ich war sowieso schon zu spät, da brauchte ich nicht auch noch einen schlechten Eindruck machen! Dann erst sah ich zu demjenigen, den ich mit mir zu Fall gebracht hatte.
Ich kam mir vor, als wäre ich in einem schlechten Film.
Denn neben mir auf dem Boden hockte Jamie, der ebenfalls mit verschiedenen Zeichensachen beladen gewesen war. Er lächelte mir überrascht zu, und schüttelte dann amüsiert den Kopf: "Es ist wohl Schicksal, dass wir uns ständig auf diese Weise treffen. Entschuldigung angenommen, Ani". Mit diesen Worten rappelte er sich auf und hielt mir, plötzlich ganz der Gentleman, eine Hand hin, damit er mir aufhelfen konnte.
Während ich nun wahrscheinlich wie ein zerrupftes Huhn aussehen musste war Jamie wie immer gestylt bis zu den Spitzen seines hellbraunen, leicht gelockten Haares. Er wirkte, als wäre er einer dieser Surfertypen, die ihr Leben auf den goldenen Stränden Floridas verbringen und einfach immer gut aussehen, ohne sich irgendeine Mühe zu geben. Wie schade, dass Jamie trotzdem so ein Arsch war.
"Wenn du dich entschuldigen wolltest, dann hättest du mich nicht unbedingt umrennen müssen Ani. Aber natürlich finde ich es nett, dass du dir den Aufwand gemacht hast.", sagte er in schalkhaften Ton während wir beide unsere sieben Sachen aufklaubten.
Nun musste ich doch lächeln. Jamie war schon irgendwie ein besonderer Mensch.
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"Ich habe folgende These aufgestellt: Alle Zeichenlehrer sind ausnahmslos gescheiterte Künstler, die ihr Dasein nun in einem Beruf fristen müssen, für den sie entweder nicht geeignet sind, weil sie vom Konzept Schule generell überfordert sind oder weil sie in Wirklichkeit keine Ahnung von Kunst haben. Beides irgendwie gleich schlimm, und wenn man Pech hat dann halten sie Vorträge über Kunstgeschichte, anstatt irgendetwas vernünftiges zu tun. Ich bin gespannt, ob das hier auch zutrifft", meinte ich, als wir zusammen vor der geschlossenen Tür des Zeichensaales standen.
Dann klopfte er an. Stille. Nun gut, wir öffneten die Türe, und an den großen, quadratischen Tischen, die das Zimmer füllten, saßen vielleicht fünfzehn andere Erstklässler, die miteinander plauderten, auf ihren Handys herumdrückten und generell eher so wirkten, als wäre gerade Pause. Nico und Paul, die zusammen an einem Tisch saßen, winkten mir fröhlich zu. Ein Lehrer war nicht im Raum, und ich zuckte nur mit den Achseln. Sollte mir auch recht sein, dann war ich wenigstens nicht zu spät, wenn der Kunstlehrer selber zwanzig Minuten und mehr nach dem Läuten nicht im Klassenraum war. Ich steuerte auf den Tisch zu, an dem meine beiden Teamkollegen vom Wochenenden saßen, und zu meiner Überraschung ließ sich Jamie neben mir auf den letzten freien Sessel an unserem Tisch fallen.
"Der Müller kommt immer zu spät, selbst wenn er eigentlich schon in der Pause im Zeichensaal war. Darauf kann man sich verlassen", meinte Jamie nur. Natürlich, er hatte letztes Jahr schon einmal den selben Kurs besucht, er war schließlich durchgefallen.
"Ich bin mal gespannt, was der für ein Lehrer ist", meinte Paul nachdenklich. "Er ist sicher ein echter Künstler, der...", sagte ich spöttisch, brach aber ab, als ein älterer, grauhaariger Mann mit Brille den Raum betrat.
Die Stunde konnte beginnen, und obwohl es erst Montag war sehnte ich mich schon jetzt nach dem nächsten Wochenende.
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Badboy Academy
RomanceDie Badboy Academy - eine Eliteschule für die Reichen und Schönen des Landes. Annika weiß nicht wie sie hier gelandet ist. Und zwischen Badboys und schwarzen Kleidern, die bis zur Mitte der Oberschenkel reichen wird sie wahre Freunde finden - das, u...