32. Von Tränen und Trugschlüssen

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Ich stolperte zurück, strauchelnd, und wischte mir eilig mit dem Ärmel über die Augen. Mist, mein Make-up! Egal, um das zu retten war es jetzt auch schon zu spät. Ich sah wahrscheinlich aus wie ein trauriger Panda.

"Hey, Ani? Gehts dir gut?", fragte Thomas erneut und trat einen Schritt auf mich zu, sodass er seine Hand auf meinen Arm legen konnte, damit ich nicht schlussendlich doch das Gleichgewicht verlor. 

"Klar, mir geht's prima", schniefte ich, "Dumme Frage". Ich wollte nicht wissen, was er zu den Gerüchten sagen würde, die da um uns und vor allem um mich kursierten. Ich wollte ihm nicht erklären müssen, warum ich weinend durch die Gänge lief wie das letzte Opfer. Ich sah ihn nicht an, nicht, dass ich durch meine Tränen viel gesehen hätte.

Thomas stieß ein kleines, weiches Geräusch aus, nicht Seufzer und auch nicht Brummen, und dann schlossen sich seine starken Arme um mich, zogen mich an seine Brust. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Schulter, wobei ich wahrscheinlich nasse Make-up Flecken hinterließ. Meine Tränen flossen immer noch, und auch wenn ich mir immer wieder einzureden versuchte, dass es eigentlich nicht so schlimm war - aber doch, war es. Ich wollte nicht, dass andere so über mich dachten. Das hätte ich mir wohl früher überlegen müssen.

Thomas Hände strichen sanft meinen Rücken entlang, beruhigend, während ich leise und ein bisschen verzweifelt schluchzte. Wenigstens war ich nicht alleine. Wenigstens hatte ich Thomas, und das war der eine Gedanke, an dem ich mich schlussendlich festklammerte. Ich hatte Thomas. Er war immer noch auf meiner Seite. 

Langsam hörte ich auf zu weinen, immer noch in seinen Armen. Meine Augen brannten und waren wahrscheinlich rot gerandet, und meine Wangen fühlten sich geschwollen und klebrig vom Salz an. Ich hasste das - andere Leute konnten sich die Tränen aus dem Gesicht wischen und dann normal aussehen, aber nein, mir sah man es sofort und aus jeder Entfernung an, dass ich geweint hatte. 

Ich schniefte ein letztes Mal, dann löste ich mich aus seiner Umarmung und sah ihn an, ein schwaches, aber dankbares Lächeln auf den Lippen. 

Sein blondes Haar war - wie immer - ungezähmt, aber auf eine Art und Weise, die das gewollt und unheimlich sexy aussehen ließ. Seine immer irgendwie kalt wirkenden blaugrauen Augen waren auf mich gerichtet, und ich glaubte, eine Mischung aus Mitgefühl und Sorge in ihnen zu lesen - aber da war ich mir nie ganz sicher, er war oft unergründlich. Auch Thomas hatte eine Maske, die er der Welt - und meist auch mir - präsentierte, so wie viele andere an der Badboy Academy. Vielleicht war es das, das mir fehlte. Eine Maske.

"Hey", sagte Thomas, sanft, und strich mir mit einer Hand über meinen Kopf und fuhr durch meine Locken, strich mir diejenigen aus dem Gesicht, die während ich geweint hatte nach vorne gefallen waren. "Alles okay?"

Ich sah zu ihm auf, und dann zuckte ich die Schultern. Ich fühlte mich nur irgendwie leer, mein Frust und meine Wut waren ebenso schnell verschwunden wie sie gekommen waren. 

"Geht schon...", sagte ich leise, mit kratziger Stimme, und fühlte mich noch ein bisschen verkorkster als vorher. "Danke".

"Nicht dafür, Ani. Nicht dafür", murmelte er, seine Stimme weich und voll von unausgesprochenen Gefühlen, die mir ganz warm werden ließen. Mit zwei schnellen Schritten überwand ich die Distanz zwischen uns und schlang meine Arme um ihn, stürmisch und dankbar und fest entschlossen, ihn das spüren zu lassen.


*+*+*+*


Ich verbrachte den ganzen Nachmittag und Abend mit Thomas, was bedeutete, dass ich erst spät in mein mysteriöserweise schon wieder leeres Zimmer zurückkehrte, wo ich dann auch prompt realisierte, dass es Sonntag Abend war und ich das ganze Wochenende keinerlei Hausaufgaben gemacht hatte. Großartig.

Ich versuchte die Mathebeispiele. Zwanzig Minuten später warf ich das Mathebuch quer durch mein Zimmer und gegen die Wand. Das war einfach aussichtslos, ich hatte keine Ahnung - ohne Jenny bekam ich das nicht hin - aber eine einzige "vergessene" Hausübung war ja nicht so schlimm, oder?

Dann probierte ich Latein. Irgendwas übersetzen. Nachdem meine Lieblingsmethode - den Text googeln - gescheitert war, war ich auch schon am Ende meiner Künste. Oh, Mist. Professor Billa würde mich umbringen. Es blieb also nur eine Möglichkeit: abschreiben. Nur von wem?

Ich kannte nicht viele Leute aus meinem Lateinkurs, und die Telefonnummer hatte ich nur von einem einzigen: Jamie. Der Regen trommelte gegen das Fenster meines Zimmers während ich verzweifelt nachdachte, ob es nicht irgendetwas anderes gab, das ich tun konnte. Mir blieb wohl einfach keine andere Wahl, und nachdem ich wohl eine halbe Stunde hin- und her überlegt hatte, ob und vor allem was ich ihm schreiben sollte, schickte ich ihm folgendes:

hey, hast du schon Latein? Ich bin schon gescheitert, willst du deine Weisheit teilen? ;)

Anschließend drehte ich mir laut eine One Direction-Playlist auf, um meine Motivation am Leben zu erhalten und dann machte ich mich an die Englischaufgaben - wenigstens eine Sache, die ich konnte. Ich musste nur vielleicht drei Minuten warten, dann hatte ich meine Antwort in Form von drei Nachrichten.

Ani du böses mädchen, machst du deine Aufgaben nicht selber?! 

Klar, komme gleich vorbei, ich teile immer gerne

;)

Es war schon nach zehn, und ich musste morgen früh aufstehen damit ich mir noch die Haare waschen konnte, also war ich ziemlich verzweifelt. Jamie wollte vorbeikommen? Warum nicht, war auch schon egal, wenn er es altmodisch machen wollte und nicht einfach ein Foto schicken wollte, gut, nicht mein Problem, mein Problem war, dass mir meine Lehrerin sonstwas antun würde wenn ich keine Aufgaben hatte! 

Noch bevor ich diesen Gedanken richtig zu Ende gedacht hatte, klopfte es. Erleichtert sprang ich auf - das war aber schnell gegangen! Schwungvoll riss ich die Türe auf und vor mir stand Jamie, tropfnass, die Hände vor der Brust verschränkt. Sein Shirt klebte an ihm, sodass sich jeder Muskel genau abzeichnete, und seine hellbraunen Locken, waren ebenfalls vollständig durchnässt, als wäre er für eine Ewigkeit so im Regen herumgelaufen. Für einen Moment war ich von diesem durchaus unerwarteten Anblick so gefesselt, dass ich nichts sagte. Er hingegen schob sich rasch an mir vorbei ins Zimmer und schlug schlug die Türe hinter sich zu. 

Ich blinzelte kurz, versuchte, alle nicht ganz jugendfreien Gedanken, die gerade durch meinen Kopf huschten, zu verbannen und sagte dann, ein wenig sarkastisch: "Hi Jamie, komm doch rein!"

Er lächelte mich ein bisschen gequält an; es war, als wäre ihm sein übliches schiefes Grinsen abhanden gekommen. "Sorry, ich wollte nur möglichst schnell aus dem Gang raus... die Mädels sehen es nicht gerne wenn man ihren Flur volltropft."

Ich zuckte zusammen. Mist, daran hatte ich wieder einmal nicht gedacht, und mit meinem Glück  hatte irgendwer gesehen, dass Jamie mich spät abends besuchen kam. "Ähm, willst du ein Handtuch?", fragte ich ihn, schon auf halbem Weg zur Badezimmertür. Dann viel mir etwas anderes auf, und ich stockte, die Hand auf der Türklinke.

"Wolltest du nicht eigentlich deine Lateinaufgaben mit mir teilen?", fragte ich ihn. Er hatte weder eine Tasche noch ein Heft oder irgendetwas anderes außer die Kleider, die an ihm klebten, dabei. 

Jamies Gesicht wurde mit einem Mal schuldbewusst, er sah tatsächlich aus wie der sprichwörtliche begossene Pudel. "Nun ja... Hast du wirklich geglaubt, dass ausgerechnet ich die gemacht habe? Nein, also das war nicht der Grund warum ich gekommen bin".

Ich konnte es nicht glauben, so ein Mist! Was wollte Jamie also hier?! Doch bevor ich diese Frage stellen konnte kam mir Jamie mit seiner Antwort zuvor.

"Ich wollte mit dir reden"


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