30. Mitternachtsgeflüster

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"Die Frage ist doch eher, was machst du hier Ani?", konterte Jamie vergnügt. "Ganz allein, nach Mitternacht, im Dunkeln...". Er breitete bedeutungsvoll die Arme aus. "Alles könnte passieren".

Ich betrachtete ihn genau; ich konnte seine Worte nicht einordnen. Was wollte er damit erreichen, das machte doch gar keinen Sinn? Seine Augen waren dunkel, aber vielleicht war das auch nur das Licht, dass sie so bodenlos erscheinen ließ. Jamie versuchte, sich lässig zu geben, wie immer, aber ich glaubte zu sehen, dass er angespannt war, irgendwie gezwungen, auch wenn er versuchte, das zu überspielen.

"Ich bin noch in der Schule... naja, spazieren gewesen und dann bin ich wohl eingenickt", gab ich ihm Auskunft, wobei ich dann noch gleich hinzufügte: "Nicht dass das dich was anginge, ich bin dir ja wohl keine Rechenschaft schuldig!"

Jamie vertiefte sein Lächeln noch ein bisschen. "Natürlich nicht, Prinzessin. Jetzt wo du deinen Prinzen gefunden hast besteht ja wohl auch keine Gefahr für den Beziehungssegen aller Paare, nicht wahr?". Mein müdes Gehirn brauchte einige Sekunden, bis das, was er da so beschönigt ausgedrückt hatte, bei mir ankam.

"Ich bin keine Schlampe, Jamie, hast du das dann auch irgendwann einmal geschnallt?!". Meine Stimme hallte durch den Gang, laut, und ich biss mir auf die Lippe. Theoretisch hatten wir in der Nacht eine Ausgangssperre...

Ein seltsamer Ausdruck huschte über Jamies Gesicht, und er trat einen Schritt zurück. "Wenn du so weiter machst dann wirst du noch allen den Rang ablaufen, weißt du das?", sagte er mit dunkler Stimme.

"Wie, allen?", fragte ich, verwirrt. Jamie schüttelte nur bitter den Kopf. "Ich vergesse immer, dass du erst so kurz da bist - du hast keine Ahnung, was die wahre Badboy Academy angeht. Vielleicht solltest du einfach ins Bett gehen."

"Was glaubst du denn, dass ich freiwillig hier auf dem Sofa penne?!", fuhr ich ihn an. Ich hatte definitiv genug von seiner mysteriös-herablassenden Art und seinen Beleidigungen. "Es hat schon einen guten Grund warum ich nicht in meinem Zimmer bin, herzlichen Dank", fauchte ich.

"Oh...Sorry?", versuchte Jamie, sich unschuldig zu geben, aber er konnte das Lächeln nicht von seinem Gesicht wischen.

"Ja klar.", sagte ich, "Und du hast mir immer noch nicht geantwortet: was zur Hölle machst du hier?"

"Also ich hatte bis jetzt einen ganz vergnüglichen Abend mit Lisa... und danach mit Vanessa, du weißt schon, die Blonde? Und jetzt war ich tatsächlich auf dem Weg in mein Zimmer, als ich dich hier liegen sah und mir dachte: Hey, aller guten Dinge sind drei, also, Ani? Noch müde?" Ich starrte ihn nur an. War das sein Ernst? "In meinem Bett ist noch ein Platz frei", fügte er dreckig grinsend hinzu.

Okay, was hatte ich mir eigentlich erwartet? Ich wusste ja schon, dass Jamie einfach mit allen rummachte. "Arsch..." murmelte ich nur. "Du weißt genau, dass ich vergeben bin." Ich hatte jetzt einfach keine Lust, mit ihm zu streiten. Konnte mir ja auch gleich sein wie er sein Wochenende verbrachte. Oder eben mit wem.

Ich saß noch immer auf der Couch, die Arme um die Knie geschlungen, und wahrscheinlich war mein Haar ein einziges Vogelnest. Es war dunkel, nur durch die hohen, schmalen Fenster fielen Streifen von fahlem Mondlicht in den Flur. Jamies Profil lag im Schatten, aber die Linien seines Gesichtes waren beleuchtet, wie ein Scherenschnitt von Licht vor der Finsternis. Seine Locken waren zerwühlt, sie fielen natürlicher als sonst, jedenfalls danach zu urteilen was ich jetzt im Dunkeln ausmachen konnte. Seine Augen schienen schwarz, bodenlos, auch wenn ich wusste, dass sie tiefbraun sein mussten.

Er trat näher, bis er direkt vor mir stand, auf mich herabsehen konnte. Ich wollte etwas sagen, irgendwas, um die plötzliche Stille zu brechen, aber sein Blick hielt mich gefangen. Plötzlich konnte ich erkennen, was Jenny in ihm sah; Jamie war genau die Art von Badboy, die sie sich wünschte: mysteriös, rücksichtslos und ein bisschen düster, gefährlich.

Und ich war mit ihm allein. Nach Mitternacht in einem Gang weit weg von allein anderen. "Niemand würde dich schreien hören", schoss es mir durch den Kopf. Ich schauderte. Wie hatte Jamie gesagt: Alles könnte passieren. Ich sah zu ihm auf, und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich hatte ihn noch nie in diesem Licht gesehen; er war nicht so muskulös wie Thomas, er war nicht größer als ich, aber in diesem Moment wurde mir schmerzlich bewusst, wie ausgeliefert ich ihm eigentlich war.

Ich schluckte schwer, dann zwang ich mir ein klägliches Lächeln ab. "Ich werd dann mal ins Bett gehen. In mein eigenes, meine ich. Allein. Tschüss, Jamie!", stotterte ich, und wollte aufstehen und buchstäblich davonlaufen, aber er hielt mich zurück, eine Hand auf meiner Schulter. Nicht fest, wahrscheinlich hätte ich mich losreißen können wenn ich es gewollt hätte. Ich erstarrte.

Sein Lächeln war verschwunden. Seine Miene unergründlich, und in seinen Augen lag ein Glanz, den ich vielleicht sogar Bedauern nennen würde. Vielleicht war es aber auch das Licht. Eine Täuschung. "Gute Nacht, Ani", sagte er, beinahe sanft, und nahm seine Hand von meiner Schulter.

Bis zur ersten Ecke ging ich - dann fing ich an zu rennen. Ich schaute nicht zurück, aber wenn ich es getan hätte, dann hätte ich gesehen, dass Jamie meinen Platz auf dem Sofa eingenommen hatte, das Gesicht in seinen Händen vergraben.

Badboy AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt