43. Brot und Spiele

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"Ani, ma chérie!", rief eine mir wohlbekannte Stimme, und Lou schlang ihre Arme um mich, was angesichts der Tatsache, dass ich noch immer an zwischen meinen Lateinsachen an einem Tisch saß, eine logistische Herausforderung war. Ich umarmte sie vorsichtig zurück, und vergrub für einen Moment mein Gesicht in ihren Haaren, bevor wir uns voneinander lösten. Die Französin warf Jamie einen skeptischen Blick zu, ließ sich aber trotzem auf meiner anderen Seite auf einen Stuhl fallen.

"Ich freu' mich schon sooo sehr auf die Party, naturellement, aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit die ganze Organisation ist! Das Kommitee arbeitet schon seit Wochen daran! Und unsere Kleider, du musst vorher unbedingt zu mir ins Zimmer kommen, ma chérie, und dann probieren wir alles an, damit nächstes Wochenende alles richtig sitzt. Oui?"

Ich nickte, und lächelte das ältere Mädchen mit den kastanienbrauenen Locken dankbar an. Wäre sie nicht gewesen, dann hätte ich mich in der Badboy Academy noch viel weniger zuhause gefühlt, als ich das sowieso schon tat. Lou musterte mich einen Moment, und als ich sie nur fragend ansah, zwinkerte sie mir nur schelmisch zu und stand wieder von unserem Tisch auf, um zurück zu ihren Freunden in der Sitzecke am Kamin zu gehen. "À bientôt, chérie, wir sehen uns!" So schnell, wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden.

Jamie schien geradezu erleichtert, als Lou sich wieder entfernt hatte, und war zufrieden, mir weiter bei meinen Hausaufgaben zu helfen. Wir arbeiteten eine Weile ruhig nebeneinander her, tauschten nur einige Latein-bezogene Kommentare aus, und ich träute zugegebenermaßen ein bisschen vor mich hin. Die Sache mit Thomas beschäftigte mich mehr, als ich das selbst im Stillen zugeben wollte. Küssen hin oder her, wir waren ein Paar, wir mochten uns, er sah gut aus und war freundlich - was wollte ich mehr? Trotzdem, ich dachte daran zurück, an jene Augenblicke, wo seine Lippen auf meinen gelegen hatten, und versuchte, mich an meine Gefühle in diesen Momenten zu erinnern. Wie warm, wie sicher, wie glücklich ich mir vorgekommen war. Jetzt war ich mir nicht mehr so zuversichtlich, und es kam mir fast so vor, als hätte ich etwas verloren, das ich kaum gekannt hatte.

Wenigstens mit Valentin lief es jetzt mit einem Mal auch besser, er ließ zwar immer noch seine Sachen an den unmöglichsten Orten zurück, klar, aber die Geste mit dem Frühstück war wirklich nett gewesen, und wir hatten uns eigentlich den ganzen Vormittag ganz gut unterhalten...

Ein schriller Schrei unterbrach mich in meinen Gedanken, und ich schreckte auf, wobei ich mein Lateinwörterbuch zum wiederholten Mal heute unter den Tisch beförderte. Jamie war neben mir genau so zusammengezuckt wie ich, aber er hatte, wie sich herausstellte, noch mehr Grund dazu, als ich.

"Jamieeeee!", quietschte Jenny, nun nicht mehr ganz so laut wie vorher, aber doch so, dass sie die Aufmerksamkeit sämtlicher Schüler im Aufenthaltsraum auf sich zog. Der Junge neben mir warf mir einen gequälten Blick zu, dann versteckte er diesen Ausdruck unter einem schmallippigen Lächeln, und breitete wortlos seine Arme aus.

Jenny, die heute ein kurzes paillettenbesetztes schwarzes Kleid trug, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte und mit einem tiefen, herzförmigen Ausschnitt punkten konnte, grinst diebisch in meine Richtung und ließ sich in einer gewollt lasziven Bewegen auf Jamies Schoß sinken, dessen Arme sich sofort beiläufig um ihre Taille legten.

Ich musste gestehen, sie sah gut aus, ihr auffällig schillernder Lidschatten und die perfekt geschminkten Lippen standen ihr, und ihr ovales Gesicht mit den treuen Rehaugen bekam im Kontrast zu ihren schulterlangen Haaren etwas geradezu puppenhaftes. Zusammen mit Jamie mochte sie auf das Cover einer Zeitung gehören, aber nicht auf eine Schule.

"Hi, Jenny", murmelte ich. Ich wusste nicht, wass ich sonst sagen sollte. Wir hatten jetzt schon länger keinen Kontakt mehr gehabt, und ich war mich nicht sicher, ob wir überhaupt noch sowas wie Freunde waren.

"Heeeey. Sag, ich bin ja direkt beeindruckt. Drei in einer Nacht, hmm? Das muss ja ein neuer Rekord sein, oder?" Jennys Grinsen wurde noch eine Spur fieser, als es das vorher gewesen war. Ich öffnete den Mund, dann schloss ich ihn wieder. Was sollte ich darauf auch sagen? Dass ich weder mit Thomas, noch mit Simon oder gar Valentin geschlafen hatte? Wer würde mir schon glauben? Genau, Niemand.

"Keine Sorge, Ani", fuhr Jenny fort, als hätte sie gar keine Antwort erwartet. "Wir hier auf der Akademy sind ja bei solchen Dingen nicht zimperlich, wirklich. Aber wirklich, schämst du dich denn nicht wenigstens ein kleines bisschen, dass du den gutgläubigen Thomas so betrügst? Oder ist ihm das egal, solange er selbst nur oft genug ran kann?"

Meine Hände krampften sich um das erstbeste Buch, das vor mir auf dem Tisch lag. Jamies Gesicht war hinter Jennys Kopf verborgen, aber ich konnte mir vorstellen, wie er sein Lachen nur schwer zurückhalten konnte. Er saß schließlich da wie versteinert. Ich hatte genug.

"Neidisch, Jenny? Das sieht dir ähnlich!", brachte ich hervor, dann stand ich so schnell auf, dass der Stuhl hinter mir mit einem Krachen zu Boden fiel, und stürmte aus dem Raum.


*+*+*+*


Der einzige Ort, an dem ich mich wenigstens halbwegs unbeobachtet fühlte, war mein Zimmer. Selbst das teilte ich mit Valentin, auch wenn er gerade nicht da war - er konnte jeden Moment zur Tür hereinschneien.

Ich hatte mich mit einer halben Tafel Schokolade und einer Schachtel Taschentücher auf meinem Bett zusammengerollt und blies hinter verschlossenen Türen Trübsal. Hin und wieder kamen mir die Tränen, aber so richtig weinte ich nicht. Scheußlich fühlte ich mich aber trotzdem.

Was Jenny gesagt hatte, war warscheinlich das, was auch alle anderen, die auch nur mit einem halben Ohr dem bunten Treiben der Gerüchteküche lauschten, seit heute Morgen ein wohlbekannter und stimmiger Fakt war. Fantastisch. Als wäre es nicht vorher schon schlimm genug gewesen. Nicht, dass mich irgendjemand wirklich darauf ansprechen würde, aber die Blicke und das Getuschel waren genug. Ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Situation verbessern sollte. Zum Glück gab es hier quasi jeden zweiten Tag irgendeine neue Klatsch-Geschichte, und ich hoffte einfach, dass mein Wochenende bald nicht mehr aktuell sein würde. Mein Handy vibrierte. Schon wieder. Ich seuftzte, dann wischte ich mir über die Augen und las die Nachrichten, die ich in der letzten halben Stunde erhalten hatte.

Hab deine Sachen Vali mitgegeben :) wär ja schade um die Aufgaben

Das war von Jamie. Keine Entschuldigung, keine Erklärung, was das mit Jenny jetzt wieder sollte. Aber gut, was hatte ich mir erwartet? Wenigstens würde ich meine Schulsachen zurückbekommen.

Chérie, mach dir nichts draus. Wenn du reden willst, ich bin da. Bisous!

Lous Worte ließen mich lächeln. Reden war zwar gerade das letzte, das ich wollte, aber trotzdem. Es war gut gemeint. Ich antwortete ihr kurz, und sie schickte mir eine ganze Kolonne von bunten Herzchen. Typisch, aber irgendwie fühlte ich mich schon ein kleines Stückchen besser.

Dann wandte ich mich der nächsten Nachricht.

Sie war von Thomas. Ich zögerte einen Moment.

In diesem Moment klopfte es an der Türe.








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