34. Montag Morgen

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"Meine Lateinlehrerin ist einfach ein Monster! Sie hatte mich nach der Stunde dabehalten, und mir dann erzählt, dass sie sich Sorgen um meinen Fortschritt macht. Und dass ich meine Hausaufgaben nicht mache. Sie hat mir angeboten, dass ich in ihren Förderkurs kommen kann. Was genau genommen heißt, dass sie mich durchfallen lässt, wenn ich da nicht hingehe. Und das Beste: Es ist vor der ersten Stunde, von sieben bis kurz vor acht! Weißt du was das heißt?! Ich muss noch früher aufstehen!", klagte ich, während ich das heutige Mittagessen in mich hinein schaufelte. 

Simon und Lou schenkten mir amüsiert-Mitleidige Blicke, und Jenny schüttelte den Kopf -  ich hatte mir eigentlich vorgenommen, von ihr Abstand zu halten, aber wenn sie sich an meinen Tisch setzte, dann konnte ich ja auch nichts machen.

"Die hat es ja echt auf dich abgesehen", kommentierte Hannah, die auch an unserem Tisch saß. "Warum hast du eigentlich deine Hausaufgaben nicht gemacht? Ich meine, wenn du eh schon wusstest, dass die Billa so ist?", fragte Jenny. "Ich meine, die Sachen für Englisch hast du ja auch gemacht gehabt." Sie sah mich ein bisschen schräg an. "Jaja, ich weiß", stöhnte ich. "Es ist was dazwischen gekommen, ich hatte echt vor, sie zu machen. Ist ja nicht so, als wollte ich in den Förderkurs!"

Lou zwinkerte mir zu und meinte nur: "Tja, wenn man so unerwarteten Besuch bekommt, da hat man naturellement andere Sachen im Kopf als die Hausaufgaben." Jennys Blick hatte fast etwas raubtierhaftes, als sie ihn auf mich richtete. Oh nein. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Die Spanische Inquisition war nichts gegen das hier. Ich war nicht darauf vorbereitet, Jenny zu erläutern, warum Jamie gestern Abend in meinem Zimmer mit mir allein gewesen war. Und außerdem hätte ich gerne, dass nicht die ganze Schule davon erfahren würde!

"Ich bringe schon mal mein Tablett weg", sagte ich, noch bevor sie die Frage stellen konnte, die ihr offensichtlich auf der Zunge lag, und flüchtete. Huch, das war gerade noch gut gegangen.


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Nachdem ich auch den Nachmittagsunterricht, - Kunst, während Jenny Musik hatte - hinter mich gebracht hatte, kehrte ich nach Kleister stinkend in mein Zimmer zurück. Wir hatten heute mit Pappmaschee gearbeitet, wie im Kindergarten, und natürlich hatten einige besonders erwachsenen Leute, unter ihnen meine Teamkollegen vom Kennenlern-Wochenende, Nico und Paul, eine Kleister- und Zeitungspapier-Schlacht gestartet. Niemand war verschon worden, auch ich nicht.

So hatte ich langsam trocknende Kleisterklumpen in meinem Haar und Kleisterflecken in meinen Kleidern. Das einzig Gute war, dass ich nicht mit Zeitungspapier in Berührung gekommen war, wie einige der anderen. Ich fühlte mich elend. Und ich stank. Verdammter Kunstunterricht.

Als ich mein Zimmer betrat war Lou zu meiner Überraschung auch da. Sie war damit beschäftigt, irgendetwas auf ihrem Laptop zu machen und begrüßte mich mit hochgezogenen Augenbraun. Ich war wohl gerade eher weniger präsentabel.

Nach einer ausgiebigen warmen Dusche föhnte ich mir ausnahmsweise meine Haare trocken und setzte mich dann mit meinem Laptop zu Lou ins Wohnzimmer. Einige Zeit saßen wir still zusammen, dann fragte mich die Französin plötzlich: "Cherie, hast du schon Pläne für Halloween? Ein Kostüm, meine ich? Du kommst doch zur Party, oder?"

Ich stutzte. Eine Party? Ich meine, klar, das wir Halloween irgendwie feiern würden, das war mir schon klar, aber dass es eine richtige, offizielle Party gab, das hatte ich nicht gewusst.

"Ich bin nämlich gerade dabei, mein Kostüm zu auszusuchen, und wenn du willst kannst du gleich mit mir mit bestellen - dann können wir uns das Porto teilen!", schlug meine Zimmerkameradin fröhlich vor. 

"Klingt gut", stimmte ich zu. "Wer organisiert die Party eigentlich? Ich habe davon garnichts mitbekommen!".

Lou lachte. "Cherie, du hast deinen Kopf auch in den Wolken! Das Komitee arbeitet schon seit Wochen daran - das ist das zweite große Projekt dieses Jahr, nach dem Kennenlern-Wochenende." Ich setzte mich neben sie auf das kleine, gemütliche Sofa, und wir scrollten durch die verschiedenen Kostüme, die angepriesen wurden.

Da waren Vampire, Piraten und Zombies, Katzen, Krankenschwestern und Superhelden - aber eines hatten alle gemeinsam: sie enthüllten mehr als sie verdeckten, waren weit ausgeschnitten und kurz. Ein denkwürdiges Mumien-Kostüm war wenig mehr als ein paar Bandagen um die Brust und ein paillettenbesetzter Lendenschurz. 

"Ich schwanke noch zwischen böser Königin, Cleopatra oder Vampir", erklärte mir Lou, und zeigte mir die drei Kostüme, die sie sich ausgesucht hatte. "Aber im Zweifelsfall nehme ich alle drei und suche mir dann das beste aus - so habe ich mehr Auswahl. Très pratique, non?

Das "böse Königin"-Outfit war ein knappes violettes Satinkleid ohne Träger. An der Taille setzte ein schwarzem Spitze-Rock an, der mit ebenfalls violettem Stoff unterlegt war. Außerdem besaß das Kleid eine schwarze Tüll-Schleppe, die bis zum Boden ging, während der Rock - wie konnte es anders sein? - bei der Hälfte der Oberschenkel endete. Miteinbegriffen war außerdem eine Krone und Handschuhe. Ich konnte mir vorstellen, dass es Lou stehen würde - dieses Outfit hatte etwas dramatisches, aber war auch irgendwie klassisch. 

Nach etwa einer Stunde brummte mir der Kopf von den vielen Kostümen, die ich mir angesehen hatte, aber meine Zimmerkameradin schien immer noch nicht zufrieden - die, die sie mir vorschlug waren mir immer zu knapp, zu kurz und zu weit ausgeschnitten, und die, die ich mochte, befand sie als langweilig. "Non, non, non, Chérie, so geht das nicht. Du willst doch Thomas beeindrucken, also müssen wir etwas finden, das einfach parfait ist!"

Schließlich stolperten wir über ein hübsches Alice im Wunderland-Kostüm. Es war ein himmelblaues Kleid mit Puffärmeln und einem korsettartigem Oberteil, das dann in einen kurzen Rock überging. Was mir daran aber am besten gefiel, war die Tatsache, dass über ebendiesem noch ein Tüll-Überrock im selben Farbton lag, der das Kleid länger wirken ließ als es eigentlich war - man konnte zwar die Beine durch den Stoff sehen, aber ich hatte das Gefühl, dass mich das nicht stören würde - wenigstens war es kein enges schwarzes Kleid, dass nur bis zur Mitte der Oberschenkel reicht! Das Outfit wurde durch eine kleine weiße Schürze komplettiert. "Bon, wenn wir die ein bisschen mit Kunstblut zurecht machen und dich richtig schminken, dann würde dir das gut stehen, Chérie. Also, was meinst du?".

Ich überlegte kurz, dann nickte ich. Etwas besseres würde ich sowieso nicht finden, und wenn Lou sagte, dass es mir stehen würde, dann stimmte das wohl auch. Die Französin strahlte über das ganze Gesicht und machte sich daran, unsere Bestellung abzuschicken. Ein bisschen erleichtert verzog ich mich in mein Bett, um mich an meine Aufgaben zu setzten. Ich mochte Lou, wirklich, aber sie konnte so anstrengend sein.

Wenigstens hatte ich jetzt ein Kostüm, also hatte es sich ausgezahlt.

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