13. Zwischen Rädern und Regen

1.6K 74 9
                                    


Wenn ich geglaubt hatte, dass es vorher anstrengend gewesen war, dann war das garnichts im Vergleich zu dem, was mich jetzt erwartete. Ich keuchte, als hätte ich einen Marathon hinter mir - nicht, dass ich jemals so weit würde laufen können ohne dabei tot umzufallen. Der Anstieg schien kein Ende zu haben, die größeren Steine rutschten unter den Reifen meines Rades und ich spürte, wie ich nun endlich auch Seitenstechen bekam. Aber ich wollte nicht aufgeben, absteigen und schieben, das kam mir zu sehr wie Schwäche vor, und vor allem wäre es vor Thomas wohl das letzte Eingeständnis gewesen, dass ich nicht mehr konnte und am Ende war. Also machte ich weiter.

Wenigstens warfen die Bäume Schatten und es war beinahe kühl im Wäldchen, sonst wäre ich wahrscheinlich trotz all meiner Bemühungen irgendwo in der Hälfte des Aufstiegs abgestiegen und hätte schlicht aufgegeben.

Neben mir fuhr Thomas her, und selbst er atmete nun schneller, tiefer, also war ich nicht allein in meiner Anstrengung. Dieser Gedanken ließ mich selbstironisch lächeln - ich war mir sicher, dass er sich bei Weitem nicht so anstrengen musste, wie das bei mir der Fall war. Seine muskulöser Körper war wohl nicht nur schön anzusehen sondern auch leistungsstärker als meiner. 

Schließlich erreichten wir das letzte, besonders steile Stück. "Thomas", keuchte ich atemlos, "Ich kann nicht mehr". Das war alles, was ich heraus brachte, für mehr hatte ich keine Luft. Mein Gesicht war von einem Schweißfilm überzogen, und ich war unendlich froh, dass ich mein Makeup von der letzten Aufgabe vollständig entfernt hatte - sonst wäre das alles noch schlimmer. In jedem Fall war ich mir aber sicher, dass ich erbärmlich aussah.

Thomas blickte zu mir rüber: "Das schaffst du noch, Ani", sagte er, und irgendwie war das ziemlich überzeugend. "Wir schaffen das gemeinsam. Okay?" Er sah mir in die Augen, und ich fand irgendwo noch genug Überzeugung, zu nicken. Ich würde das schaffen. Ein mickriger Hügel würde mich nicht kleinkriegen. Niemals.

Das Stück blauer Himmel dort, wo das Wäldchen endete und der Anstieg zu Ende war, rückte immer näher, und dann, auf einmal, hatte ich es geschafft. Wenn ich den Atmen dazu gehabt hätte, hätte ich aufgejubelt, aber so beschränkte ich mich auf ein Geräusch, das halb Schluchzen und halb Lachen war. Ich fühlte mich ekstatisch - ich hatte es geschafft! Ich hatte diesen blöden Berg bezwungen!

"Machen wir eine kurze Pause", stellte Thomas mehr fest als dass er es vorschlug, er erkannte wohl, dass ich nun wirklich kurz vor einem Kollaps stand. Mann, ich war wirklich, wirklich unsportlich! Also standen wir für einige Zeit auf der kleinen Feldwegkreuzung, in die der Weg über den Hügel, der wie ich nun erkannte, eher eine Art Abhang war, der sich durch die gesamte Landschaft zog, geendet hatte. Rund um uns waren nur Felder, und in der Ferne konnte ich ein Dorf erkennen, von dem ich nicht sagen konnte, ob das nun Lindenfeld war oder nicht. Wir waren noch lange nicht am Ziel.

"Danke, dass du da geblieben bist", sagte ich, als mein Seitenstechen von "mörderisch" zu "unangenehm, aber erträglich" abgeklungen war. "Du hättest auch einfach vorfahren können, bei meinem Tempo wäre das auch schon egal gewesen".

Er lächelte mir zu, und in seinem Gesichtsausdruck lag etwas, das ich nicht deuten konnte, das mir aber ein warmes Gefühl bescherte, das, wäre mir nicht so unendlich heiß gewesen , sicher schön gewesen wäre, so aber nur irgendwie fehl am Platz war.


*+*+*


Schließlich machten wir uns daran, weiter zu fahren, aber mittlerweile war ein ziemlicher Wind aufgekommen, der uns entgegenwehte, was einerseits nett war, weil es kühlte, andererseits fuhr es sich mit Gegenwind eben auch dementsprechend schwerer.

Und dann, wie aus heiterem Himmel, begann es, zu schütten. Wirklich, mir war es gar nicht aufgefallen, dass sich ein großer, dunkelgrauer Gewitterturm vom Horizont her auf uns zubewegt hatte - die Wolken hatten sich eben erst vor die Sonne geschoben, und nicht einmal zwei Minuten später war der Schauer schon in vollem Gange. Wenigstens war das Gewitter weit weg von uns.

Schon nach wenigen Minuten war der Regen so stark, dass wir kaum noch richtig sehen konnten und vollständig durchnässt waren. Mein weißes T-shir klebte mir am Körper wie eine zweite Haut, und als mir klar geworden war, wie durchsichtig es plötzlich war, fühlte ich mich merklich unwohl. "Da ist ein Baum, stellen wir uns unter", schlug Thomas vor, als wir an einem ziemlich großen Nussbaum, der neben einer Halle stand, in der wohl landwirtschaftliche Gerätschaften verstaut waren, vorbeikamen. Ich nickte zustimmend; wir waren zwar schon komplett nass, aber ich fand, dass der Regen eine gute Entschuldigung für eine weitere Pause war.

Wir standen dicht zusammen während die Tropfen auf das grüne Blätterdach über uns einprasselten, so nahe, dass ich die Wärme, die Thomas ausstrahlte, fühlen konnte. Obwohl es vorher ein warmer Tag gewesen war, schauderte ich jetzt - der Regen war kühl, und ich fürchtete, dass ich mich wohl verkühlen würde.

"Naja, jetzt haben wir wenigstens eine Ausrede, warum wir erst irgendwann ankommen", bemerkte ich mit einer guten Portion Galgenhumor. "Wenigstens das, ja", meinte Thomas, und lächelte. Die Art, wie sein Shirt mittlerweile an ihm klebte, machte es mir nicht schwer, jeden einzelnen sanft definierten Muskel seines Oberkörpers auszumachen. Oh Gott, er hatte einen Körper wie ein Star-Athlet. Ich hoffte, dass er mein rotes Gesicht auch auf meine Anstrengung zurückführte, denn dieser Anblick ließ mich doch mit einigen nicht ganz jugendfreien Gedanken spielen.

Resolut wandte ich mich ab und musterte unsere Umgebung - Felder, Felder, immer noch das selbe Dorf in der Ferne. Langweilig. Der Regen, der ein wenig leichter geworden war, legte wieder einen Zahn zu und der Wind fegte durch die Baumkrone und brachte die Blätter zum rauschen. Ich konnte Thomas Blick auf mir spüren, doch wann immer ich ihn anschaute war er mit etwas anderem beschäftigt. Mir wurde inzwischen kalt, und ich verschränkte meine Arme.

Als das nichts half, überlegte ich kurz, zögerte, dann rutschte ich noch näher zu Thomas, der sich an den Baumstamm gelehnt hatte. Er warf mir einen fragenden, ein bisschen überraschten Blick zu. "Mir ist Kalt", sagte ich, und als das nicht alles zu erklären schien fügte ich hinzu: "Du bist warm". Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, dann streckte er einen seiner Arme aus und legte ihn mir um die Schultern. Ich lehnte mich neben ihm an den Baumstamm, und so seltsam das klang, mir wurde tatsächlich wärmer. Scheinbar ohne viel darüber nachzudenken fischte er ein kleines Blatt aus meinen Haaren, das sich wohl irgendwann darin verfangen hatte und strich mir mit der selben Bewegung über meinen Kopf und durch mein blondes Haar.

Ich fühlte mich geborgen, sicher, und ich hatte das Bedürfnis, mein Gesicht in seiner Schulter zu vergraben und die Welt - diesen schrecklichen Wettkampf und die miesen Räder - zu vergessen. Zeit mit Thomas zu verbringen war einfach, genau wie sonst auch. Er war zwar schweigsam, aber das war okay. Es war sogar gut. 

Wieder musste ich unweigerlich an Jamie denken, der so anders war, so einen Gegensatz zu dem hier bot. Das hier, sein Arm um meine Schultern, das prasseln der Regentropfen, die Wärme, die wir teilten, war auf eine Art und Weise nahe, die ich mir mit Jamie nicht vorstellen konnte. Klar, ich hatte ihn geküsst - oder er mich - und wir hatten ziemlich heftig... Nun, was eigentlich? Geflirtet? Hatte ich mit Jamie geflirtet? Nun, ich hatte ihm gesagt er solle mich "richtig" küssen, also ja, das konnte man wohl als aggressives flirten bezeichnen. Trotzdem... Ich verdrängte die Gedanken an Jamie. Ich war jetzt hier, mit Thomas. Nur hier, ganz einfach. Ich wollte lieber nicht daran denken, dass ich heute Abend mit Jamie in einem Raum schlafen würde.

Vielleicht zehn Minuten standen wir so unter dem Baum, beinahe wortlos, aber die Stille war keine von der unangenehmen Sorte. Dann, auf ein Mal, näherte sich ein Auto von der Seite, von der auch wir gekommen waren, bevor uns der Regen überrascht hatte.

Dieses Gefährt hielt vor unseren Fahrräder, die am Straßenrand lagen, und dann hupte der Fahrer. "Was will der denn?", fragte Thomas missmutig und wischte seine nassen Haare aus seiner Stirn. Ich kniff meine Augen zusammen, und dann erkannte ich, wer das war. "Thomas, das ist Lou! Die sind gekommen um uns abzuholen, wahrscheinlich sind wir vermisst worden!"

Ich musste grinsen, als Thomas und ich auf das rote Auto zueilten, uns kichernd zusammen auf die Rückbank quetschten und währenddessen alles volltropften. Wenigstens musste ich nun nicht mehr Radfahren!

Badboy AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt