49. Happy Halloween 1

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"Komm schon, eins noch!", kicherte Maja, und verzog das Gesicht zu einer verstörenden Grimasse. Sie war leichenblass geschminkt und trug rote Kontaktlinsen. Ihr Kleid war weiß und zerissen, und genau wie meine Schürze mit Kunstblut bespritzt. Ihre Haare hatte sie sich ins Gesicht gekämmt, sodass sie zwischen den einzelnen Strähnen hindurchblinzen musste, um etwas zu sehen.

Ich posierte zwischen ihr und Lou, die mit ihren mörderisch scharfen Wangenknochen und dem spöttischen Lächeln absolut gefährlich wirkte. Ihr Make-up war perfekt auf ihr violettes Kleid abgestimmt. Ich versuchte ein besonders verstörtes, unschuldiges Gesicht zu machen, während die Franzosin mir ihren roten Apfel entgegenhielt.

Jenny stand auf der anderen Seite von Maja und grinste neckisch in die Kamera, die mit Hände mit den langen schwarzen Nägeln wie Klauen von sich gestreckt. "Rawr", machte sie, und ich konnte nicht anders, als in das allgemeine Gekicher miteinzustimmen. Jenny trug einen hautengen Leopardenprint-Jumpsuit mit tiefem Ausschnitt, komplett mit Schwanz und einem Haarreifen mit den passenden Ohren. Die schwarzen Stiefletten, die ihre wohlgeformten Beine betonten, passten perfekt dazu. Sie sah aus wie das Aushängschild einer Sex-Show, umwerfend auf eine mehr als nur anzüglich Art und Weise.

Sie hielt außerdem Lous Handy, mit der wir nun schon seit zehn Minuten Fotos von uns und unseren Kostümen knippsten. "Lass sehen, wie ist es geworden, seh' ich gruselig aus?", fragte Maja Jenny und griff nach dem Telefon, doch im selben Moment läutete dieses. Das rothaarige Mädchen hätte es vor Schreck fast fallen gelassen, doch Lou konnte es gerade noch auffangen. Sie schüttelte den Kopf, dann ging sie ran.

"Hallo? Oh, Hi Simon. Ja. Ja, wir sind schon fertig, pas de soucis. Genau. Bis gleich, bisous!", zwitscherte Lou vor sich hin, und schon hatte sie wieder aufgelegt. "Es gibt ein kleines Problem mit den Requisiten für Mitternacht, ich muss mich gleich drum kümmern. Können wir los, les filles?"

Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ich war ebenfalls blass geschminkt, mit rubinroten Lippen und dunklem Liedschatten, der meine Augen riesig erschienen ließ. Mein kokettes hellblaues Kleid fiel leicht und locker an mir herab, und die blutigen Spritzer auf meiner adretten Schürze taten ihr übriges, um mir ein puppenhaft-verstörendes Aussehen zu geben. Meine Haare waren zu großen Locken gedreht, die wir mit so viel Haarspray bearbeitet hatten, bis sie gar keine andere Wahl mehr gehabt hatten, als an ihren Plätzen zu bleiben.

Ich war zufrieden mit meinem Aussehen, die Party konnte beginnen. Ich grinste Lou an, und sie erwiederte mein Lächeln und griff nach meiner Hand, um mich aus dem Badezimmer zu ziehen. 

"On y va! Die Party wartet auf uns!"


*+*+*+*


Ich hatte den Festsaal der Academy noch nie zuvor betreten, und vielleicht gerade geswegen blieb ich überwältigt im breiten, doppelflügigen Portal der Halle stehen. Ich hatte mit einem Turnsaal gerechnet, oder etwas ähnlichem, aber der gigantische Raum, in dem ich mich befand, erinnerte eher an ein Kirchenschiff. Die schweren Luster an der hohen, gewölbten Decke warfen flackernde Schatten an die Wände und brachten nur spärliches Licht ins Halbdunkle. Vor mir eröffnete sich ein Labyrinth aus dunklen, samtbespannten Gängen, die mit Zwischenwänden eingezogen worden waren. Lou umarmte mich flüchtig, dann war sie auch schon verschwunden, und ich war mit Maja und Jenny alleine. Basslastige Tanzmusik erfüllte den Raum, gemischt mit dem Gemurmel der Gäste. Irgendwo musste eine Bühne sein, aber ich hätte nicht sagen können, in welche Richtung sie lag. Plötzlich schrie jemand auf, hoch und schrill, und ich zuckte zusammen, bevor ich erkannte, dass das wohl nur ein Soundeffekt gewesen war. Ich musste über mich selbst lachen. Ich hakte mich bei den beiden Mädchen ein, und zusammen machten wir uns auf den Weg ins Labyrinth.

Zehn Minuten später hatten Maja, Jenny und ich jegliche Orientierung verloren, waren aber schon an zwei verschiedenen Bars vorbeigekommen, an denen wir uns mit Drinks - Zombieshaker, Bluttransfusion und Black Death - eingedeckt hatten. Außerdem gab es Stationen für Party-Aktivitäten, die überall im Irrgarten verteilt waren. An einem Stand hatten wir Schwarzlicht-Stifte ausgeteilt bekommen, gemeinsam mit der Anweisung, uns und alle, die uns in die Quere kamen, damit zu verschönern. Jenny hatte ein paar katzentaugliche Schnurrhaare bekommen, und Maja hatte sich von uns die Arme mit Schlangen bemalen lassen. Ich war mit einigen Schnörkseln auf den Wangen noch recht glimpflich davongekommen. An einem  Stand anderen hatten sie eine Kiste gehabt, in der man blind Dinge mit bloßen Händen erkennen musste, und an einer dritten Station hatten sie die Regeln für das heutige Party-Tabu-Wort erklärt, was uns aber nicht sonderlich interessiert hatte.

"Waren wir da nicht schon?", fragte ich verwirrt, als die Rothaarige vorschlug, nach rechts abzubiegen. Jenny schüttelte den Kopf. Wir waren nicht die einzigen, die sich in den langen Gängen erstmal verirrt hatten. Eine Gruppe lachender Erstklässler kam uns entgegen, und ich erkannte Nicos großgewachsene Gestalt. Er hatte sich als Mumie verkleidet, und war in eine Reihe von Kopf bis Fuß in Bandagen gewickelt, die seinen Oberkörper aber großzügig aussparten und so einen guten Ausblick auf seine durchaus beeindruckenden Bauchmuskeln zuließen. Ich zückte meinen orangenen Schwarzlicht-Stift und lief auf ihn zu, mein Glas voll "Bluttransfusion" in der anderen Hand.

"Nico!", rief ich fröhlich. "Cooles Kostüm! Was ist denn da hinten los?". Noch bevor er irgendwas antworten konnte, begann ich, zwei bösartige Augen auf sein Sixpack zu zeichnen, sodass es aussah, als würden sie zwischen seinen Bandagen durchblicken.

"Hey, was soll das denn werden?", sagte er laut, sodass ich es über die Musik, die hier um einiges lauter war als am Eingang, hören konnte, hielt aber still, damit ich mein Kunstwerk vollenden konnte. "Tadaa", triumphierte ich, und trat einen Schritt zurück. "Dekoration!" Im Dunklen konnte man kaum etwas erkennen, aber sobald das Schwarzlicht aktiviert werden würde sollten sie gut zu sehen sein.

Ich grinste Nico an, dann beugte ich mich vor, damit er mich besser verstehen konnte. "Hey, wo steckt eigentlich Paul?". Das war tatsächlich seltsam, die beiden waren normalerweise immer zu zweit unterwegs. Hoffentlich hatten sie sich nicht gestritten.

"Oh der hat ein Date", antwortete er mir, und ein beinahe stolze Ausdruck glitt über sein Gesicht. Stimmt. Nicht alle hatten ja Partner, die während einer Party so beschäftigt waren, dass sie keine Zeit für die eigene Freundin hatten. Ich schluckte das bittere Gefühl, dass sich in mir breitmachen wollte schnell runter und spühlte mit einem gehörigen Schluck von meinem Drink nach. Ich würde Thomas schon noch irgendwo sehen, das hatte er ja selbst gesagt. Außerdem machte es mir gar nichts aus, dass er nicht hier war, ich hatte ja Maja und Jenny...

Ich warf einen Blick über die Schulter, und stellte fest, dass die beiden Mädchen, genau wie Nicos Freundesgruppe, verschwunden waren. Oh. Naja, auch egal, weit konnten sie ja nicht sein, und ich würde sie sicher wieder finden, wenn ich sie jetzt gleich suchte.

"Cool, ich wünsche ihm viel Spaß", sagte ich zu Nico und grinste ihn an. "Dir im übrigen auch. Ich muss jetzt los, die anderen suchen. Happy Halloween!"

Ich drehte mich schwungvoll um, und wollte gerade gehen, als sich starke Finger um mein Handgelenk schlossen und mich zurückhielten. "Hey, hast du nicht was vergessen", lachte Nico, und wirkte dabei auch ein bisschen verblüfft. Ich legte verwirrt den Kopf schief, aber bevor ich noch etwas erwiedern konnte lagen seine Lippen auf meinen.

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