45. Von Kuchen und anderen kleinen Katastrophen

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Es gab drei Dinge, bei denen ich mir absolut sicher war.

Erstens: Ich wollte Kuchen, genau wie Valentin.

Zweitens: Ein Teil von mir wusste, dass wir dafür auf jeden Fall ein Rezept gebraucht hätten.

Und drittens: Weder Valentin noch ich konnten backen. 


Die Kücheninsel, auf der wir unsere Zutaten zusammengetragen hatten, sah aus wie ein Schlachtfeld. Mehl bedeckte die Tischplatte wie eine Staubschicht, geschmolzene Schokolade lief über den Rand der Rührschüssel und vermischte sich allmählich mit den Butterkleksen. Zuckerdose, Milchflasche, Eierschalen und die übrige Kochschokolade lagen mittendrin in dem Chaos, das wir verursacht hatten. Von unserem Versuch, Eischnee zu schlagen, ganz zu schweigen - ich war mir noch nicht sicher, wie wir die weißen Eischneeflocken von der Deckenlampe bekommen würden. Im Zentrum dieser Teigexplosion standen Valentin und ich, den Handmixer und die Schüssel für unserem Endprodukt zwischen uns.

Valentin hatte Mehl in seinen Haaren, und Kochschokolade auf seinen Fingern. Ich sah wohl nicht besser aus, denn ich hatte den Eischnee geschlagen - oder das wenigstens versucht. "Okay," sagte ich nachdenklich. "Jetzt müssen wir eigentlich nur noch alles zusammenrühren, und dann in eine Form tun, oder?" Mein Zimmerkollege nickte zustimmend, und hielt mir nach kurzem Suchen eine Teigkarte entgegen, die noch überraschend sauber geblieben war, dafür dass sie schon von Anfang an auf unserem Tisch gelegen hatte.

Während ich die Schokolade, die Eier und das Mehl zusammenrührte, und mir dabei Mühe gab, nicht zu viel von der Mischung abzubekommen, versuchte Valentin fluchend, den Ofen in Gang zu bringen. Ich blickte amüsiert über meine Schulter zu ihm - und rutschte prompt mit der Teigkarte ab.

Wie in Zeitlupe sah ich zu, als eine ordentliche Portion des Teigs durch die Luft katapultiert wurde und schließlich nicht nur den Fußboden, sondern auch Valentin traf.

"Oh nein! Sorry!", rief ich und ließ vor Schreck die Teigkarte fallen, die mit einem schmatzenden Geräusch in der Schüssel voll Schokomischung versank. Mein Zimmerpartner hatte die Hände abwehrend ausgestreckt und die Augen zusammengekniffen, konnte aber schon jetzt sein Lachen nicht mehr unterdrücken. Der Teig hatte ihn frontal erwischt, und sein Shirt über und über mit schokoladigen Flecken bedeckt. Einige vereinzelte Tropfen hatten ihn auch im Gesicht erwischt, und sahen von Weitem aus wie gigantische Sommersprossen.

"Was sollte das denn jetzt, willst du mich etwa loswerden? Ich dachte, wir wären ein Team, eine Familie! Du, ich, der Schokokuchen...". Valentin warf sich dramatisch in Pose und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, so als könnte er nicht fassen, was geschehen war. Für einen Moment schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass er und Jamie sich gar nicht so unähnlich waren. Dann prustete ich los. Was vorher nur Schoko-Sommersprossen gewesen waren, hatte er mit seinen Gesten in Zebrastreifen verwandelt, die sich quer über sein wohlgeformten Züge ihre Wege bahnten.

Valentin sah auf seine mit Teig beschmierten Hände und wischte sie mit verzogenem Gesicht behelfsmäßig in sein nicht weniger mitgenommenes T-Shirt.  "Das ist wohl nicht mehr zu retten", murmelte er, und mit einer einzigen, flüssigen Bewegung zog er das verdreckte Kleidungsstück über seinen Kopf.

Ich starrte ihn an. Ich konnte nicht anders. Schon allein rein objektiv betrachtet war Valentin attraktiv, das wusste ich. Aber jetzt und hier verschlug es mir trotzdem kurzzeitig den Atem. Er war kein Muskelprotz, nicht im Vergleich zu anderen meiner Mitschüler, aber trotzdem, sein Oberkörper erinnerte mich an eine dieser griechischen Statuen. Elegant, von Meisterhand geformt und absolut unwiederstehlich. Ich wollte ihn berühren, meine Finger über seine Haut tanzen lassen, und spüren, wie die Muskeln unter ihr arbeiteten. Gleichzeitig fiel mir auf, wie leicht es ihm fallen würde, mich aufzuheben - ich konnt mich einfach seinen starken Armen anvertrauen, und...

Ich schluckte krampfhaft. Blinzelte. Okay, das war nicht unbedingt einen Gedankengang, den ich mir ausgerechnet jetzt ausmalen wollte. Ich hatte Gesellschaft - und keine Zeit für Fantasien. Abrupt wandte ich mich der Schüssel mit Kuchenteig zu, und begann, sie in die Form zu schaufeln.

Valentin trat neben mich, und half mir dabei dass, der Großteil der Masse auch dort landete, wo sie hin sollte. Die Stille war angespannt, und wir arbeiteten konzentriert nebeneinander. Ich vermied bewusst, ihn anzusehen. Warum genau hatte er sich ausziehen müssen? Das war so nicht geplant gewesen. Seine Hand streifte meine, und als der Kontakt länger als ein paar Millisekunden anhielt blickte ich auf, verwirrt.

Grüne Augen sahen mich ruhig und ein bisschen fragend an. "Alles okay? Keine Sorge wegen dem Shirt, das war sowieso schon alt." Ein erleichtertes Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Er hatte nicht gemerkt, dass ich ihn angestarrt hatte, oder jedenfalls nicht erraten, was meine Gedanken gewesen waren. Zum Glück. Das war ein Gespräch, das ich jetzt wirklich nicht führen wollte, vor allem mit jemandem, mit dem ich nachher in einem Raum schlafen würde.

"Oh, ja dann ist ja alles gut. Kann der Kuchen in den Ofen?", antwortete ich schnell.

"Der Ofen! Ich habe doch gewusst, dass wir etwas vergessen haben!", rief Valentin aus und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Naja, Backrohr vorheizen wird sicher überbewertet, oder?"


*+*+*


Es war wieder einmal viel zu spät, weit nach der Ausgangssperre, als ich versuchte, unbemerkt zurück in mein Zimmer zu kommen. Doch diesmal war ich nicht alleine unterwegs, Valentin folgte mir, sein Shirt in seiner Hand zusammengeballt. Ich hatte ein seltsames, flatterhaft flaues Gefühl im Bauch - naja, vielleicht lag das auch an den Unmengen von selbstgemachtem Schokokuchen, den ich gemeinsam mit Valentin verputzt hatte. Wir hatten uns einfach in der Küche auf dem Fliesenboden niedergelassen, der dank der Fußbodenheizung angenehm warm gewesen war, und unseren Kuchen einfach direkt aus der Form gegessen, solange er noch heiß gewesen war. Wir hatten geplaudert, über Filme und andere Sachen, und hatten gelacht. Der Kuchen war fantastisch gewesen, und hatte sich auf jeden Fall gelohnt, auch wenn wir ewig gebraucht hatten, um das entstandene Chaos wieder zu beseitigen.

"Du, Valentin", meinte ich mit gesenkter Stimme, als wir die letzten Stufen nahmen. "Ja?", murmelte er zurück. "Danke für den Abend, und den Kuchen. Das hat mir heute echt den Tag gerettet." Ich lächelte ihn ehrlich an, und erntete im Gegenzug ein strahlendes Lächeln, das mir kurz die Sprache verschlug.

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