60. Von Fehlern und Fragen

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"Jenny, ich hab einen schrecklichen Fehler gemacht", murmelte ich, und versuchte, die Verzweiflung in meiner Stimme zu unterdrücken. Mein Kopf pochte, als würde ihn jemand mit einem Vorschlaghammer bearbeiten, und jedes laute Geräusch ließ mich zusammenzucken. Wir saßen im Aufenthaltsraum, auf einer roten Couch, die zwischen den Bücherregalen versteckt war. Warum ich gerade mit Jenny über letzte Nacht reden wollte, war mir selbst nicht wirklich klar. Aber andererseits, wem sollte ich mich sonst anvertrauen?

Lou wäre wohl meine erste Wahl gewesen, wenn es nicht ausgerechnet um Simon gegangen wäre. Simon, der Ex von Lous bester Freundin, mit dem die Französin selbst eine Affäre gehabt hatte. Oh Gott, was hatte ich nur getan? Wenigstens war ich vor ihm wach geworden und prompt aus unserem Zimmer geflüchtet. Aus seinem Bett. Wie sich das allein anhörte!

Jenny sah mich nur abwartend an. Sie würde sich anhören, was ich zu sagen hatte. Also holte ich tief Luft und platzte gleich mit der Türe ins Haus: "Ich hab mit Simon geschlafen!"

Meine Freundin blinzelte, erst einmal, dann zweimal, in schneller Abfolge, offensichtlich verwirrt. "Warte, das sind deine dringenden Neuigkeiten? Es wissen doch schon seit Wochen alle, dass ihr zwei etwas am Laufen habt!", meinte sie lachend. Als sie meinen Gesichtsaudruck sah, wurde sie aber rasch wieder ernst.

"Dann haben die Gerüchte also eigentlich nicht gestimmt? Aber jetzt hattest du doch etwas mit ihm?", fragte sie, und beugte sich verschwörerisch grinsend näher zu mir. "War er gut?" Ich zuckte etwas überfordert mit den Schultern. Nicht nur, dass ich keinerlei Vergleichsmaterial hatte, ich konnte mich auch kaum daran erinnern, was genau passiert war. Ich spürte, dass ich rot wurde. Was war das auch für eine Geschichte? Ich hatte mein erstes Mal besoffen mit einem Typen gehabt, den ich nur flüchtig kannte und der wahrscheinlich nur mit mir geschlafen hatte, weil er grade eine Trennung hinter sich hatte. Großartig.

Irgendwie kamen mir bei dem Gedanken die Tränen. Schnell wischte ich mir mit dem Handgelenk über die Augen, aber Jenny interpretierte das ganz anders. "Was, so schlecht?", meinte sie belustigt, doch als ich nicht mitlachte, wurde sie plötzlich ernst. "Alles okay, Ani? Hat er, du weißt schon, irgendwas gemacht, was du nicht wolltest? Hey, nicht weinen". Sie legte einen Arm um mich, während ich versuchte, meine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.

"Nein, das ist es nicht, ehrlich. Es war zwar Alkohol im Spiel, aber... naja, ich weiß nicht". Das war wenigstens nichts als die Wahrheit. Ich wusste überhaupt nichts, und am wenigsten, warum ich mich so elend fühlte.

"Aber Ani, ihr habt doch verhütet, oder?" Jenny stellte die nächste Frage, und ich nickte rasch. Ich nahm die Pille - eine Schwangerschaft war so ungefähr das letzte, was ich gerade gebrauchen konnte. Daran hatte ich bis jetzt garnicht gedacht, aber sie hatte natürlich recht. Ich war einfach nur heillos überfordert mit der Situation.

"Es ist nur... ich hab noch nie, vorher. Du weißt schon", murmelte ich. Es war mir unglaublich peinlich, aber irgendwem musste ich das sagen. Ich brauchte gerade einfach eine Freundin auf meiner Seite, die wusste, was los war und mit der ich mich beraten konnte.  Jennys braune Augen wurden groß. "Echt jetzt?!", brachte sie heraus, so laut, dass ich mich schnell umsah. Hatte sie jemand gehört?

Wir waren mehr oder weniger alleine, zumindest, bis gerade in diesem Moment die Tür aufging, und Lou hereinschneite. Sie wirkte fröhlich wie immer, herausgeputzt und mit hohen Schuhen. Maja folgte ihr, langsamer, aber entschlossen. Das rothaarige Mädchen hatte tiefe Ringe unter den Augen, sah aber sonst aufgeräumt aus. Es schien, als hätte sie für sich bereits mit Simon abgeschlossen. Jenny und ich wechselten erstaunte Blicke. Was machten die beiden hier? In aller Öffentlichkeit, gemeinsam? Ich hätte nie gedacht, dass ich Lou und Maja jemals wieder so ruhig und verträglich nebeneinander sehen würde, nach allem, was zwischen den beiden vorgefallen war.

Lous dunkle Augen glitten suchend über die Regalreihen, bis sie Jenny und mich entdeckte. Ein triumphierendes Lächeln erhellte ihre Züge, und schon steuerte sie auf uns zu, Maja im Schlepptau.

"Hi", begrüßte ich die beiden unsicher. Die Stimmung war plötzlich angespannt, irgendetwas lag in der Luft. Es war, wie über ein Minenfeld zu gehen und nicht zu wissen, ob der nächste Schritt richtig oder falsch war. Jede Bewegung hatte das Potential, alles zunichte zu machen. "Was gibt's?"

Ich rückte ein Stück näher zu Jenny, sodass sich die beiden älteren Schülerinnen zu uns setzten konnten. Maja drehte sich sofort zu mir. "Du bist mit Simon im Zimmer, richtig?", fragte sie mich direkt, und ich erstarrte. Hatten sie etwa davon gehört, was letzte Nacht passiert war? Hatte Simon etwas erzählt. Oder noch schlimmer... Oh nein, ich sah das Instagram-Selfie schon vor mir, halbnackt im zerwühlten Bett, Hashtag endlich Single . Ich spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. "Ja?", kiekste ich, und hätte mir anschließend am liebsten gleich den Mund zugehalten. Viel auffälliger ging's ja wohl überhaupt nicht mehr.

"Genau Chèrie, und wir haben uns geeinigt. Waffenstillstand, zumindest, bis dieser saloppard affreux dafür hat büßen müssen, was er getan. Gemeinsame Rache, ein letztes mal als Freundinnen", erklärte mir Lou ernsthaft. Maja nickte zustimmend, ohne die Französin eines Blickes zu würdigen: "Und dafür brauchen wir dich. Du bist im selben Zimmer wie er, also weißt du genau, was er tut, wen er trifft, wann er nicht da ist. Und wenn er es am wenigsten erwartet, dann schlagen wir zu. Er wird nicht wissen, was mit ihm geschieht, der Trottel". Das rothaarige Mädchen hatte einen Gesichtsausdruck, der mir ein bisschen Angst einflößte. Mir wurde bewusst, dass ich sie falsch eingeschätzt hatte: Maja hatte nicht mit Simon abgeschlossen, nein, ganz im Gegenteil. Sie hatte die einzelnen Teile ihres gebrochenen Herzens gerade erst aufgesammelt, und sie würde sich für jede einzelne Träne rächen, die sie wegen ihrem Ex-Freund vergossen hatte. Und dann war Lou dran, das spürte ich ganz deutlich.

"Aber... gibt es denn keine bessere Lösung?", fragte ich ein bisschen irritiert. Jenny neben mir war ganz still geworden. Vermutlich versuchte sie, sich jedes Wort dieser Konversation einzuprägen, damit sie dann ihren Freundinnen haarklein erzählen konnte, was passiert war. Solange sie die Sache mit Simon und mir für sich behielt, dann war mir das nur recht.

"Nein", antwortete Maja mir bestimmt, ohne auch nur darüber nachdenken zu müssen. "Komm schon, Chèrie", sagte Lou in einem tadelnden Tonfall. "Simon verdient es einfach, c'est vrai. Er hat es sich selbst zuzuschreiben, und unsere letzte gemeinsame Rache wäre vraiment viel einfacher, wenn du uns helfen würdest " Sie warf Maja einen kalten Blick zu, den diese ebenso erwiderte.

"Ich glaube, ihr macht einen Fehler", murmelte ich leise, aber ich wollte das einfach nicht ungesagt lassen. "Nicht wegen Simon, das ist mir schon klar. Aber wegen eurer Freundschaft. Wollt ihr euch nicht einmal aussprechen?". Die beiden kannten sich schon ewig, waren beste Freundinnen gewesen und jetzt sollte das alles nichts mehr wert sein, nur wegen eines Typen?

"So ist das Leben", sagte Maja und sah mir direkt in die Augen. "Man vertraut den falschen Leuten, und dann muss man dafür büßen. Fehler passieren, Beziehungen scheitern. Und weißt du was, das ist gut so. Dann kann man nämlich daraus lernen. Dafür ist die Badboy Academy schließlich da."

Ich starrte sie verdutzt an. Irgendwie hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass sie über sich selbst sprach. Lou lachte auf, ein perlendes, schönes Lachen ohne einen Funken Ehrlichkeit oder Freude. Ich hatte genug. Mein Kopf hatte nicht aufgehört zu pochen, ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich immer noch mehr als nur elend, und diese ganze Geschichte war gerade überhaupt nicht das, was ich brauchte. Ich hatte meine eigenen Probleme. Mein Freund hatte mich auch betrogen und sich von mir in einer unschönen Weise getrennt, aber ich war nicht dabei Rachepläne zu schmieden oder ähnlich verquere Sachen zu tun. Außer vielleicht, mit Simon zu schlafen. Verdammt.

"Wisst ihr was? Mir ist schlecht, und ich hab Kopfweh. Und, sorry Lou, aber ich finde das wirklich blöd, was ihr hier macht. Tut, was ihr nicht lassen könnt, aber ohne mich."

Dann drehte ich mich um, und verließ den Aufentshaltsraum, um mich, erwachsen und vernünftig wie ich war, in der nächsten Toilette zu verstecken.


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