1. Türchen 7- Vergangenheit

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„So Daniel, dann zeig mal, was du kannst", flüsterte ihm Thomas zu und schubste ihn fast auf die Bühne. Nervös stand er da. Ein letztes Mal atmete er zur Beruhigung tief ein und aus. Dann ertönten die ersten Töne des Liedes ‚I dreamed a dream' (Interpretation Caleb Hyles).

Sofort kamen Erinnerungen hoch. Beinahe hätte er den Einsatz verpasst, aber auch nur beinahe. Seine Augen waren auf den Text gerichtet, aber eigentlich sang er auswendig. Immer wieder dachte er an seine Vergangenheit zurück. Diese wurde so gut von den paar Zeilen hier beschrieben.

Daniel dachte an die Zeit bei seinen Eltern. Wie einfach und schön damals das Leben doch gewesen war. Die Welt war ihm zu Füßen gelegen. Er hatte alles gehabt, für ihn war alles so selbstverständlich gewesen.

Doch dann kam die Wende. Die schreckliche Zeit, in der er gelernt hatte, zu kämpfen. Als seine Welt düster und farblos geworden war. Es war furchtbar, aber Daniel hatte sich damals als 21-Jähriger bewusst für solch ein Leben entschieden. Er wollte sich nicht mehr verstecken und war bereit gewesen, den Preis dafür zu zahlen.

Das Blatt hatte aber irgendwann angefangen sich zu wenden. Er fand einen Arbeitsplatz, eine Wohnung und sein Thoo kam zu ihm. Alles schien perfekt, besonders als er seinen damaligen Freund Mathieu kennenlernte.

Doch so schnell sein Glück kam, war es auch wieder weg. Er kam in Schwierigkeiten, große Schwierigkeiten. Es wurde immer schwerer für ihn, sich über Wasser zu halten. Damals war ihm nur ein Ausweg geblieben.

Er musste irgendwo neu anfangen. Das tat er dann auch. Lange hatte er gehofft, dass ihn sein damaliger Freund wieder fand und alles wieder so werden würde wie früher. Irgendwann hatte Daniel dann aber realisiert, dass es so besser war. Ja, er hatte noch nicht mit dem allen abgeschlossen. Aber er hatte akzeptiert, dass er nur alleine aus seiner persönlichen Hölle raus konnte.

Je mehr Erinnerungen hoch kamen, desto mehr steigerte sich Daniel hinein. Er wollte seine Geschichte erzählen und den Schmerz teilen. Gegen Ende des Liedes musste er sich sogar die Tränen verkneifen. Es war ihm egal, ob es den anderen gefiel. Er sang nur für sich!

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Als das Lied vorbei war, spürte Daniel plötzlich eine gewisse Spannung im Raum. Er blickte auf. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Das geschah in letzter Zeit ziemlich oft, wie der 24-Jährige bemerkte. Wortlos wollte er die Bühne verlassen, doch dann begannen die anderen zu klatschen. Immer lauter und begeisterte. Der Katzenbesitzer wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, weshalb er sich dazu entschied, so schnell wie möglich die Bühne zu verlassen.

„Alter Daniel, das war der Wahnsinn!", kam es sofort von Manuel und Thomas. Beide waren bei der Bühne stehen geblieben, als eine Art seelische Unterstützung. Schulterzuckend sah er die beiden an. Die beiden verstanden wohl, dass er nicht reden wollte.

Wortlos setzten sie sich zurück an ihre Plätze zurück. Dort angekommen starrten ihn die restlichen Spieler ungläubig.

„Wow, das war der Gänsehautmoment des Abends", kommentierte Julian Draxler. Zur Unterstreichung hob er seinen Arm, auf dem wirklich noch einige Haare in die Höhe standen. Sofort stimmten die anderen ein. Daniel, dem das ganze Lob etwas unangenehm war, brachte nicht mehr als ein unsicheres „Danke" hervor.

„Hey Leute, seht mal, wenn ich hier zufällig getroffen", erklang auf einmal Mesuts Stimme. Erstaunt drehte sich einige zum Deutschtürken. Daniel konnte seinen Augen fast nicht trauen. Das musste doch alles ein schlechter Scherz sein. Anders konnte er sich das alles nicht erklären.

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„Was ist los?", wollte Christoph wissen. Dieser war nun schon eine Weile hinter seinem Zimmerkameraden hinterhergeeilt.

„Wieso sollte was sein?", versuchte Jonas eine gefühlslose Gegenfrage zu stellen.

„Naja, wenn jemand aufgewühlt die Mannschaft verlässt, dann ist es meist so, dass mit diesem jemand etwas los ist", erklärte der Jüngere ruhig.

Der Kölner schwieg eisern.

„Bitte Jonas, ich will dir doch nur helfen", probierte er der Gladbacher erneut.

„Du kannst mir nicht helfen", antwortete der Verteidiger. Anhand seiner Stimme ließen sich keine Emotionen deuten.

„Wieso nicht?", harkte der Mittelfeldspieler neugierig wissen.

„Weil... weil das einfach so ist", war die verzweifelte Erklärung von Jonas.

„Lass es uns so machen: Du sagt mir nicht, was mit dir los ist, versprichst mir aber, dass du sofort zu mir kommst, wenn ich dir irgendwo helfen kann. Deal?", bot der Jüngere an.

„Deal", erwiderte der Kölner gequält lächelnd.

„Gut, willst zurück zu den anderen? Oder möchtest du jetzt einfach in unseren Zimmer deine Ruhe haben?", fragte der Mittelfeldspieler freundlich.

„Zimmer", erwiderte der Älter schnell.

„Dann lass uns gehen", erwiderte der Christoph aufmunternd lächelnd und die beiden machten sich auf den Weg zurück zum Quartier.

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Deprimiert wanderte Julian Weigl durch die Straßen des kleinen Ortes. Seine Gedanken schienen nur ein Thema zu kennen: Erik.

‚Hatte Erik, als er zu Mats gesagt hatte, dass er mich nett findet, vielleicht einfach nur freundschaftlich gemeint? Wieso sollte jemand wie er auch nur mit jemanden wie mir zusammen sein wollen? Er könnte so viele andere Männer haben, bessere Männer, hübschere Männer... Ich habe einfach keine Chance. Das ist wohl die Wahrheit', dachte er junge BVBspieler traurig.

Es tat schon genug weh, dass er dabei zusehen musste, wie Erik mit Julian geflirtet hatte. Aber das, das ihm das Herz in der Brust zerriss, war die Erkenntnis, dass er selbst nie eine Chance bei seinem Kollegen haben würde. Nein, für diesen war er einfach nicht gut genug. Für diesen würde er nie gut genug sein.

Mit dem Gedanken, dass außer Freundschaft sicher nichts für ihn bei Erik möglich war, egal wie sehr er es sich wünschte, streifte der Nationalspieler durch die Stadt. Das ging so lange weiter, bis er eine Parkbank entdeckte, auf die er sich setzen wollte.

Als er sich dieser näherte, bemerkte er, dass dort schon jemand saß. Diesen jemand konnte der Fußballer beim Näherherantreten als Daniel ausmachen. Geräuschlos setzte sich Julian neben den 24-Jährigen.

Dieser schien ihn immer noch bemerkt zu haben. Sie saßen eine Weile so neben einander, bis der Dortmunder entschloss, sich bemerkbar zu machen. Er räusperte.

Schnell hob der Angestellte neben ihn den Kopf und schaute ihn verwundert an. Mit ihm hatte Daniel wohl wirklich nicht gerechnet.

EM 2016 - Das Trainingslager davorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt