Schicksalshafte Begegnung

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Wiedermal irrte ich seit Stunden in den nächtlichen Gängen der Schule umher. Überall hingen Bilder und kleine Tischchen mit Blumen zierten den Gang an beiden Seiten. Mein Kopf pochte unter Schmerzen, nicht fähig einen klaren Gedanken zufassen. Seit nun knapp vier Monaten hatte ich keine einzige Nacht länger als drei Stunden geschlafen, ohne von meinen Alpträumen geplagt zu werden. Immer wieder schlängelten sich die dunkeln Ranken der Vergangenheit in meine Träume. Sie schienen mich zu verhöhnen, zu verspotten, sind surreal und düster, manchmal sogar fast witzig. Eines jedoch schafften sie immer und zwar dass ich aus meinem Schlaf schrecke, schweißgebadet und voller angst.

Jeder Tag schien mir einen neuen Einblick in die Hölle zu gewähren. Obwohl ich hier unter anderen Mutanten war, unter Gleichgesinnten, fürchtete ich mich. Seit jener Nacht damals hatte ich jegliches Vertrauen in die Menschen verloren. Ich wusste sie würden mir gegenüber, wenn sie erst wussten was ich war, nicht gut gesinnt sein und nun war auch ich es nicht mehr. Die Menschen machten mir angst und ich wusste das andere Mutanten das verstehen würden. Aber auch sie mochte ich nicht. Ich konnte niemanden mehr leiden. Zu groß war meine Angst vor einem erneuten "Unfall", vor einer erneuten Ausgrenzung. "Aber was könnte ich denn jetzt noch verlieren? Mir wurde doch schon alles genommen?", murmelte ich traurig vor mich hin und setzte meinen nächtlichen Spaziergang in der Dunkelheit fort.

Ein Geräusch am Ende des Korridors ließ mich aufschrecken. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich war nicht darauf gefasst mit jemandem zusammenzustoßen. Ich war doch so erpicht darauf mit niemandem zu reden. Augenblicklich hielt ich inne und blieb stehen. "Na, bekommst du auch kein Auge zu?", fragte mich die Stimme eines Mannes, der gerade um die Ecke bog. Unfähig mich zu bewegen, geschweige denn etwas zu sagen, blickte ich in blaue Augen. Trotz der Dunkelheit ließ sich die Farbe genau erkennen. Der Mann stand nur noch knapp einen Meter von mir entfernt und musterte mich interessiert. Da ich keine Anstalten machte ihm zu antworten, ergriff er die Chance: "Ich habe Alpträume weißt du?", setzte er an ohne auch nur eine Antwort meinerseits zu erwarten. Stattdessen redete er weiter und mir wurde schlagartig klar, dass er seit Monaten der Erste war der mit mir sprach und der Erste den ich nicht einfach ignorierte. Nein ich hörte ihm sogar sehr gerne zu. Seine Stimme war beruhigend und als er das Thema 'Alpträume' ansprach, wurde ich hellhörig. "Hatte ein traumatisches Erlebnis. Ist zwar schon lange her, jedoch verfolgt es mich immer noch." Ein trauriges Lächeln schlich sich auf sein Gesicht und in seinen Augen flackerte eine Gewisse Kälte auf. Und da geschah es. Monate der Abgeschiedenheit und Einsamkeit mit einem einzigen Satz durchbrochen. "Meins ist zwar nicht so lange her aber verfolgt werde ich auch davon....es es ich....ähm..also!" Meine Stimme brach und Tränen begannen sich in meinen Augenwinkeln zu bilden. Ich hatte es doch gewusst, sobald ich anfangen würde mit jemandem darüber zu sprechen, würde ich zusammenbrechen. Und natürlich geschah es auch genau so.

Mir war gar nicht mehr klar, dass er vor mir stand und mich ansah. Meine Gedanken blendeten alles aus. Nur der Schmerz im Inneren blieb und er tat so schrecklich weh. Plötzlich spürte ich wie sich zwei starke Arme um meinen Körper legten und mich näher zogen. Ich war vollkommen perplex und wusste nicht was ich tun sollte. Ich genoss es einfach. Schon lange hatte ich niemanden mehr berührt und es war einfach wunderschön. Meine Schmerzen schienen für einen Moment zu verblassen und mein Herz schlug nun wieder im gewohnten Tempo. "Du musst nichts mehr sagen. Ich weiß wie sehr es wehtut. Wenn du willst mache ich uns eine Heißeschokolade und wenn du willst können wir reden. Na wie klingt das?" Er ließ mich los und schaute mich mit großen  Augen an. Er drängte nicht sondern wartete Minuten auf meine Antwort, die schlicht und einfach aus einem Nicken bestand.

Ehe ich mich versah, saß ich ihm gegenüber an einem großen braunen Eichenholztisch in einer hellen Küche mit einer Glaswand. Ein Kakao stand jeweils vor einem von uns. Während er sie für uns gemacht hatte und auch während unserem Weg hierher sprach er nicht und ich war ihm so verdammt dankbar dafür. Er ahnte oder er wusste warum ich still war und er wollte mir die Zeit geben, dass nun wieder Hochkommende zu verarbeiten. Und diese Zeit hatte ich verdammt nötig gehabt. Immerhin war er der Erste mit dem ich seit sehr langer Zeit freiwillig ein Wort wechselte und der Erste den ich seit gefühlten Jahren wieder umarmte. Obwohl eigentlich er es war, der mich umarmte. Aber ich hatte endlich wieder das Gefühl gehabt nicht alleine zu sein und dafür war ich ihm so unendlich dankbar. Das Licht in der Küche erlaubte es mir nun diesen Mann, oder eher meinen Retter aus der Finsternis, genauer zu betrachten.  Er war gute 185-190 cm groß hatte dunkelbraunes kurzes Haar und wunderschöne blaue Augen. Er war schlank aber muskulös und seine Bewegungen waren bedacht und voller Anmut. Seine etwas spitze Nase passte perfekt zu seinen Augen und die vollen Lippen ergänzten seine leicht hervorragenden Wangenknochen. Alles in allem war er ein wirklich gut aussehender Mann, wenn da nicht der Ausdruck in seinem Gesicht wäre und diese Wut in seinen Bewegungen. Diese Traurigkeit die in seinen meerblauen Augen innewohnte und der Zorn der dahinter loderte waren für mich unverkennbar. Umso mehr interessierte mich der Grund für seine Alpträume, der Grund seiner Qualen.

Als wir uns nun so gegenüber saßen, war ich abermals unfähig etwas zu sagen. So als ob ich all das Zwischenmenschliche vergessen hätte und beinahe wäre dies wahrscheinlich auch geschehen, wäre er nicht gewesen. Mein Retter. "Ich muss mich mal bei dir entschuldigen.", räusperte er sich und trank einen Schluck. "Warum?", fragte ich verdutzt. "Naja ich entführe dich des Nachts in die Küche und verrate die nicht mal meinen Namen." Er grinste und diesmal wirkte es auch echt. Mir blieb nichts anderes übrig als auch zu grinsen, seines war so ansteckend. Vier Monate ging mir kein Lachen, Lächeln oder Grinsen von den Lippen und er entlockte Letzteres schon beim dritten Satz den er mit mir wechselte. Es war als hätte Gott ihn mir persönlich gesandt. "Ich heiße Erik. Erik Lehnsherr. Könnte sein dass du schon was mir gehört hast. Aber glaub mir ich bin kein böser Mensch!" Es wirkte etwas beschämt, wie er nun seine Augen von meinen abwandte. "Magneto..", murmelte ich kaum merklich. "Genau der bin ich." erwiderte er. Nun hob er seinen Blick wieder und ich sah in seine Augen. "Ich glaube dich kennt so ziemlich jeder. Sogar ich die seit Monaten mit niemandem mehr gesprochen hatte." "Dann bin ich ja froh.", gab er halb lächelnd zurück. "Ich dachte mir...". Erik hielt inne, bis ich begriff, dass ihm mein Name nicht bekannt war. "Ähmm also ich heiße Stefanie. Nur Stefanie...." Meinen Nachnamen wollte ich einfach nur vergessen. Zu viele Erinnerungen hingen daran. "Nagut Stefanie, ein schöner Name  nur so nebenbei, ich dachte mir, da du anscheinend lange mit niemandem mehr gesprochen hast, fange ich eben an dir meine Gründe für die Alpträume zu erzählen. Vielleicht willst du dir dann ja auch dein Herz erleichtern und mit jemandem reden. Glaub mir es hilft verdammt gut.", fuhr er fort und sofort wurde er mir sympatischer. Nicht wie jeder andere der immer nur darauf aus war mich zu drängen meine Erlebnisse zu schildern um mir dann zu sagen ich hätte ein Trauma. Nein er wollte dass ich ihm zuhöre, mir sein traumatisches Erlebnis anzuhören und dann die Entscheidung zu fällen es ihm gleich zutun. Er zeigte mir, dass er mir vertraute und ich wusste ich würde es ihm gleichtun.

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt