Das Beste, das mir je passiert ist

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Eriks Schmerzen waren wieder gekommen, nachdem Charles uns verlassen hatte. Ich war natürlich wieder sofort zur Stelle gewesen und half ihm diese zu lindern. Ich hatte es doch gewusst. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn alles vorbei wäre. Mich wunderte es, dass Charles nicht ein Wort über die Schule verloren hatte. Inzwischen waren sicher schon drei Woche vergangen, das wusste ich gar nicht so genau. Aber wahrscheinlich wusste er einfach nur zu gut, dass ich jetzt nicht einen Funken an Konzentration in den Unterricht stecken könnte. Meine Gedanken würden nur bei Erik sein, obwohl es doch sonst auch nicht anders war, oder? Nun schlief er wieder seit geschlagenen acht Stunden und langsam wusste ich nicht mehr was tun. Ich hatte so gut wie jedes Buch, das Erik sein Eigen nannte, durch gelesen. Also saß ich schon seit einiger Zeit vor dem Fenster und sah den jüngeren Schülern zu, wie sie fröhlich draußen Fußball spielten. 'Mein Bruder hatte auch immer mit mir gespielt.', schoss ein Gedanke durch meinen Kopf. Sofort stimmte es mich traurig. Er hatte soviel vor, immer lag er mir mit seinen Träumen in den Ohren. Wie er die Welt verändern wollte, damit Mutanten darin leben konnten, ohne sich verstecken zu müssen. Er war immer so stolz auf meine Mutation gewesen, was ich jedoch nie verstanden hatte. Er hatte immer an mich geglaubt und mich vor allen Menschen beschützt, die schlecht über mich redeten. Irgendwann wurde er selbst gemieden, da er uns Mutanten befürwortete. Ich versuchte ihm klar zu machen, dass er wegen mir nicht zum Außenseiter werden musste, aber er meinte immer nur, dass er die Welt unfair fand und etwas dagegen tun wollte. Außerdem konnte er es nicht ertragen, wie seine kleine Schwester behandelt wurde. Tränen flossen meine Wangen hinab. Das einzige, was er wollte, war, dass alle Menschen gleich behandelt wurden, egal ob Mutant oder nicht und dann fand er den Tod durch jemandem, für dessen Rechte er kämpfen wollte. Wieso mussten die herzensguten Menschen immer zuerst gehen?

'Solche Gedanken verbiete ich dir.', ertönte eine strenge Stimme in meinem Kopf. Ohne zu überlegen, wusste ich, dass es Charles war. Langsam rollte er zu mir ans Fenster und ich setzte mich ihm gegenüber hin. "Ich dachte du hättest viel zu tun?", stellte ich fest. Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. "Ja, aber das liegt gute acht Stunden zurück. Da ich jetzt quasi frei habe, habe ich mir gedacht ich schau nochmal bei euch vorbei." Seine gute Laune war so ansteckend. Sofort wurde mir wieder warm ums Herz, seine positive Ausstrahlung war einfach unglaublich. "Na dann, aber wie du siehst, schläft Erik.", meinte ich. "Du aber nicht. Ich hab mir gedacht, dir ist sicher schon langweilig. Außerdem ist es eine gute Gelegenheit mit dir alleine zu reden.", grinste er. "An was hast du da bitte gedacht?", fragte ich verlegen. Sein Lachend ertönte und breitete sich im Raum aus. "Du hättest dein Gesicht gerade sehen sollen." "Sehr witzig, Charles.", verdrehte ich gespielt genervt meine Augen. "Mal im Ernst. Eigentlich wollte ich dich loben.", fasste er sich wieder. Verwirrt sah ich ihm in die Augen. "Wie meinen?" Er drehte seinen Kopf Richtung Fenster, sein Blick schien in die Ferne zu schweifen, als er wieder anfing zu sprechen: "Naja, als du hier angekommen bist, war alles was du getan hattest, in deinem Zimmer zu hocken und den lieben langen Tag in deiner Trauer zu versinken. Jean und ich konnten nachts deine Alpträume hören, wir spürten deine Qualen und das machte uns fertig. Und ganz besonders haben wir deine Schuldgefühle wahr genommen. Ich hatte schon oft Mutanten und Menschen mit Schuldgefühlen getroffen, aber sie waren nie so stark wie bei dir. Mit allen Mitteln hatten wir versucht dir zu helfen, aber du hast uns nicht gelassen. Du hast aufgehört zu essen, auch dein Schlaf wurde immer weniger. Wir hatten uns große Sorgen um dich gemacht. Irgendwann konnte ich nicht mal mehr in deinen Kopf eindringen, da musste es wohl besonders schlimm gewesen sein." Er hielt kurz inne. Ihm war klar, dass seine Worte Erinnerungen an eine Zeit in mir hoch brachten, die ich am liebsten vergessen hätte. Ich nickte ihm bloß zu, um zu sagen, dass er recht hatte. Ich wusste zwar nicht, ob er es sah, aber das war mir egal. Es war wirklich die schlimmste Zeit gewesen. "Jedenfalls hörte das alles auf, als Erik auf dich traf. Ich wünschte ja, ich könnte sagen, es war meine Idee, ihn auf dich los zulassen, aber das wäre gelogen.", schmunzelte er. "Er war Gottes Geschenk.", kam es aus meinem Mund. Plötzlich realisierte ich, dass ich das laut ausgesprochen hatte. Schnell schlug ich mir eine Hand vor den Mund. Da Charles aus dem Fenster sah, konnte er diese Geste und auch nie Röte in meinem Gesicht nicht sehen. "Da hast du wahrscheinlich recht. Aber ich bin eher der Meinung, dass der Himmel dich zu Erik geschickt hat. Ich finde es so großartig, dass er endlich wieder jemandem anderes vertraut. Du hast wirklich das Gute in ihm wieder hervorgebracht, von dem ich ihm seit Jahren predige, dass es in ihm steckt. Und auch du bist endlich aus deinem Zimmer gekommen. Jean und ich konnten endlich wieder schlafen. Und ich musste mir endlich keine Sorgen mehr um dich machen. Ich weiß, ich habe dir das sicher schon tausendmal erzählt, aber trotzdem musste ich es einfach noch einmal erzählen." Nun drehte er den Kopf wieder zu mir und setzte ein freundliches Lächeln auf. Ich tat es ihm gleich. "Ja, du hast es wirklich schon sehr oft erwähnt.", neckte ich ihn, "aber ich liebe deine Freude darüber. Dir ist das Wohl der anderen so viel wichtiger als dein eigenes, das ist einfach toll." "Um wieder auf meine Wiederholung von Gesprächsthemen zurück zukommen, ich bin immer noch sehr daran interessiert, wie Erik, das gemacht hat." Seine Miene wurde wieder ernst, als er diese Frage stellte. Ich zögerte kurz. Was sollte ich ihm sagen? Immerhin könnte er wenn er wollte, es so oder so selbst herausfinden, es war also unnötig zu lügen. Ich wusste jedoch auch, dass er sich nie so tief in meine Gedanken vorwagen würde. " Mir gefiel seine Geschichte, das habe ich schon einmal gesagt. Ich wusste einfach, dass er mich verstehen würde. Sein Leid war dem meinen so ähnlich. Vertseh mich nicht falsch, du warst eigentlich auch sehr sympathisch und hast auch ziemlich nett auf mich gewirkt, aber ich konnte erahnen, dass du mich nicht richtig verstehen könntest. Es mag ja sein, dass du Gedanken lesen kannst, aber trotzdem könntest du meine Gefühle nie ganz nachvollziehen. Du hast nie am eigenen Leib erfahren müssen, wie es ist seine Familie vor seinen Augen sterben zu sehen und dabei genau zu wissen, dass man es hätte verhindern können, wenn man doch nur seine Kräfte hätte beherrschen können. Natürlich war es nicht meine Schuld, was konnte ich denn dafür, dass irgendein kranker Junge mein Haus anzündete? Aber man gibt sich trotzdem die Schuld daran und zwar genau aus dem Grund, weil man es hätte verhindern können. Niemand anders wirft mir irgendetwas vor, nur ich selbst und bei Erik ist es dasselbe. Bei ihm wusste ich einfach, dass er mich vollkommen verstehen würde. Seine Vergangenheit war die meine, es war perfekt. Und dann fing er an mich zu beschützen, er fing an mich zu bevormunden, als würde er mich schon sein Leben lang kennen. Es war als würde er meine Mum, mein Dad und mein Bruder in einem sein. Er beschützte mich wie mein Vater, war fürsorglich und immer bedacht, dass ich aß, genau wie meine Mutter und heiterte mich auf, wie es sonst nur mein Bruder gekonnt hatte. Mir blieb nichts anderes übrig als mich in ihn zu verlieben.", und wieder mal wurde mir klar, dass ich den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte. Charles grinste mich an, weil er es genau wusste. "Kein Grund verlegen zu werden, ich weiß doch, dass du ihn liebst.", versuchte er mich zu ermutigen. "Ich hätte mich auch verliebt.", scherzte er. Ich streckte ihm die Zunge heraus.

"Es ist einfach toll, dass du endlich wieder wen lieben kannst und auch, dass du endlich wieder mit anderen redest. Du hast sogar Freunde gefunden und das ganz ohne Eriks Hilfe. Ihr zwei passt perfekt zusammen, finde ich. Durch dich ist er viel netter und hilfsbereiter geworden. Er hat diese Verbitterung verloren und lacht auch wieder. Und was du an ihm hast, das haben wir ja schon besprochen. Ich will damit sagen, bei eurer Hochzeit bin ich der Trauzeuge." Ich lachte auf. "Nicht dein ernst? Ich weiß nicht mal, ob er dasselbe für mich empfindet und du denkst an eine Hochzeit?" Ich konnte nicht mehr vor Lachen, auch er stimmte mit ein. "Wieso sagst du es ihm nicht einfach?", fragte er nach einer Weile. Dann schoss mir ein etwas eigenartiger Gedanke durch den Kopf. Was war, wenn er bereits wusste, was Erik für mich empfand, es mir aber nicht sagen wollte? Aber würde er mich dann wirklich so auf die Folter spannen? Ich wagte es zu bezweifeln, dennoch musste ich Gewissheit darüber haben. "Warte einen Moment. Du weißt doch sicher über seine Gefühle bescheid, hab ich recht?", stellte ich ihn zur Rede. Er grinste bloß hämisch und drehte sich von mir weg. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich spürte wie es schmerzhaft gegen meine Brust klopfte. "Ich weiß alles, habe aber nicht vor etwas zu sagen." Wie ich ihn gerade hasste. Aber er würde mich doch nicht anspornen, ihm meine Gefühle zu gestehen, wenn Erik sie nicht wenigstens ein klein bisschen erwiderte. In mir keimte Hoffnung auf. "Lass uns auf meine Frage zurückkommen.", fing er wieder an. "Das kannst du vergessen.", schoss ich heraus, "ich weiß ja nicht mal, ob er mich auch mag." "Du wirst es nie erfahren, wenn du es nicht wagst." "Aber ich will nicht.", meinte ich trotzig. "Ich zwinge dich zu nichts, aber erklär mir doch, welchen Unterschied es macht, ob du weißt, was er empfindet oder nicht? Ich meine es ändert doch nichts an deinen Gefühlen.", erwiderte er. Ich sah ihm in die Augen. Ich wusste nicht, ob er wusste, was gerade in mir vorging, denn nicht mal ich selbst wusste das genau. In meinem Bauch flogen tausende von Schmetterlingen umher und schienen nicht aufhören zu wollen. Meine Gedanken drehten sich nur um ihn, seine Augen, seine Stimme, einfach alles. Mir wurde immer mehr bewusst wie schlimm es mich erwischt hatte. Es gab kein Zurück mehr, egal wie sehr ich mich gegen all das hier zu wehren versuchte. "Ich...also...", begann ich zu stottern. "Ich kann es nicht okay? Ich meine, wenn er nicht so empfinden würde, dann würde das doch unsere ganze Beziehung ruinieren oder? Ich will das hier nicht kaputt machen, nur weil ich ihm meine Liebe gestehe.", versuchte ich Charles klar zu machen. "Glaubst du wirklich, du würdest ihm so wenig bedeuten, dass ihm das irgendwas machen würde? Glaubst du wirklich er würde dich wegen dieser drei Worte verstoßen, nur weil er nicht selbst so empfindet? Du bist doch alles was er hat, alles was er je wollte, glaubst du ernsthaft, er würde dich verlieren wollen? Wahrscheinlich könntest du morden, würde er dich nicht verlassen.", versuchte er mir Mut zu zureden. Er hatte vollkommen recht, aber dennoch hatte ich diesen Mut nicht. Ich blieb lieber in dem Zustand von Schrödingers Katze. Es war beides möglich. Er könnte mich lieben oder nicht. Die Frage war, ob es mir reichte? "Ich könnte es einfach nicht verkraften, wenn er nichts für mich empfindet. Lieber bleibe ich jetzt in diesem Zustand der Unwissenheit, als die Gewissheit darüber zu haben, dass er mich nicht liebt.", meinte ich betrübt. "Was ist aber, wenn er dich ebenfalls liebt? Dann wärst du glücklich und er auch. Wieso ziehst du diese Version der Geschichte nicht in Betracht?" "Weil ich und er niemals so etwas wie Glück in unserem Leben hatten." "Was ist mit eurem Aufeinandertreffen?", fragte er neugierig. "Eine glückliche Fügung.", meinte ich ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich kann dich nicht umstimmen oder?", fragte er etwas traurig. "Könntest du, aber du willst mir ja nicht sagen was er denkt." "Beobachte ihn doch mal genau. Schau wie er dich ansieht oder wie er mit dir spricht. Wie er in deiner Anwesenheit ruhig wird und lächelt. Kannst du nicht selbst herausfinden, wie er empfindet?" Ich dachte darüber nach. Er hatte ja recht, aber immer wenn ich ihn ansah, dann sah ich nur seine Perfektion und nicht was er tat. Mir fiel es total schwer mich zu konzentrieren, wenn er bei mir war. Wie also sollte ich das bitte bewerkstelligen? "Erik ist einfach das Beste, was mir je passiert ist. Er hat mich gerettet, aus einer bodenlosen Tiefe. Mehr kann ich gar nicht verlangen.", versuchte ich Charles zu erklären. "Aber willst du denn, dass es so bleibt. Willst du, dass er dich immer nur als das Mädchen sieht, welches er gerettet hat? Oder willst du mehr? Was ist wenn er so denkt wie du? Wenn er sich ebenfalls sagt, dass das was du für ihn empfindest doch ganz normal ist, da er dich ja gerettet hat? Es ist doch bescheuert angst vor seinen Gefühlen zu haben. Du solltest....", plötzlich hielt er inne. Erik bewegte sich hinter uns, als er anscheinend aufwachte. "Vertau mir.", lächelte Charles und rollte Richtung Tür. "Nie im Leben!", rief ich ihm nach und wandte mich dann zu Erik, mit einem immer noch rasenden Herzen. "Wie gehts dir?", fragte ich. Was sollte ich denn nur tun?

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt