Normaler Alltag

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Er legte sich ins Bett und ich schmiegte mich an seine Brust. Zum ersten Mal wurde mir klar dass ich die Bürde meiner Schmerzen nicht alleine zu tragen hatte. Nein Erik musste das auch und er scheiterte daran nicht so kläglich wie ich. "Danke....", murmelte ich schon halb in meiner Traumwelt versunken. Der Schlafentzug der letzten Monate machte sich bemerkbar und sofort umschlang mich die Dunkelheit.

Eriks POV:
Alsbald als sie sich an meine Brust legte, schlief sie auch schon ein. Vielleicht war es mir nun auch einmal vergönnt zu schlafen. Zumindest länger als bloß vier Stunden pro Nacht. Diesen Ausgang unserer Begegnung hätte ich mir nie ausmalen können. Ich war froh auf sie gestoßen zu sein. Sie teilte den gleichen Schmerz wie ich. Sie hatte genau wie ich ihre Familie verloren. Und sie hatte angst und einen Zorn auf die Menschheit den sie mit mir teilte. Man könnte sagen, dass ich sie mochte. Plötzlich übermannte auch mich der Schlaf und ich glitt zum ersten Mal seit langen in eine traumlose Dunkelheit.

'Erik aufwachen', ertönte eine Stimme in meinem Kopf. "Charles was tust du hier?", fragte ich schlaftrunken. "Naja ich war eigentlich auf der suche nach Stefanie und wie es aussieht hab ich sie jetzt auch gefunden." "Das freut mich sehr.", erwiderte ich etwas übel gelaunt von meinem vorzeitigen Erwachen. "Du kannst dir doch gar nicht vorstellen welche Schmerzen dieses Mädchen erdulden musste und welche Qualen sie durchlebt.", seine Stimme klang so voller Mitleid und man konnte ihm seine Anteilnahme ansehen. Er glaubte einfach immer an das Gute in jedem und konnte keinen Menschen leiden sehen. Immerhin konnte er ihre Gedanken lesen und fühlte mit ihnen. "Oh doch Charles. Ich weiß ganz genau wie sie sich fühlt. Ich habe das selbe durchlebt. Mit dem Unterschied dass ich niemanden hatte der mich vor all dem gerettet hätte." Wir sahen uns an und ich wusste was er dachte. "Ja ich weiß, ich hatte dich. Aber dass erst nach Jahren. Nach Jahren des Schmerzes und der Angst.", empörte ich mich. Sofort zuckte ich zusammen und beruhigte mich wieder, als mir klar wurde dass Stef an meiner Brust schlief. "Es tut mir leid Erik. Ich weiß. Aber eigentlich habe ich eine Bitte an dich und ich wäre dir sehr dankbar wenn du mir diese gewährst.", sagte er. "Schieß los, alter Freund." "Stefanie ist nun seit knapp vier Monaten hier. Jeder Versuch mit ihr zu reden oder ihr zu helfen schlug fehl. Niemand konnte sie beruhigen wenn sie ihre Panikattacken hatte und sie ließ niemanden mit sich reden. Auch ich konnte ihr nicht helfen. Seit Monaten schlief sie nicht mehr als drei Stunden am Stück um dann auch noch von Alpträumen geplagt zu werden. Glaub mir ich habe noch nie jemanden aufgegeben aber bei ihr war ich kurz davor. Es wurde immer schwerer in ihre Gedanken zu gelangen. Sogar gedanklich hat sie sich abgeschottet und plötzlich tauchst du auf, bringst sie dazu mit dir Heißeschokolade zu trinken und dir ihre schlimmsten Erlebnisse zu schildern. Und jetzt schläft sie an deiner Brust dass erste mal durchgehend acht Stunden ohne irgendwelche bösen Träume. Weißt du ich hege wieder Hoffnung für sie." "Und was willst du jetzt von mir? Soll ich jetzt Freudensprünge vollführen." Er verzog seine Lippen zu einem belustigten Schmunzeln: "Nein Erik ich will dass du auf sie aufpasst. Ihr wieder zeigst dass das Leben nicht vorbei ist. Du sollst ihr in den Alltag helfen und bei ihr bleiben um sie zu beschützen. Bitte." Er flehte mich förmlich an. "Solange du sie zu nichts mehr zwingst." "Ich habe sie noch nie zu etwas gezwungen, Erik und das weißt du." "Und du weißt was ich meine, Charles.", gab ich wissend zurück. "Also gut bereden wir alles weitere nachher in meinem Büro." Mit diesen Worte setzte er seinen Rollstuhl in Bewegung und fuhr Richtung Tür. "Achja bevor ich es vergesse um 9 Uhr beginnt ihr Unterricht. Ich würde sie wecken.", wandte er sich ein letztes mal zu mir um. "Unterricht?", fragte ich ungläubig. "Ich glaube dank dir fühlt sie sich in der Lage dazu ihn endlich zu besuchen. Komm in mein Büro und hol ihre Sachen. Bis gleich." Ohne ein weiteres Wort verschwand er.

"Wow was war das denn jetzt?", fragte ich mich selbst. 'Wenn es unbedingt sein musste, wecke ich sie halt auf', dachte ich bei mir. Sie lag immer noch auf meiner Brust, genauso wie sie vor acht Stunden eingeschlafen war. Stefanie sah so friedlich aus, als ob ihr nie etwas angetan wurde. Es widerstrebte mir sie zu wecken aber mir blieb nichts anderes übrig. "Keine Sorge Erik ich bin schon längst wach. Hab alles mitangehört.", sagte sie schlaftrunken. "Nagut dann mach dich mal fertig. Ich hol dir Frühstück du hast sicher hunger." "Oh ja bitte.", rief sie freudestrahlend aus nachdem sie aufgestanden war. "Ich habe seit Wochen nichts Ordentliches mehr gegessen.", wie aus Protest fing ihr Magen an zu knurren. Sie lächelte. "Dann beeil ich mich mal."

Zehn Minuten später kam ich mit einem ordentlichen Frühstück zurück. "Stef ich bin wieder da.", rief ich in den Raum. Plötzlich ging die Badezimmertür auf und sie stand, in eines meiner Hemden gekleidet vor mir. Ich hob eine Braue und starrte sie an. "Ist das mein Hemd?", fragte ich neugierig. "Ähhhhhh....also ja. Ja es ist deins. Liegt aber vielleicht daran, dass wir hier in deinem Zimmer sind und ich mich hier nicht auskenne. Ich habe  null Ahnung wie ich wieder in meines komme."

Stefanies POV:

Er fing einfach an zulachen. "Hey was ist daran so lustig?", fragte ich empört. "Ach nichts. Behalts einfach an. Steht dir, zwar etwas zu groß, aber ist ja angeblich modern." Er unterdrückte ein Grinsen. "Und jetzt iss was. Ich bin nicht umsonst in die Küche gelaufen." Ich nickte und aß genüsslich meine Spiegeleier. "Ich hab ne zweite Zahnbürste im Badezimmerschrank. Kannst sie gern haben. Aber beeil dich jetzt sonst liegt mir Charles wieder in den Ohren, von wegen Verantwortung und so." Er sah auf seine Uhr und dann tadelnd zu mir. Ich nickte bloß. "Danke Erik.", sagte ich leise zu ihm. "Du brauchst dich doch nicht für das Essen zu bedanken. Es...." "Nein, nein," unterbrach ich ihn,"danke dass du auf mich aufpasst. Du musst das nicht tun und tust es trotzdem. Danke dass du mich nicht alleine lässt." "Ach komm schon. Genug der Gefühlsdusselei. Lass uns gehen."

Nach Monaten fühlte ich mich wirklich dazu in der Lage mit anderen Menschen in einem Raum zu sitzen. Und vielleicht sogar mit ihnen zu reden. Zweiteres wahrscheinlich dann doch eher nicht. Aber ich fühlte mich endlich wieder einmal als Teil der Welt. Ich fühlte mich nicht mehr wie der letzte Dreck und alles nur dank Erik. Meinem Retter.

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt