Bist du wütend?

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Es vergingen weitere Stunden in denen ich nicht wusste, was zu tun war. Charles hatte vor gut einer halben Stunde mein Zimmer verlassen und so war ich wieder alleine. Zwar war ich gerne nur für mich, aber nicht jetzt. Genau jetzt würde ich jemanden brauchen, der mir gut zu redet, so wie Charles es eben noch getan hatte. Dies würde mich von meinen eigenen düsteren Gedanken befreien, die sich wie eine Seuche in mir ausbreiteten. Das Erste, das mir wieder im Kopf herum ging, als Charles mich verließ, war ob Erik mich überhaupt sehen wollte. Dieser Gedanke kam mir während dem Gespräch mit dem Professor gar nicht mehr. Ich war zu abgelenkt und Charles war so gut darin andere von ihrer Unschuld zu überzeugen, auch wenn dieser Effekt bei mir nur anhielt solange er da war. Langsam glaubte ich, ich könnte mich auch mit ihm anfreunden, auch wenn er mir zuerst vollkommen gegen den Strich ging, weil er mich einfach nicht alleine lassen wollte. Dabei wollte er mir wirklich nur helfen und ich wusste es bloß nicht zu schätzen. Er hatte sich so viel Mühe gemacht, um mir zu zeigen, dass ich nicht alleine war, nur war ich einfach nicht in der Lage meine Trauer zu überwinden und seinen Worten Glauben zu schenken. Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch war ich froh über seine Hartnäckigkeit. Er ist wie ein Vater, der wusste dass es seine Tochter total nervte wenn er sich einmischte, aber es dennoch tat, weil er einfach daran festhielt ihr zu helfen. Ja, er ist ein guter Mensch mit einem großen Herzen, man musste es eben erst lernen zu schätzen. Ohne Vorwarnung wurde meine Tür mit einem Knall aufgerissen. Eine völlig aufgeregte Jean flitzte herein. Bevor ich irgendetwas sagen konnte oder mich beschweren, dass meine Privatsphäre verletzt wurde, fing sie an zu reden. "Erik ist aufgewacht!", schrie sie schon fast. In diesem Moment konnte ich nicht genau sagen, was ich fühlte. Zuerst war es ein pures Gefühl der Freude und Erleichterung. Endlich war er wach und ich konnte zu ihm. Ich konnte wieder seine Hand halten, würde wissen es ginge ihm wieder gut. Aber diese Euphorie verflog genau so schnell wie sie gekommen war. Plötzlich stieg Panik und Angst in mir auf. Zweifel plagten mich wieder. Was wäre wenn er mich gar nicht sehen wollte. Vielleicht war er ja wütend und wollte mich nicht bei sich haben. "Was ist wenn er mich nicht sehen will?", fragte ich Jean traurig. Sie grinste mich bloß an. Vollkommen verwirrt blickte ich ihr in die Augen. "Ich weiß nicht was es jetzt zu grinsen gäbe.", gab ich wütend auf ihr Grinsen zurück. "Naja finde ich schon, denn er hat explizit nach dir verlangt. Wortwörtlich hat er gesagt: 'Verschwindet verdammt noch mal. Ich brauche keine Ärzte und auch keine Mitleidsbekundungen, die einzige, die ich jetzt sehen will und die hier rein darf ist Stef. Habt ihr das verstanden?' Er war ziemlich wütend auf alle. Niemand hat es gewagt ihm zu widersprechen, also verschwanden sie so schnell sie konnten. Nicht mal Charles hat etwas erwidert, er hat nur wissend gelächelt.", strahlte sie mich an. Mir fiel ein riesiger Stein von Herzen und Tränen der Freude flossen. Es war so gut zu wissen, dass er mich sehen wollte, das nahm mir die Angst vor der Konfrontation. So schnell konnte Jean gar nicht schauen, war ich aus schon zur Tür hinaus und auf dem Weg zur Krankenstation. "Schließ bitte ab, wenn du gehst.", brüllte ich ihr noch zu, bevor ich völlig außer Hörweite war.

Die Station befand sich am anderen Ende des Gebäudes und erstreckte sich über zwei Stockwerke. Es roch steril, alles glänzte und ich fühlte mich total unwohl. Schon von Weitem sah ich Charles vor einer Tür stehen. Er drehte sich in meine Richtung, während er im Gedanken verloren schien. "Jean war aber sehr schnell." stellte er fest. Ich war zu aufgewühlt um irgendetwas zu erwidern. Stattdessen starrte ich völlig schockiert durch das Fenster, das mir einen Blick in Eriks Zimmer gab. Sein gesamter Oberkörper war einbandagiert, um die hässlichen Brandwunden zu schützen. Ich war wie erstarrt. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, welchen Schaden ich eigentlich angerichtet hatte. Es war nicht einfach eine kleine Verbrennung, nein, fast seine gesamte linke Körperhälfte wurde schrecklich zugerichtet. Charles hatte mir vorhin gesagt, dass es Verbrennungen dritten Grades waren und das hieß, dass die gesamten Nerven und das Gewebe darüber zerstört wurden. Naja, vielleicht nicht alle Nerven, ansonsten würde er ja keine Schmerzen mehr spüren. Ich wollte mir gar nicht ausmalen welche Schmerzen er gerade durchlebte. Wie musste er sich bitte fühlen? Obwohl ich vor guten zehn Minuten noch so über glücklich war, dass er mich sehen wollte, so wich dieses Gefühl wieder der blanken Panik. Wenn er erst realisieren würde, was ich ihm angetan hatte, dann würde er seinen Wunsch mich zu sehen sicher wieder zurück nehmen und das würde ich nicht ertragen können. Nie wieder würde ich es ertragen von jemandem verstoßen zu werden. Zu oft wurde ich von den Menschen missachtet und gehasst. "Willst du nicht zu ihm reingehen? Er hat schon nach dir gefragt.", fragte Charles vorsichtig. Ich war mir nicht im Klaren darüber, ob ich es wollte. Zum jetzigen Zeitpunkt war mir so einiges nicht klar. "Er will dich unbedingt sehen, bitte lass ihn nicht warten Stef, das hat er nicht verdient." Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ die Krankenstation. Nagut, dann wollen wir mal. Langsam und unsicher öffnete ich die Tür, nicht wissend wie er darauf reagieren würde.

"Wenn du nicht auf den Namen Stefanie hörst, dann verschwinde wieder.", ertönte seine wütende, aber sehr geschwächte Stimme. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten und versuchte ein 'Ich bins' heraus zubringen. Mit kleinen Schritten wagte ich es auf ihn zu zugehen. Ich setzte mich neben ihn auf das Bett. Egal welche Schmerzen er gerade durch litt, so brachten sie ihn nicht davon ab, sein größtes und strahlenstes Grinsen aufzusetzen. „Ich hab dich vermisst, Kleines.", grinste er. „Bist du nicht wütend auf mich oder enttäuscht?", fragte ich ängstlich und unter Tränen. Seine Miene verfinsterte sich sofort und sein Grinsen fror in einem Bruchteil einer Sekunde ein. „Was um aller in der Welt lässt dich glauben, dass ich wütend bin?", fragte er empört. Plötzlich zuckte er zusammen. Seine Schmerzen mussten groß sein. „Soll ich deine Schmerzen vielleicht lindern?", stellte ich eine Gegenfrage, um der seinen auszuweichen. Er nickte bloß. Wie von alleine aktivierten sich meine Kräfte und umschlossen seine Wunden mit Wasser, die seine Schmerzen augenblicklich linderten. Erleichtert stöhnte er auf. Auch ich war sichtlich erleichtert, zu wissen er würde nicht mehr leiden. Ich nahm seine Hand und drückte sie leicht. „Tut es denn sehr weh?", fragte ich ihn erneut, um seine nicht beantworten zu müssen. „Höllisch, es ist als würden die Flammen immer noch auf meiner Haut tanzen.", erwiderte er. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Er litt so sehr und dennoch war er nicht wütend auf mich, auch wenn ich die jenige war, die ihm das erst angetan hatte. „Aber zurück zu meiner Frage. Ich bitte dich sag mir wieso du so denkst?", flehte er mich fast an. Ich zögerte kurz, aber kam zu dem Entschluss, dass es nichts brachte. „Ich.... Ich...ja also irgendwie ist es ja meine Schuld, dass das alles passiert ist. Du hast diese Wunden weil ich zu schwach war meine Kräfte zu kontrollieren, weil ich mich geweigert habe sie als meine Gabe zu akzeptieren. Ich hatte angst und genau aus diesem Grund ist das alles passiert." Entgeistert blickte er mich an. Seine blauen Augen hatten ihren Glanz, jedoch nichts an der Strahlkraft seiner Farben verloren. Ich war wie paralysiert von ihnen und das machte mich nervös. „Ich verbiete dir, dass du so etwas auch nur wagst zu denken. Wenn jemand Schuld hat, dann ich. Hätte ich Pyro von dir fern gehalten, ihn davon abgehalten dir angst zu machen, so hätte das nie passieren müssen. Ich habe dich vor ihm nicht beschützen können und nun habe ich den Preis dafür gezahlt. Du, du trägst nicht mal ansatzweise Schuld an all dem hier. Es tut mir leid, dass du so leiden hast müssen. Dass du durch ihn wieder alles hast durchleben müssen und dass du deswegen solche Schuldgefühle hast. Es tut mir so leid. Bitte verzeih mir. Bitte.", erneut flehte er mich an und in seinen Augenwinkeln bildete sich eine Träne. „Ich will mich mit dir nicht streiten, also warum einigen wir uns für heute nicht darauf, dass Pyro an allem Schuld hat?", schlug ich ihm vor. „Du solltest schlafen und dich ausruhen und nicht über die Frage der Schuld mit mir diskutieren. Wir bereden das ein anderes Mal" Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, danach schloss er die Augen und schlief ohne weitere Schmerzen ein. Nun, ich hoffte er hatte keine mehr. In diesem Punkt müssten meine Kräfte ihren Soll erfüllen.

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt