Die Wunden reichen tief

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"Nachdem du jetzt gegessen hast, gehts dir doch gleich viel besser oder?", lächelte er mich an. Er nahm das Tablett, welches ich auf meinen Füßen platziert hatte, herunter und stellte es auf den Schreibtisch. Danach ging er um das Bett herum um sich neben mich zu setzten. Sein Blick verlangte eine Antwort auf seine zuvor ausgesprochene Frage. "Ja, Erik.", verdrehte ich lachend die Augen und stupste ihn an. Ich wollte seine Hand nehmen, als er sie schnell zurück zog. Sein Gesicht verzog sich wieder. Es schien als hätte er große Schmerzen. "Erik, zeig mir deine Hand, sofort.", sagte ich im Befehlston. "Nein es ist nichts. Mir gehts gut.", wollte er mich abwimmeln. Mein Blick wurde drängend: "Dann macht es dir ja auch nichts aus, wenn du sie mir zeigst oder?" Mit einem Seufzer streckte er sie mir entgegen. Vor Schreck weiteten sich meine Augen. "Was? Woher hast du diese Verbrennungen?", fragte ich entsetzt. Mein Magen drehte sich gerade in alle Richtungen. Genauso gut hätten vor mir jetzt Flammen auftauchen können. "Ich wollte sie dir nicht zeigen, weil ich wusste sie würden bei dir das gleiche auslösen, wie es Flammen tun. Und ich tat recht daran es nicht zu tun." Mit seiner gesunden Hand nahm er die meine und drückte sie leicht. Er hatte recht, aber es war nicht ganz so schlimm. Ich wurde lediglich etwas konfus oder mir wurde leicht schlecht. "Ist schon gut, so schlimm ist es nicht. Außerdem wenn du es mir früher gesagt hättest, hätte ich dir schon viel früher helfen können." Verwirrt starrte er mich an. "Aber vorher sagst du mir wo du sie dir zugezogen hast." "Weißt du das denn nicht? Als ich Pyro geschlagen habe, hat er mich verbrannt. Genau deswegen wollte ich es dir ebenfalls nicht erzählen.", sagte er beschämt. "Du bist ein Idiot.", grinste ich und setzte meine Kräfte ein. Kaltes Wasser legte sich um seine Handfläche und linderte somit den extremen Schmerz, denn er anscheinend gerade noch verspürt hatte. Erleichtert stöhnte er auf. Sein ganzer Körper entspannte sich wieder, als der Schmerz merklich nachließ. Da traf es mich plötzlich wie ein Blitz. Pyro hatte ihm das angetan. Aber der Grund warum Pyro ihm überhaupt was hatte antun können, war der, dass er mich beschützen wollte. "Dann ist es meine Schuld, dass er dich verletzt hat.", schluckte ich, ihn anstarrend. Jetzt war es an ihm eine verdutzte Miene zu ziehen. "Nein wieso glaubst du das? Das ist ebenso lächerlich wie früher, als ich behauptet habe Schuld daran zu sein." "Ja schon aber du hast ihn nur geschlagen um mich zu beschützen. Du hast dir aber die Schuld dafür gegeben, dass er mich angegriffen hat. Und dafür kannst du nun wirklich nichts, denn genau so gut hätte er auch Jean angreifen können." "Was redest du da? Du weißt doch ganz genau, dass er es nur auf dich abgesehen hat, weil er mir weh tun will. Wenn ich keine Schuld habe dann du auch nicht.", beharrte er. "Aber er hat dich verbrannt. Mir hingegen ist nichts passiert, außerdem...." "Dir ist nichts passiert?", unterbrach er mich ungläubig, "ich würde mir von ihm mein Herz heraus brennen lassen, bevor ich noch einmal zusehen müsste, wie er dir psychisch so zusetzt." Da hatte er wohl recht. Ich konnte nicht behaupten, er habe mir nicht weh getan nur weil man das von außen nicht sehen konnte. Aber ich konnte es immerhin verstecken und er nicht. Ich spürte wie er seine unverletzte Hand auf meine Schulter legte und diese Geste ließ mich aufschauen. "Weißt du es ist ja auch gar nicht so schlimm. Du kannst mit deinen Kräften die Schmerzen lindern, also ist es so als wäre nichts passiert okay?", munterte er mich auf. "Okay!", sagte ich, gab mir aber trotzdem die Schuld dafür, daran änderte sich nichts. "Wie machst du das eigentlich?", fragte er in die sich gebildete Stille hinein. "Ich fokussiere einfach meine Kräfte auf einen Punkt oder eine Fläche. Wenn die Fläche klein ist, kostet es mich kaum Anstrengung sie aufrecht zu erhalten. Das heißt das Wasser an deiner Hand verschwindet nicht mal, wenn ich mich nicht konzentriere. Erst wenn ich es bewusst möchte.", erklärte ich. "Wasser ist das einzige der Elemente, das ich ziemlich gut beherrsche.", sagte ich stolz und erntete einen ebenso beeindruckten Blick von ihm.

Am Nachmittag beschlossen wir einen kleinen Spaziergang zu machen. Wir schlenderten langsam durch den wunderschönen Garten. Die Sonne stand in ihrem Zenit und spendete eine wohlige Wärme. Es war nicht zu heiß, dass man schwitzen würde, sondern genau so warm, dass man mit Kurzarmshirt rumlaufen konnte. Die Vögel zwitscherten fröhlich im Schein der Sonne, während sie sich auf Futtersuche begaben. "Ich bin so stolz auf dich.", fing ich ein Gespräch an. Er drehte seinen Kopf zu mir und wartete auf eine Erklärung meiner Worte. "Du bist derjenige der das alles beendet. Ich meine die Fehde mit Pyro. Denn würdest du jetzt mit Gewalt antworten so würde das nur noch mehr Gewalt erzeugen. Es würde ein nie endender Kreislauf entstehen, in dem es keinen Gewinner geben würde. Niemand hätte dabei gewonnen, man würde immer nur mehr Schmerz verspüren. Es würde einen innerlich auffressen. Gewalt kann nie die Lösung sein, auch wenn du es vielleicht anders siehst. Ich weiß es ist sehr schwer derjenige zu sein der sagt es reicht. Es ist schwer auf die Taten des anderen ein Schweigen folgen zu lassen, auch wenn man ganz genau weiß, er hätte es verdient. Aber eins lass dir gesagt sein, es schaffen nicht viele. Denn du hast recht. Wieso sollte man nicht zurück schlagen, wenn der andere dich gerade verprügelt hat? Ich sage du darfst schon, aber dann bist du nicht besser als die andere Person die es dir angetan hat. Und du willst doch nicht so werden wie Pyro oder? Du willst doch besser sein als er, also musst du auch der Erste sein der sagt es reicht. Da du das jetzt getan hast, indem du ihn nicht umbringst, wie du es sagst, hast du bewiesen, dass du der bessere Mensch bist. In dir steckt nicht nur Zorn, Trauer und Gewalt. Nein, du kannst so viel mehr sein als das. Du bist wundervoll und du hast es nicht verdient von irgendjemandem gehasst zu werden. Die Welt ist so viel mehr als ein schwarz weiß Bild, es gibt so viele Farben du musst sie nur wieder entdecken. Und gerade heute hast du einen großen Schritt in diese Richtung gemacht." Ich ließ die Worte auf ihn wirken. Er schien nachdenklich, sehr darauf bedacht was er sagen sollte. Erik verlangsamte seine Schritte bevor er zu sprechen begann. "Aber wieso muss ich derjenige sein der immer alles beendet? Wieso muss ich immer der sein, der sich geschlagen geben muss? Charles sagt das auch immer. 'Erik sei der bessere Mensch'. Aber wieso ich? Mir wurde soviel genommen und immer sagte Charles ich soll der bessere sein. Immer muss ich aufhören, aber niemand hört je auf mir weh zutun. Ich bin es leid einfach alles über mich ergehen zu lassen, ohne mich wehren zu dürfen. Soll doch mal jemand anderes diesen verdammten Kreislauf unterbrechen. Es ist mir egal ob ich dann auf gleicher Stufe bin mit Pyro, aber ich werde sicher nicht noch einmal zusehen wie er dir weh tut." Seine Bemerkungen trafen ins Schwarze. Irgendwie hatte er recht. Warum musste genau er der sein, der es beendet. Darauf gab es keine Antwort. Einer musste einfach aufhören und Pyro würde es zu tausend Prozent nicht sein, also musste einfach er es tun. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, er hatte keine Wahl. "Dir ist es wirklich egal, wenn ich dich auf die gleiche Stufe mit Pyro stelle? Das würde nämlich bedeuten, dass du ein gemeines, fieses Arschloch bist und dich immer nur auf schwächere stürzt. Willst du wirklich, dass ich dich so sehe?", fragte ich eindringlich. Diesmal trafen ihn meine Worte schon eher, das sah ich an seinem Gesichtsausdruck. Ich betrachtete mein Ziel als erreicht. Abrupt blieb er vor mir stehen. "Ich also......nein. Nein ich will nicht dass du mich so siehst. Aber wie soll ich mein wahres Gesicht vor dir verbergen? Ich bin doch schon längst wie Pyro, wenn nicht sogar noch schlimmer.", sagte er traurig. "Sag so etwas nie wieder", wurde ich wütend lauter, "du bist nicht mal annähernd so wie er. Es mag sein, dass du mal so warst, aber du hast dich geändert. Du bereust deine Taten und versuchst sie wieder gut zu machen. Er versucht aus Freude zur Gewalt einfach jedem weh zutun. Aber du benutzt sie doch nur um das zu schützen, dass dir etwas bedeutet. Daran ist doch nichts Falsches oder?" In dem letzten Satz lag so viel Gefühl, wie ich nur aufbringen konnte. "Aber warum ist es dann falsch ihm weh zutun?"; fragte er. "Weil du es auch ohne schaffen kannst. Weil du auf dem Weg der Besserung bist und ich werde es nicht zulassen dass du ihn auch nur für einen Moment verlässt. Der bessere Mensch, schon vergessen?" "Der bessere Mensch.", lächelte er. Zufrieden über seine Entscheidung, das Richtige zutun, wandte ich mich Richtung Teich. "Weißt du Charles hat recht. In dir steckt so viel Gutes. Du brauchst nur einen kleinen Schubs und ich bin gern diejenige, die dich von der Klippe stößt.", grinste ich vor mich hin. "Lass dir aber eines gesagt sein, wenn ich falle, dann fällst du mit mir.", sagte er belustigt. Die Sonne hat ihren Zenit verlassen, um langsam gen Horizont hinab zu sinken. Die Vögel waren verstummt. Dafür fingen die Frösche an ein Lied anzustimmen. Der Moment war einfach perfekt. "Ich bin froh, dass es dir besser geht.", sagte er plötzlich. Ich blinzelte in die Sonne, um ihn ins Gesicht zu schauen. "Das kannst du als deinen Verdienst ansehen.", strahlte ich. Die nächsten zwanzig Minuten standen wir einfach neben einander, während wir beobachteten wie die große gelbe Scheibe der Erde immer näher kam. Als sie jedoch begann alles in ein Feuerrot zu tauchen, nahm er mich bei der Hand und zog mich zurück zur Schule.

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt