Die Schuld liegt nicht bei dir

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Es kam mir vor als hätte ich Wochen lang geschlafen, doch es waren nicht einmal Stunden gewesen. Ein Blick aus dem Fenster ließ mich zusammenzucken. Warum wusste ich nicht so genau. Der Regen fiel wie aus Eimern, als würde der Himmel meine Trauer teilen, als würde er diesen schwarzen Tag anerkennen und genau so scheiße finden wie ich. Das nächste was mir durch den Kopf ging war Erik. Verdammt. Wie ging es ihm? Hatte er schmerzen? Ist er überhaupt wach? Meine Gedanken begannen wieder zu kreisen und zwar um die einzig mir wichtige Person auf Erden. Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken ihn je zu verlieren. Ich setzte mich in meinem Bett auf. Vielleicht würde es dann bessere werden. Vielleicht würde dieser bedrückende Schmerz in meinem Herzen nachlassen, aber das tat er nicht. Ganz im Gegenteil es wurde bloß noch schlimmer. Bevor ich jedoch wieder in meine Depression verfallen konnte, wurde die Tür in mein Zimmer geöffnet. Vorsichtig rollte Charles herein und sah mich betrübt an. "Wie gehts dir?", fragte er. Es lag etwas in seiner Stimme, nur wusste ich nicht genau was es war. Mitgefühl, Wut, Trauer oder doch etwas komplett anderes. "Was willst du hier?", fragte ich genervter als ich es beabsichtigt hatte. "Ich wollte sehen wie es dir geht. Ob du zurecht kommst. Ich wollte dir beistehen.", sagte er und kam näher auf mich zu. Es war zwar schön zu wissen, dass sich jemand sorgen um mich machte, aber andererseits wollte ich einfach nur allein sein. Nein, das war nicht ganz richtig, ich wollte einfach nur an Eriks Seite sein. Seine Hand halten und ihm immer wieder sagen, dass es mir leid tat, dass ich es nicht wollte. "Hör zu Stef, ich weiß du würdest jetzt viel lieber bei Erik sein, aber er ist noch nicht ganz über den Berg. Er.." "Was?", unterbrach ich ihn. Die ganze Farbe wich aus meinem Gesicht. "Was meinst du mit 'Er ist noch nicht über den Berg'?" Charles konnte den Schock sehen, der mir deutlich ins Gesicht geschrieben stand. "Ich habe mich wohl sehr unglücklich ausgedrückt, tut mir leid. Ich wollte nur sagen, dass die Ärzte ihn immer noch behandeln. Er hat sein Bewusstsein noch nicht wieder erlangt, aber er schafft es keine Sorge.", versuchte er mich zu beruhigen. "Das ist nicht witzig, Charles. Verdammt noch mal. Weißt du wie ich mich gerade fühle? Bei dem Satz hab ich gerade gedacht meine Welt würde in sich zusammen stürzen. Ich hab ihm das angetan, wegen mir ist er jetzt da wo er ist und das schlimmste ist, dass ich nicht bei ihm sein kann. Ich hasse mich so sehr für das was passiert ist und niemand kann das ändern, egal wie oft ich auch etwas anderes höre. Ich bin schuld. Ganz allein ich...", schluchzte ich. Tränen flossen erneut meine Wangen hinab. Man musste glauben ich hätte gar keine mehr übrig. Ich wandte meinen Blick von ihm ab. "Ja Stef ich weiß wie du dich fühlst, dafür muss ich kein Telepath sein um das zu wissen. Aber du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass du schuld daran bist?" "Warum sollte ich es denn nicht glauben? Immerhin bin ich sein einziger Schwachpunkt. Erik wäre nie auch nur annähernd so angreifbar gewesen, wenn er mich nie hätte kennengelernt." Tief in mir drin wusste ich, dass es wahr war. Die andere Frage war die, ob die Vorteile unserer Begegnung nicht doch überwogen. Doch gerade jetzt wagte ich dies sehr zu bezweifeln. "Du redest totalen Unsinn. Er würde dir nie die Schuld dafür geben und auch niemand anders. Deine Instinkte haben das einzig richtige getan, sie haben dich beschützt." "Achja?", brüllte ich ihn an. "Warum liegt dann Erik auf der Krankenstation und nicht Pyro? Erik hat mich beschützt und dennoch hab ich ihn verletzt...erzähl mir nicht meine Instinkte hätten mich beschützt. Sie haben mir den schlimmsten Tag meines Lebens beschert." In mir kochte es. Ich war wütend auf alles und jeden, weil alle wollten dass ich etwas glaubte, das nicht der Wahrheit entsprach.

"Er stand einfach zu nahe bei dir. Glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass Erik noch schlimmere Sachen durchleben würde, wenn dies hieße du seiest in Sicherheit. Du bist alles was er hat. Sein Leben wurde durch dich erst wieder lebenswert, durch dich hatte er endlich wieder einen Grund aufzustehen. Durch dich hat er jemanden gefunden, der das gleiche durchlebt hatte wie er. Du bist die erste von der er sich vollkommen verstanden fühlt, du hast ihm gezeigt was es heißt ein Mensch zu sein und kein Monster. Seit Jahren bist du die erste, die ihn so sieht wie er eigentlich wirklich ist. Wir beide wissen nur zu gut, dass er dich über alles stellen würde und wenn er für dich sterben müsste, wäre es mehr als nur bereit dazu." Seine Stimme klang genauso, als würde mein Bruder mit mir über Jungs reden. Beruhigend und beschützend. "Aber ich will doch gar nicht, dass er für mich stirbt. Ich will ihn an meiner Seite haben, wenn ich schlafe, um meinen Alpträumen zu entgehen. Ich will seine Hand halten, wenn ich wieder mal angst vor den ganzen Menschen habe, die mich umgeben. Nie im Leben würde ich es ertragen ihn zu verlieren und das weiß er auch. Und dann habe ich ihm weh getan...", heulte ich. Was wäre wenn er mir doch nicht verzeihen würde? Wenn er mich plötzlich hassen würde, "Ich verbiete dir solche Gedanken, Stef. Wieso sollte er die Person hassen, die ihn gerettet hat?", versuchte er mir klar zumachen. "Ich weiß nicht, vielleicht weil ich ihn fast getötet hätte? Weil Pyro ihm nur so zusetzt wegen mir? Weil ich Pyro sogar vor ihm in Schutz nehme und sage Gewalt ist falsch? Weil ich wütend geworden bin als ich dachte er hätte Pyro geschlagen und dann Pyros Geschichte der seinen vorgezogen habe? Vielleicht weil er denkt, dass ich ihm nicht vertaue. Und jetzt erst recht. Jedes mal wenn er von nun an in den Spiegel sieht, sieht er die Narben, dabei wird er immer daran erinnert, wer ihm diese zugefügt hat.", sagte ich mit voller Verzweiflung. Ungläubig starrte er mich an. Ich sah ihm an, wie unwohl er sich fühlte. Er wusste genau, dass er nicht mehr viel sagen konnte, um mich aufzuheitern, oder mir auszureden, dass ich Schuld hatte. "Warum versuchst du so vehement auf deinem Standpunkt zu beharren, bei welchem du immer Schuld bist? Wieso suchst immer die Version der Geschichte, wo du im Unrecht bist? du kennst doch noch nicht mal seinen Standpunkt. Warum redest du dir schon jetzt ein, dass das schlimmste der Szenarien eintritt. Geh doch davon aus, dass sich nichts geändert hat. Sei dir einfach sicher, er wird dich nur noch mehr mögen. Vielleicht schweißt es euch nur noch mehr zusammen." Er mochte ja recht haben, aber wenn man immer nur an das beste glaubt, wird man enttäuscht, hat man jedoch keinerlei Erwartungen, so gibt man der Enttäuschung keinen Raum. "Wieso fragst du mich Dinge, die du mit Bestimmtheit schon längst weißt?", fragte ich ihn aufgebracht. "Ich habe es dir schon einmal gesagt, ich dringe nicht in die privatesten Gedanken ein, wenn es keine Notwendigkeit dafür gibt." Nun starrte ich ihn ungläubig an. Denn wenn dass stimmte, dann wüsste er ganz genau wieso ich all das dachte, ohne in diesen 'privaten Sektor' vorzudringen. "Ja das stimmt, genau deswegen weiß ich den Grund höchstwahrscheinlich, aber ich will es von dir hören.", unterbrach er meine Gedanken. "Weshalb? Reicht es nicht es anzunehmen?", fragte ich neugierig. "Weil es erst an Bedeutung gewinnt, wenn man es ausspricht.", grinste er. Ich verdrehte gespielt genervt meine Augen. Ich wusste gar nicht, dass jemand anderes als Erik mich zum schmunzeln bringen konnte und ganz sicher nicht in Momenten wie diesen. "Nagut, ich mache, denke das alles, weil ich ihm nie die Schuld geben könnte egal was er tut. Er hat mich gerettet, als ich niemanden mehr hatte. Er hat mir ein zuhause gegeben, als meines verbrannte. Ich gebe mir die Schuld weil er sie in meinen Augen nie haben könnte, weil er keine Schuld der Welt verdient hätte. Er ist der wichtigste und liebevollste Mensch, den ich je in meinem Leben kennengelernt habe. Deshalb gebe ich mir die Schuld, nehme alles auf mich, um ihm die ganzen Strapazen zu ersparen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er sich die Schuld geben würde nur weil ich versagt habe. Wahrscheinlich kann ich es nicht verhindern, aber ich werde alles versuchen, alles mir Erdenkliche tun, um seine Weste rein zu halten. Er wird für mich immer der Held sein. Mein Retter. Schuld passt da nicht....", ich verstummte kurz. Erwartungsvoll blickte er zu mir auf. "Ich...ich tu das weil es mir leichter fällt, wenn ich mich schlecht fühle und nicht er. Ich tue es weil ich ihn LIEBE."

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt