Verantwortung

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Erik klopfte dreimal an Charles Büro. Ich hörte wie sich etwas hinter der Tür regte und hörte ein 'Herein'. Gesagt getan. Der Professor saß in seinem Rollstuhl hinter einem großen massiven Holztisch. Hinter ihm an der Wand erstreckten sich Bücherregale. Allesamt vollgestopft, aber schön geordnet, mit Büchern. Durch die Fenster an der Wand zu linken konnte man die Bäume und den kleinen Teich im Garten erkennen. Würde das Wetter stimmen, wäre es draußen sicher wunderschön. Ich wurde aus meinem Tagtraum gerissen als Eriks Stimme ertönte. "Wir sind hier um ihre Sachen zuholen.", sagte er. Sein Blick schweifte zu mir und auch Charles Augen lagen auf mir. "Der Grund deines Besuchs ist mir klar.", lächelte er und zeigte auf einen Stapel Bücher, der auf dem Sofa hinter der Tür lag. 'Schule, arghh', dachte ich mir nur. Ich nahm im Hintergrund war wie die zwei sich unterhielten, wusste aber nicht um was es ging. "Wie gehts dir heute so, Stefanie?", richtete Charles eine Frage an mich. Das ging mir gerade zu schnell. Alles schön und gut dass ich mit Erik redete, aber mir war gerade nicht danach mich mit Charles zu unterhalten. Ich wusste, dass er der wahrscheinlich netteste, freundlichste und liebevollste Mensch auf Erden war, aber trotzdem. Ich wollte nur mit Erik reden. Für heute jedenfalls. Hilfe suchend schaute ich zu Erik auf. Er bewegte seine Augen in meine Richtung ohne den Kopf zu drehen. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, was ja nun eigentlich Charles Gebiet war, machte er den Mund auf um Charles statt meiner zu antworten: "Ihr geht es ziemlich gut, nur schüchtern sie andere Menschen anscheinend ein." Er konnte nicht anders als zu grinsen, was ihm einen Ellbogenschlag gegen die Rippen einhandelte. "Nagut, dann eben nicht, aber ich bin froh dass du dein Zimmer endlich verlässt. Beeilt euch jetzt lieber, sonst kommt ihr noch zuspät.", beendete er unser Gespräch. Erik wandte sich um, nahm meine Bücher von dem Sofa und ging zur Tür. Ich nickte dem Professor zum Gruß zu und ging ebenfalls zu Tür, schloss sie hinter mir und schlenderte hinter Erik her.

"Wo müssen wir hin?", fragte ich neugierig. Die Gänge in diesem Haus sahen sich alle so verdammt ähnlich. Die Fenster, Bilder, Pflanzen und alles andere auch. Wie konnte man sich hier denn bitte zurecht finden? "Ähmmm hey, hörst du mir überhaupt zu?", fragte Erik plötzlich gelassen. Aus meinen Gedanken gerissen verneinte ich mit einem Kopfnicken. "Tut mir leid.", sagte ich und schaute beschämt zu Boden. Lächelnd erwiderte er: "Nimm einfach deinen Stundenplan vom Stapel, da steht alles drauf." Er schenkte mir einen liebevollen Blick. Ich nahm den Plan und inspizierte ihn. "Hey Erik würdest du mich nach meinem Unterricht mal herumführen? Ich finde ja nicht mal mein Zimmer." Hoffnungsvoll blickte ich auf, "natürlich nur wenn du nichts anderes zu tun hast. Würde ich verstehen. Ich bin ja nicht deine oberste Priorität.", ergänzte ich schnell. Kurz war es still, als müsste er überlegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam endlich seine Antwort: "Es wäre mir ein Vergnügen und was bitte lässt dich zu der Annahme führen, dass du nicht meine oberste Priorität wärst?", stellte er die Frage in den Raum. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu können. Hatte er das wirklich gesagt. Mein Herz sprang fast vor Freude. Endlich war ich jemandem nicht vollkommen egal. Jemandem den ich auch mochte. "Also....ich ähmmmmm......naja du kennst mich seit gestern und naja...ich..", stotterte ich vor mich hin. "Ach halt einfach die Klappe und sag wo wir hin müssen.", fing er an zu lachen. Phuuu wie gelassen er doch war. "Da steht 'Geschichte: Bei Logan'.", las ich vor. "Wer ist das?" "Du kennst ihn vielleicht als Wolverine?" "Ohhh der der nicht sterben kann?", fragte ich aufgeregt. "Ja genau der. Aber ich könnte ihn tanzen lassen, weißt du?" Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht und er ließ ein paar Münzen schweben um es zu demonstrieren. "Vielleicht nicht an meinem ersten Tag.", beruhigte ich seine Euphorie. Fast enttäuscht verzog er sein Gesicht. Ruckartig  blieben wir stehen. "Na los rein mit dir. Du willst ja pünktlich sein. Nimm dein Geschichtsbuch den Rest nehm ich auf mein Zimmer mit. Und nach der Stunde komm ich dich holen okey?", sagte er. "Aber ich will nicht dass du gehst. Ich schaff das nicht ohne dich....", gab ich betrübt zurück. Er stellte die Bücher ab, kam einen Schritt auf mich zu, nahm meinen Kopf in seine Hände und blickte in meine Augen. Ich erstarrte so überraschend kam das jetzt. "Du kannst alles, wenn du es willst. Und du wirst es jetzt auch schaffen Geschichte durchzustehen. Hast du verstanden." Er sagte das mit solch einer beruhigenden Wirkung, dass ich nicht anders konnte als mich zu entspannen. Ich schloss meine Augen und er gab mir einen Kuss auf die Stirn. Wie ein Vater dessen Tochter gerade ihren ersten Schultag vor sich hat. Papa........ Ach verdammt. Ich verdrängte schnell diesen einen Gedanken an meinen Vater und genoss die Zuneigung die mir zuteil wurde. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand er wieder mit den Büchern in der Hand vor mir. "So dein Geschichtsbuch liegt hier. Bis später." Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging. Nun war ich alleine. Alleine. Ich sog noch einmal tief Luft ein und dann öffnete ich die Tür.

Im selben Moment in dem ich die Tür öffnete, lagen auch schon alle Augen auf mir. Auch Logan hörte auf zu reden und sah von seinem Buch auf. "Oh Stefanie, hab ich recht?", fragte Logan. Ich nickte bloß. "Setzt dich einfach hin, der Professor hat mit alles erzählt. Und schlag das Buch bitte auf Seite 39 auf."  Er wandte sich wieder ab und griff sein Unterrichtsthema wieder auf. Ich begab mich in die letzte Reihe und schlug mein Buch auf. Ich hoffte bloß, dass das hier schnell vorbei sein würde. Der Klassenraum erinnerte an ein Arbeitszimmer indem einfach eine Tafel aufgehängt wurde und ein paar Stühle und Tische gestellt wurden. Genau dies war auch der Fall. Der Schreibtisch der früher anscheinend der Arbeitstisch war, war nun zu einem Lehrertisch umfunktioniert worden und stand am vorderen Rand des Raumes. Etwa zehn Tische und zwanzig Stühle fanden in dem Raum platz. Die Wände wurden auf beiden längeren Seiten mit Bücherregalen und Karten gesäumt. Die Wand gegenüber der Tafel bestand aus einer einzig großen Weltkarte mit roten Punkten die auf jede Hauptstadt eines jeden Landes geheftet waren. Und dann geschah es, völlig ohne Vorwarnung. Ich hörte dem Professor zu. Endlich war wieder einiges normal. Ich konnte wieder zuhören ohne sofort meine Ohren zuzuhalten und so zu tun als wär ich nicht da. Als könnte ich nichts hören nur um diese Schreie zu vergessen. Vielleicht würde ich es ja wirklich schaffen wieder ganz normal zu sein und Erik würde mir dabei helfen. Er musste einfach.

Eriks POV:
Nun stand ich also wieder in Charles' Büro. Normalerweise schlief ich um diese Zeit noch. Aber was solls. "Also Charles, was genau willst du eigentlich noch mit mir besprechen?", fragte ich ihn etwas gelangweilt. "Es geht um Stefanie. Dir ist schon klar dass deine Aufgabe auch eine gewisse Verantwortung in Anspruch nimmt. Oder Erik?". "Sie ist 19, Charles. Ich glaub sie kann ziemlich gut selbst auf sich aufpassen." "Nein, das kann sie ja eben nicht. Ohne dich wäre sie nicht mal freiweillig unter tags aus ihrem Zimmer gekommen. Sie ist nicht mal dazu im Stande ein normales Gespräch zu führen, Erik. Also sag mir nicht sie kann allein auf sich aufpassen. Das stimmt nicht.", redete er sich in Rage. "Okey ich habs kapiert. Sie kann es nicht. Aber ich hab doch sowieso schon gesagt ich passe auf sie auf. Ich lasse sie jetzt ganz sicher nicht im Stich. Sonst wäre ich ja nicht besser als all die Menschen die ich so verabscheue.", erwiderte ich ernst. "Aber dir muss auch klar sein, dass du schuld bist wenn ihr etwas passiert oder wenn sie etwas anstellt." "Das ist mir egal Charles. Wenn jetzt eine Sache in meinem Leben richtig machen kann dann diese hier. Sie soll nicht alleine mit dem sein was sie durchlebt. Sie soll nicht so werden wie ich. Von Rache und Hass getrieben. Nein sie soll die Welt auch so sehen wie du und an das Gute glauben. Für mich ist ja bereits zu spät." Ich glaube ich habe in meinem gesamten Leben noch nie etwas so ernst gemeint, wie diese Worte die ich nun an meinen alten Freund richtete. Er hob seinen Kopf und schaute mich aus großen Augen an. Seine Augen strahlten förmlich und über sein Gesicht legte sich ein Lachen. "Ich bin so stolz auf dich Erik. Das kannst du gar nicht glauben. Sie ist bei dir in guten Händen, das weiß ich. Na komm ich glaube du musst sie abholen." Er zwinkerte mir zu. Ich konnte nicht anders als auch zu lachen. Dann stand ich auf und ging. Bevor ich jedoch die Tür zuzog rief Charles mir hinterher: "Du magst sie nicht wahr? Tu mir nur den Gefallen und verlieb dich nicht in sie. Ich will nicht dass du ihr wehtust." "Halt du Klappe Charles. Außerdem würde ich ihr nie wehtun." Mit einem Knall warf ich die Tür zu. "Was du dir immer erlaubst Charles."

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt