Back to School

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"Urgh.", seufzte ich genervt. Mein erster Tag zurück im Unterricht und natürlich war Mathe auf dem Plan. "Bist du vorbereitet?", fragte mich Jean von der Seite. Wie immer war sie total gut gelaunt, was ich nie verstand, jedoch sehr an ihr schätzte. "Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass du jetzt auf Herz und Nieren geprüft wirst oder? Immerhin wollen unsere Professoren wissen, ob du den Stoff nachgeholt hast.", fragte sie erwartungsvoll. "Natürlich, aber mach dir keine Sorgen, ich bin mit Erik am Wochenende alles durchgegangen, das wird schon werden. Ist ja nur der Stoff von drei Wochen, dürfte wohl nicht so schwer werden.", beruhigte ich sie. Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder etwas entspannter und ein erleichterter Seufzer entglitt ihrer Kehle. "Aber mir wird das alles schon jetzt wieder zu viel.", meinte ich augenrollend. Jean klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Langsam begaben wir uns auf den Weg ins Klassenzimmer. Sie war so nett gewesen mich abzuholen und erkundigte sich bei Erik, um dessen Wohlbefinden. Mir widerstrebte es zwar sehr, ihn alleine zu lassen, aber schließlich hatte ich es ihm versprochen. Ich wurde jedoch das Gefühl nicht los, dass er wieder unter Schmerzen litt, wenn ich nicht da war. Es wäre zwar kein allzu großes Problem, meine Kräfte auf dieser Entfernung wirken zu lassen, doch bedurfte es einem gewissen Maß an Konzentration und diese Ablenkung konnte ich mir nicht leisten. Zumindest war Erik dagegen. Hätte man mich gefragt, dann hätte ich nicht eine Sekunde überlegt. Lieber würde ich hunderte schlechte Noten kassieren, als dass ich zulassen würde, dass seine Schmerzen wieder kamen. "Deine Zuneigung zu Erik geht aber über normale Bewunderung schon weit hinaus.", stellte Jean diese Aussage plötzlich in den Raum. Ich konnte spüren, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Es war schwer meine Gefühle zu verbergen, wenn mein Herz jedes Mal versuchte aus meinem Brustkorb zu fliehen, wenn auch nur sein Name fiel. Das Rauschen meines Blutes war unüberhörbar laut geworden und ich konnte nicht einmal ein Wort heraus bringen. Es war grauenhaft. Jemanden zu lieben ohne zu wissen, ob er es auch tat. Charles hatte ja so recht. Ich sollte es ihm einfach sagen, aber es gab so viele Dinge, die mich davon abhielten. Zum Einen, war es die Angst ihn zu verlieren, weil er diese Gefühle nicht erwiderte und zum Zweiten, das es unsere ganze Beziehung zerstören würde. "Stef?", fragte Jean, "geht es dir gut?" Sie klang besorgt. "Ich... also...", fing ich an zu stammeln. Ihr Blick weitete sich neugierig. Warum fiel es einem nur so schwer zu zugeben jemanden zu lieben? Es war doch nichts Schlimmes dabei. "Du hast recht Jean.", sagte ich nach einigen Minuten der Stille, "es geht schon längst weit darüber hinaus. Ich kann es einfach nicht beschreiben, was es mit mir macht. Du kannst dir nicht vorstellen wie wunderschön seine Stimme in meinen Ohren klingt, wie sich meine Depression legt, wenn er lächelt. Und von seinen Augen erst gar nicht angefangen. Es ist als würde in ihnen der Ozean seine Wellen schlagen oder der Himmel seine Pforten öffnen. Neben ihm fängt mein Herz an unkontrollierbar zu schlagen. Ich weiß nicht wie lange ich das noch vor ihm verheimlichen kann." Ich war selbst ziemlich überrascht über diese Antwort. Nie hätte ich gedacht, dass ich diese Gefühle in Worte fassen konnte.

"Wieso lässt du es dann nicht einfach?", meinte Jean. Sie blieb neben mir stehen und sah mich eindringlich an. "Auf was willst du hinaus?", fragte ich verwirrt. Jean blieb abrupt stehen und legte mir beide Hände auf die Schultern. "Bist du so begriffsstutzig?", sagte sie entgeistert und schüttelte mich leicht. "Ich will darauf hinaus, dass du es ihm sagen sollst.", drängte sie und mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht. "Du spinnst doch.", rief ich entgeistert, während ich versuchte ihre Arme abzuschütteln. Etwas schneller als zuvor, führte ich unseren Weg fort, sie folgte mir dicht hinterher. "Du weißt doch gar nicht wie das ist.", warf ich ihr an den Kopf. "Und davon bist du überzeugt?", sagte sie trotzig. Ich merkte, wie sie hinter mir erneut zum Stehen kam. Ich drehte mich zu ihr um. Mit verschränkten Armen stand sie vor mir. "Um ehrlich zu sein, weiß ich ganz genau wovon du redest und es gibt nichts Schlimmeres als mit der Ungewissheit zu leben, ob er nicht vielleicht das Gleiche empfindet. Ich weiß ganz genau wie du dich fühlst, nicht nur weil ich auch deine Gedanken lesen kann, nein, sondern weil ich mit Scott dasselbe Problem hatte. Aber glaub mir, es wird dir so viel besser gehen, wenn du über seine Gefühle endlich Bescheid weißt." Sie meinte es todernst. "Das Leben kann hart sein, ich weiß, aber wieso versuchst du nicht dein eigenes Glück in die Hand zu nehmen?" Wir standen uns immer noch gegenüber. Ihr war es total ernst, das konnte man ihr ansehen. Ich wusste keine Antwort auf ihre Frage. Vielleicht wollte ich mein Glück nicht in die Hand nehmen, weil ich alles, was ich berührte, zerstörte. "Das stimmt doch gar nicht.", beschwichtigte sie mich und ich wusste, dass sie in meinem Kopf war. Normal würde ich wütend werden, weil ich es hasste, wenn jemand das tat, aber es schien mir, als wäre einfach nichts mehr normal. "Da du ja so oder so in meinem Kopf bist, kannst du das doch selbst beantworten oder?", gab ich etwas gereizt zurück. "Angst wieder alleine zu sein.", flüsterte sie kaum hörbar. "Aber ist es denn nicht schmerzhafter ihn jeden Tag zu sehen, neben ihm zu liegen, ihn über alles zu lieben, ohne dass er es weiß? Tut es nicht weh mehr zu wollen, als nur Freundschaft, es aber nicht sagen zu können oder eher zu wollen?", fragte sie mit einem traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht. "Ja verdammt, es tut so dermaßen weh, dass ich manchmal nicht schlafen kann, aber am meisten weh tut mir der Gedanke, er könnte jemanden anders lieben." Plötzlich wurde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Würde Erik je jemanden anderes lieben, dann würde ich nicht mehr hier sein wollen. Die Schmerzen wären viel zu groß, als dass ich sie ertragen könnte. "Lassen wir das. Ich will mich nicht mit dir streiten. Ich kann verstehen, wie schwer es ist. Ich habe selbst lange gezögert, aber glaub mir, dass das Gefühl nachdem du es ihm gesagt hast, jede Angst verpuffen lässt."

Das Thema war für mich abgeschlossen. Durch all das, was dieses Gespräch in mir ausgelöst hatte, war es schwer mich auf meine Prüfungen zu konzentrieren. Mit Müh und Not schaffte ich Mathe, was unter anderen Umständen wahrscheinlich auch nicht anders gewesen wäre. Jean verlor kein einziges Wort mehr über mich und Erik, wofür ich er sehr dankbar war. Es war schon schwer genug mich um meine eigenen Gefühle zu kümmern, aber wenn dann auch noch Charles und Jean auf mich einredeten, dann war es unmöglich sich um irgendetwas zu kümmern. Total erleichtert den Tag endlich überstanden zu haben, begab ich mich zu Erik. Es war mir, als würde ich nachhause kommen, nach all der Zeit in der ich keines mehr hatte. "Ich bin wieder da.", strahlte ich, als ich das Zimmer betrat. Sofort hellte sich seine Miene auf. "Hey Kleines, hab dich vermisst.", strahlte er. Ohne zu zögern, war das erste, was ich tat, seine Schmerzen zu lindern. Es ging mir fast schon automatisch von der Hand. "Es tut gar nicht mehr weh.", wollte er den Coolen spielen. Ich nickte bloß wissend und streckte ihm die Zunge heraus. Er erkundigte sich nach meinen Prüfungen und schien stolz auf mich zu sein. Nach meinem Gespräch mit Jean war es umso schmerzhafter ihn anzusehen. Geschweige denn, mit ihm in einem Raum zu sein. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Seine Stimme war mein Anker, nach einem langen Tag auf hoher See. Sollte ich es ihm jetzt sagen? Nein, das hier war nicht der richtige Moment. Aber wenigsten wusste ich jetzt genau was ich wollte und zwar ihn. Mein Entschluss stand fest, egal was von nun an passieren würde, ich würde es ihm sagen. Nicht jetzt und auch nicht morgen, aber irgendwann. "Ich erledige meine Arbeiten und mach mich fertig, dann kann ich dir alles erzählen, was du hören willst.", richtete ich mich an ihn und strahlte. Zufrieden lächelte er zurück und ließ mir meine Zeit, die ich brauchte, um alles zu erledigen. Nach einer guten Stunde war ich fertig und legte mich neben ihn. Meinen Kopf platzierte ich auf seiner Brust, jedoch war heute etwas anders. Heute war ich mir zum ersten Mal sicher, dass er mir gehören würde und zwar ganz alleine mir.

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt