Wieder nachhause

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Stef war wieder im Unterricht, diese Tatsache freute mich sehr und es beruhigte auch mein Gewissen ein wenig. Ich konnte mir sicher sein, dass sie sich nun nicht die ganze Zeit über sorgen um mich machte. Ich weiß, wie sehr es immer noch an ihr nagte und wie gern sie sich die Schuld für das hier geben würde. Es war so leicht sich immer die ganze Schuld aufzubürden, man glaubte dann, dass alles gut sei, dass niemand anderes ins Kreuzfeuer gerät, aber genau das war der größte Fehler. Er war irreführend und falsch, denn meistens fügte man seinen Mitmenschen damit mehr Schaden zu, als es anders der Fall gewesen wäre. Ich kannte dieses Gefühl genau und ich wusste wie verlockend es war nachzugeben. Aber wie gesagt, war es meistens ein Fehler. Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und Charles stand in seinem Rollstuhl vor mir. "Ich habe gute Nachrichten.", grinste er mich vor Freude an. Verdutzt blickte ich zu ihm auf und wartete gespannt auf die Fortführung seines Gespräches. Er hielt kurz inne und griff dann sofort wieder den Faden auf: "Du wirst heute offiziell der Krankenstation verwiesen, das heißt du darfst nachhause." Sein Grinsen wurde noch breiter. "Du weißt, dass ich kein Zuhause mehr habe.", gab ich bitter zurück. Charles wirkte gekränkt, sah aber ein, dass er sich etwas in der Wortwahl vergriffen hatte. "Ist ein Zuhause nicht ein Ort an dem dein Herz ist. Muss es denn unbedingt ein Gebäude oder eine Stadt sein?", fragte Charles und ich wusste genau auf was er hinaus wollte. Er hatte recht, mein Herz war immer bei ihr, sie war mein Zuhause und man konnte sich kein schöneres wünschen. "Siehst du", lächelte er, "ich wusste, dass du eines hast." "Lass das. Ich weiß nicht wie oft ich es dir noch sagen muss, nicht in meinen Kopf zu sehen.", erwiderte ich leicht gereizt. Er schüttelte belustigt den Kopf: "Aber woher sollte ich denn dann all die netten Details erfahren?" Ungläubig starrte ich ihn an. "Naja, vielleicht hat es einen Grund, dass man dich nicht in alles einweiht.", neckte ich ihn. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen und er schien etwas beleidigt zu sein.

"Genug davon.", unterbrach ich sein Geschmolle. "Hilf mir meine Verbände zu wechseln, dann kann ich endlich von hier verschwinden.", drängte ich ihn. Sofort rollte er an meine Bettkante und drückte mir einen sauberen Verband in die Hand. Langsam und behutsam fing ich an den Alten zu entfernen. An manchen Stellen klebte er leicht an den Wunden, jedoch waren diese schon wunderbar verheilt. Ich zuckte leicht zusammen, als Charles mir den Verband abnahm und sanft versuchte ihn weiter zu entfernen. "Naja einen Preis für die schönste Bikinifigur gewinnst du nicht mehr.", zog er mich auf. Ich sah ihn todernst an, kein einziger Muskel in meinem Gesicht bewegte sich. "Du bist heute nicht zum Scherzen aufgelegt, was?", fragte er vorsichtig. "Nein, aber vielleicht liegt es einfach daran, dass ich das hier nicht lustig finde. Ich meine es wird Stef immer daran erinnern, was sie mir angetan hat, auch wenn ich es ihr längst verziehen habe. Was ist wenn sie mich nicht mehr ansehen kann, weil sie dann immer die Flammen sehen würde, die sich meinen Körper hochfressen? Mir sind diese Narben egal, aber ich habe Angst, dass ihr dieser Anblick Schmerzen bereitet. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte und ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich tun sollte, würde sie mich deswegen nicht mehr ansehen können. Ich kann meine Narben nicht ewig verstecken." Charles sah mich an, als hätte ich gerade gesagt, ich hätte jemanden ermordet. Sein Blick wurde trüb und er sah aufrichtig traurig aus. "Aber man sieht deine Narben doch kaum, wenn du bekleidet bist.", gab er zu bedenken. "Zwangsläufig führt aber kein Weg vorbei an du weißt schon was.", erwiderte ich. "Außerdem sieht man die Narben an meinem Hals. Jetzt waren sie eben von dem Verband verdeckt." Mein Blick wurde traurig. Es wäre für mich einfach nicht zu verkraften, wenn sie den Blick von mir abwenden würde. "Glaubst du denn nicht, dass sie dir das niemals antun könnte? Ich meine würde sie es nicht als ihre Verpflichtung ansehen, dich genauso zu lieben wie du bist, nachdem sie dir diese Wunden zugefügt hat?", fragte er vorsichtig. In mir stieg eine Wut auf, jedoch galt sie nicht Charles. Ich wusste im Grunde selbst nicht wem sie galt, ob ich einfach nur wütend auf mich selbst oder wütend auf das Leben selbst war. "Genau das ist das Problem. Ich will nicht, dass es eine VERPFLICHTUNG ist, ich will, dass sie mich aus freien Stücken liebt und nicht bloß aus Mitleid oder wegen eines Pflichtgefühls." Meine Stimmung sank immer weiter in den Keller. Mein alter Freund legte mir aufmunternd eine Hand auf die Schulter. "Hast du denn so wenig Vertrauen in sie? Sie hat schon so viel Schlimmeres in ihrem Leben durchgemacht, glaubst du denn nicht, dass es ihr vielleicht nichts ausmachen wird?", redete er auf mich ein. Ich nickte ihm bloß zu. "Und ich dachte eigentlich, dass dich die Tatsache freut entlassen zu werden." Ich gab ein gequältes Lachen von mir. "Naja kalt lässt mich diese Tatsache jedenfalls nicht.", gab ich zurück.

"Hilfst du mir mal?", forderte ich ihn auf und drückte ihm die saubere Verbandsrolle in die Hand. Inzwischen war mein ganzer Oberkörper frei von Bandagen und das ganze Ausmaß der Narben wurde sichtbar. Die Brandwunden waren zwar sehr gut abgeheilt, aber sie waren immer noch rötlich und eine Kruste hatte sich gebildet. Die Brandwunden die sich über meinen gesamten Hals erstreckten und knapp unterhalb meines Kinns aufhörten, waren schon vollkommen vernarbt. Ich zuckte zusammen, als ich mich im Spiegel betrachtete. Mir war es gar nicht bewusst gewesen, dass ich aufgestanden war. Wenn ich schon darüber erschrak, wie würde SIE dann darüber denken? Dieser Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken. In meinem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass Charles direkt hinter mir stand. "Sie wird ihren Blick nicht von dir abwenden, glaub mir.", versuchte er mich erneut zu beruhigen, jedoch erzielte er nicht wirklich den gewünschten Effekt. "Gib mir den Verband.", forderte ich mit einem unmissverständlichen Ton. Zuerst zögerte er, aber dann über gab er ihn mir. Ein besorgter Ausdruck verzehrte seine Miene. "Diese Gedanken helfen niemandem weiter.", meinte er bedrückt. Es kam keine Antwort. Ich war zu sehr damit beschäftigt, diese hässlichen Narben zu verstecken. Ich wollte verdammt noch einmal nicht, dass Stef sie jetzt schon sehen musste. Am liebsten wäre es mir, wenn sie sie nie sehen müsste, aber das ließ sich schlecht verhindern. Nach etlichen Minuten war ich fertig und betrachtete mein Abbild im Spiegel. Wieder überkam mich eine unbändige Wut. Ehe ich mich versah, landete meine Faust in dem Spiegel. Die Splitter schnitten scharf in meine Knöchel und Blut tropfte aus den Schnittwunden. "Erik!", brachte Charles erschrocken hervor. Mehr sagte er nicht, er wusste wieso ich das getan hatte und konnte es wahrscheinlich auch verstehen. "Setzt dich aufs Bett.", befahl er und ich gehorchte. Wie benommen torkelte ich zurück und setzte mich an die Bettkante. Ohne dass er etwas sagen musste, streckte ich ihm meine Hand entgegen, er nahm sie und begann behutsam die Splitter zu entfernen. "Dir selbst weh zu tun, hilft ebenfalls niemandem.", tadelte er mich. "Nein, aber es bringt die Stimmen in meinem Kopf zum Verstummen.", lächelte ich bitter. Ich verzog keine Miene als er die Splitter, einen nach dem anderen, heraus zog. Es war als wäre alles wie betäubt, ich fühlte nichts außer diese Leere in mir. Der Gedanke alleine sie zu verlieren, tat so schrecklich weh, dass kein körperlicher Schmerz ihn je überschatten könnte, dennoch hatte ich es bei dem Spiegel versucht. Charles bandagierte meinen Arm behutsam ein und sah mich dann ernst an. "Erik?" "Mhhhh.", murmelte ich. "Bitte versprich mir, dass du wieder Mut fasst. Du warst so guter Dinge die ganze Zeit über. Wieso hat sich das so plötzlich geändert? Ich weiß, dass du angst hast, was sie denkt, aber bitte vertrau mir, sie wird dich deshalb nicht verstoßen. Stef ist nicht skrupellos, das könnte sie nicht tun. Aber wenn sie sieht, dass auch du diese Narben hasst, dann wird sie sie auch hassen und alles was sie getan hat. Sieht sie aber, dass du diese Narben akzeptierst, dann fiele es ihr auch sehr viel leichter, damit zu leben. Es liegt an dir." Da machte es klick in meinem Kopf, als hätte sich ein Schalter umgelegt. Noch nie hatte ich seine Worte so sehr zu schätzen gewusst wie jetzt in diesem Moment. Plötzlich war ich stolz auf diese Male. Sie waren der Beweis dafür, dass Stef in mein Leben gehört, das sind ihre Zeichen, die sie in meinem Leben gesetzt hatte und ich wollte nicht, dass diese verschwinden, immerhin würde ich das hier immer wieder tun. "Siehst du, es war doch gar nicht so schwer.", lachte er wieder. "Aber jetzt komm, du willst sicher endlich hier raus."

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt