Sterik

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Auch wenn ich dank Charles wieder guter Dinge war, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Stef hatte keine guten Erfahrungen mit dem Feuer gemacht, war es dann nicht fast schon eine logische Reaktion von ihr, ihre Augen von mir abzuwenden, wenn sie die Narben sah? Endlich war ich vor meinem Zimmer angekommen. Ich zögerte kurz, nicht wissend, ob ich mich freute wieder hier zu sein oder nicht. Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Ich hatte zwar schon lange kein Zuhause mehr, aber bei ihr fühlte es sich wirklich so an, als hätte ich eines. Charles hatte auch damit recht, es musste nicht immer ein Haus oder ein Ort sein, manchmal hatte dein Zuhause einen Herzschlag. Und ihrer war der Schönste den ich je gehört hatte. Kurzerhand machte ich kehrt und betrat stattdessen ihr Zimmer. Als ich die Tür öffnete kam mir ihr Geruch entgegen, es war als stünde man auf einer Blumenwiese, die gerade den Höhepunkt ihrer Blüte erreicht hatte, mit einem Hauch von Erdbeeren in der Luft. Ich erhaschte einen Blick auf ihr chaotisches Bett, welches sie seit dem letzten Mal, als sie alleine geschlafen hatte, nicht mehr gemacht hatte. Sie war in den letzten drei Wochen anscheinend nie hier gewesen. Ihre Klamotten lagen nach wie vor da, wo sie sie zurückgelassen hatte, als sie trocken genug aus meinem Zimmer in ihres fanden. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, war aber auch etwas enttäuscht. Immerhin hatte ich mir solch eine Mühe gegeben all ihre Sachen zusammen zutragen und es so angenehm wie möglich für sie zu gestalten. Langsam ging ich auf den Nachttisch zu und nahm das Bild, welches sie und ihre Familie zeigte in die Hand. Mein Finger strich über ihr Abbild. Sie lachte und sah so verdammt glücklich aus, als ob ihr nie jemand etwas antun könnte. Bei diesem Gedanken wurde mir übel. Dieses Lachen war einfach wunderschön und das Feuer hatte es ihr genommen, wie auch ihre Familie und im Austausch dafür bekam sie nichts als Schmerz und Leid. Ich hasste den Gedanken daran. Was war wenn ich ihr dieses Lachen nie zurück geben konnte? 'Das hast du längst getan, Erik', hörte ich eine vertraute Stimme in meinem Kopf. Plötzlich durchfluteten zig Erinnerungen meinen Kopf und eines hatten sie alle gemeinsam: Stef lachte und zwar meinetwegen. Das Beste daran war, dass dieses Lachen sogar noch schöner war als das auf dem Foto. Ein Gefühl von purem Glück machte sich in mir breit. "Danke, Charles", murmelte ich leise vor mich hin und konnte genau sehen, wie er gerade in seinem Büro saß und grinste wie ein Idiot. Vorsichtig stellte ich das Bild wieder ab und schloss die Augen. Ich ließ die Erinnerungen, die er mir gerade gezeigt hatte, noch einmal Revue passieren. In meiner Vergangenheit gab es bloß ein paar Ereignisse, man konnte sie mit der Hand abzählen, die in mir ein wohliges Gefühl auslösten. Sie waren so rar, dass ich manchmal fürchtete, sie wären nie da gewesen, deshalb klammerte ich mich jetzt so sehr an die, die sie mir geschenkt hatte. Und sie waren besser als ich sie mir hätte je erträumen können. Nach einigen Minuten war ich soweit in die Realität zurückgekehrt, dass ich beschlossen hatte eine Dusche zu nehmen.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ihr Bad mit einem Fenster bestückt war. Das Licht der Sonne, die im Zenit stand, beleuchtete jeden Winkel des kleinen Raumes. Ich öffnete es leicht und konnte die Vögel hören, wie sie ihr fröhliches Lied sangen. Ich konnte mich kaum an Tage erinnern, an denen ich glücklicher war als jetzt. Sie machte mein Leben einfach perfekt, sie ließ mich all meine Schmerzen und meine Trauer der Vergangenheit vergessen. Jedes Mal, wenn ich an sie dachte, schien mein Herz aus der Brust zu springen, als wollte es zu ihrem. Es war verrückt und tat weh, weil ich wusste ich bin nicht gut genug für sie. Sie hatte etwas Besseres verdient, jemanden der ihr etwas bieten konnte. Und das tat weh. Ich spürte mein Herz bluten und schmeckte Salz an meinen Lippen. Mit meiner rechten Hand strich ich eine Träne weg, es war unglaublich, was diese Frau in mir auslöste. Ich wollte nichts mehr als jeden Tag neben ihr aufzuwachen, ihr Lächeln am Morgen zu sehen und sie zu küssen. Ein weiterer Stich ging durch meine Brust, weil ich wusste, dass das nie passieren würde. Ich drehte die Dusche auf und begann mich meiner Kleider zu entledigen. Als ich mein T-Shirt auszog, zögerte ich kurz. Der Verband war das einzige, das meine Narben verdeckte und Stef davon abhielt, ihre Augen von mir abzuwenden. Zögerlich löste ich ihn. Wider Erwarten hasste ich diese Narben nicht, nein, ich war wirklich froh sie zu haben. Denn auch wenn Stef sich von mir abwenden sollte, so würden mich diese immer an sie erinnern. Ein Grinsen legte sich auf meine Lippen. Etliche Minuten später lag er vor mir auf dem Boden. Ich trat vor den Spiegel und fuhr mit meinen Fingern die Konturen meiner Muskeln nach, die durch die Narben gezeichnet waren. Es gab noch einige Stellen, die wie die Hölle brannten als ich sie berührte. Genug war genug. Ich verdrängte jeden negativen Gedanken aus meinem Kopf und stieg in die Dusche. Das Wasser prasselte von meiner Haut ab, wie all die bösen Gedanken. Ich wusch alle Zweifel von mir, als wären sie Schmutz nach einem langen Training. Es tat so verdammt gut.

H.O.P.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt