Kapitel 8 - Die Wette

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Sie waren auf dem Weg nach hause. Die Sonne schien fröhlich auf die Welt hinab, mehrere Vögel zwitscherten grell durcheinander. Einige Menschen saßen in ihren Vorgärten und genossen das schöne Wetter.

Ilan trat erneut gegen den Stein, den er schon seit dem Verlassen des Schulgeländes auf diese Art vor sich her bugsierte.

„Hätte ich doch bloß gelernt!“, stöhnte er und trat wütend noch einmal gegen den Stein, der noch nicht weit genug geflogen war.

Ilan hatte genau wie sie ein schlechtes Gefühl bei der Klausur. Bei ihr war das nicht so schlimm, sie hatte in genügend anderen Fächern gute Noten. Er hingegen konnte sich keinen weiteren Unterkurs mehr leisten. Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu, sodass er jetzt auch mit einer guten mündlichen Beteiligung nicht mehr viel retten konnte. Er war wütend auf seine eigene Faulheit.

„Wenn das jetzt ein Unterkurs wird, kann ich mein Abitur fast schon in den Sand setzen.“, murmelte er zum wahrscheinlich fünfzigsten Mal an diesem Tag. Er hatte zwar Recht, trotzdem versuchte Lena, ihn irgendwie aufzubauen.

„Ich bin mir sicher, Frau Kirschbaum lässt dich ein Referat halten, um deine Note zu verbessern, wenn du sie fragst.“

Ilan antwortete nicht, starrte aber weiter düster vor sich hin. Dann trat er wieder gegen den Stein, den sie inzwischen eingeholt hatten. Er flog über die Straße und blieb zwei Laternen weiter reglos liegen.

Lena ertrug es nicht, Ilan so deprimiert zu sehen. Sie überlegte, wie sie ihn aufheitern könnte. Das war schwierig, da sie selber in keiner besseren Stimmung war. Trotzdem zermarterte sie sich das Gehirn. Was mochte Ilan so sehr, dass es ihn aus der Krise herausholen konnte? Er mochte Sport, Zeichnen, Süßigkeiten…

Plötzlich grinste sie und blieb stehen. Ilan drehte sich fragend zu ihr um.

„Wer als letztes bei dir zuhause ankommt, gibt ein Eis aus!“, rief sie und rannte los. Ilan kam nur kurze Zeit später hinterher.

„Das war gemein!“, beschwerte er sich. Als sie in die nächste Straße einbog, holte er sie ein. Lena legte noch einen Zahn zu. Sie konnte das blaue Haus am anderen Straßenende schon  sehen.

„Mich kriegst du nicht!“, kicherte sie. Sie war fast angekommen. Plötzlich raste Ilan lachend an ihr vorbei und wäre vermutlich vor ihr da gewesen, wenn Lena ihn nicht am Arm gefasst und aufgehalten hätte. Durch seinen Schwung wurde sie nach vorne gezogen und fiel. Vor Überraschung schrie sie auf. Zum Glück konnte sie sich noch rechtzeitig abfangen, sodass ihr nichts Ernsthaftes zustieß.

„Alles in Ordnung?“ Ilan kam zurück. Lena brachte sich in eine sitzende Position und nickte.

„Es geht mir gut. Das war dumm von mir, tut mir leid.“ Sie lachte über ihr eigenes Missgeschick. Ilan streckte ihr eine Hand entgegen und zog sie auf die Beine. Sie sog schmerzerfüllt die Luft durch die Zähne ein und ließ ihn los. Ihre Handfläche blutete.

„Zeig mal.“, bat er und untersuchte ihre Hand.

Lena wurde plötzlich bewusst, wie nah sie beieinander standen. Seine Rechte umschloss warm die ihre. Sein Brustkorb hob und senkte sich beim Atmen. Seine Finger wischten vorsichtig etwas Blut zur Seite. Sie war froh, dass er mit ihrer Verletzung beschäftigt war, sonst hätte er bemerkt, dass sie ihn anstarrte.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist.“, beendete er schließlich seine Diagnose. „Eigentlich ist es nur ein kleiner Kratzer.“ Er ließ ihre Hand wieder los und machte eine Kopfbewegung in Richtung Haus. „Wir sollten das auswaschen.“

Lena nickte und sie gingen gemeinsam zu dem blauen Haus. Dass Ilan ihre Anspannung bei seiner Berührung nicht bemerkt hatte, war für Lena ein weiterer Beweis dafür, dass er nicht das Selbe für sie empfand wie sie für ihn. Die Enttäuschung, die sich daraufhin in ihr breit machte, verstand sie nicht ganz. Es war ihr schließlich von Anfang an klar gewesen, dass ihre Liebe nicht erwidert wurde.

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