Kapitel 18 - Nelken und Eis

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Lena warf ihre Tasche in eine Ecke des Wohnzimmers. Ihre Schuhe schleuderte sie in eine andere. Dann eilte sie in die Küche und warf ein paar Hände voller Nudeln in einen Topf mit Wasser. Sie drehte das Radio auf die höchste Lautstärke. Als ihr Lieblingslied gespielt wurde, sang sie lauthals mit. Lena holte sich einen Kochlöffel und stocherte wild im Topf herum.

Das Telefon hörte sie erst beim dritten Klingeln. Hastig stellte sie das Radio leiser und klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr.

„Lena Winter?“

Bei dem Versuch, während des Telefonats eine Soßenpackung zu öffnen, schmiss sie versehentlich die halb volle Nudel-Tüte um. Sämtliche Nudeln verteilten sich auf dem Boden. Lena unterdrückte einen deftigen Fluch.

„Guten Tag, Frau Winter. Hier spricht Herr Henrichs von der Polizei. Ich würde gerne mit Edgar Winter sprechen.“

Lena warf einen kritischen Blick auf die große Küchenuhr. Erst halb zwei. Ihr Vater war noch arbeiten.

„Tut mir leid, der ist gerade nicht zu hause. Soll ich etwas ausrichten?“

„Nur, dass er zurückrufen soll. Es geht um den Autounfall, in dem wir zurzeit ermitteln.“

Jetzt war Lenas Neugier geweckt.

„Haben Sie etwas herausgefunden?“ Der Beamte am anderen Ende der Leitung schien zu zögern. Vermutlich handelte es sich um streng vertrauliche Daten, die er nur ihrem Vater mitteilen durfte. Andererseits hatte er gerade die Tochter des Opfers am Telefon. Vielleicht sagte er ihr etwas, wenn er Mitleid mit ihr bekam. Schnell fügte sie hinzu: „Bitte. Ich muss das wissen. Meine Mutter ist tot und ich weiß nicht einmal genau, was eigentlich passiert ist.“ Sie legte in ihre Worte so viel Kummer, wie es ihr schauspielerisches Talent zuließ. Den Polizeibeamten schien das zu überzeugen.

„Na, gut. Ein wenig kann ich dir verraten. Wir haben den Hauptverdächtigen gefunden und festgenommen. Er wird soeben verhört. Ihm gehört der Wagen, der den Unfall verursacht hat. Wenn Ihr Vater anruft, kann ich noch mehr Einzelheiten erzählen.“

„Gut, vielen Dank. Ich richte es ihm aus.“ Lena legte auf.

Sie musste sich setzen. Wie sollte sie sich jetzt fühlen? Rachsüchtig? Fröhlich? Lena war keines von beidem. Ihr war einfach nur zum Heulen zumute.

In diesem Moment kam Julian in die Küche. Er ließ seine Jacke nachlässig auf einen Stuhl fallen.

„Hey“, grüßte er und drehte das Radio wieder laut. „Gibt’s was zu essen?“

Lena erschrak. Sie rannte schnell zum Herd, wo sämtliche Nudeln bereits auf dem Boden des Topfes festgekocht waren. Ärgerlich kratzte sie mit dem Holzlöffel darin herum. Dann setzte sie eine Soße an und begann, die verstreuten Nudeln wieder vom Boden aufzusammeln.

„Du kannst mir auch ruhig helfen, weißt du.“, hielt sie ihrem Bruder vor, der es sich bereits auf einem Stuhl bequem gemacht hatte. Er stöhnte genervt auf und erhob sich, um zwei Teller aus einem Schrank zu kramen. Lena goss das trübe Nudelwasser ab und stellte den Topf auf den Tisch.

Ihr Bruder stellte die Teller mitsamt Besteck daneben.

Sie seufzte. Natürlich hatte er die falschen Teller geholt.

Auf flachen Tellern konnte man aber keine Nudeln essen, deshalb räumte sie sie wieder weg und holte tiefere. Dann tat sie sich eine Portion auf und setzte sich an den Tisch. Julian machte es ihr nach, nur dass er sich nicht setzte, sondern mit seinem Teller aus der Küche verschwand. Lena hätte ihm am liebsten eine Beleidigung hinterher gerufen, doch sie hielt sich zurück.

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