„Also bist du eine dieser Ausgeburten der Hölle.“
Fliels Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen. Selbst in betrunkenem Zustand merkte Annell, dass sie zu viel gesagt hatte. Viel zu viel. Ihr Verstand meldete sich wieder – schummrig und gedämpft aus der hintersten Ecke ihres Bewusstseins – und befahl ihr, so lange die Klappe zu halten, bis sie wieder halbwegs nüchtern war.
Natürlich hielt sie sich nicht im Geringsten daran.
„Hast du mir während der letzten Tage überhaupt zugehört?“, schrie sie ihn beinahe an, sodass er erschrocken zurück zuckte. „Ich habe dir mit jeder einzelnen verdammten Geschichte versucht, zu erklären, dass Seher keinesfalls Monster oder böse Hexen sind – Ausgeburten der Hölle am aller wenigsten!“
„Was aus dem Mund einer Hexe kommt, können nur Lügen sein.“, erwiderte er forsch.
Annell geriet völlig außer sich. „Ich bin aber keine Hexe!“
Tobsüchtig, wie sie in diesem Moment aussehen musste, strafte vermutlich allein ihr Anblick ihre Worte Lügen. Fliels Hand zuckte nervös zu seinem Waffengurt. Sein Schwert konnte er nicht finden – er hatte es in seinem Quartier gelassen.
„Jede Brut einer Hexe ist eine weitere!“, entgegnete er überzeugt.
Annell war so wütend wie schon lange nicht mehr. Der Alkohol in ihren Adern schien nach und nach zu verschwinden und einer Unmenge an Adrenalin und Testosteron Platz zu machen.
„Wenn ich die Gabe der Vorausschau besitzen würde, wäre ich sicher nicht so dämlich gewesen, euch in die dreckigen Hände zu fallen! Eine Seherin hätte solch armselige Figuren wie euch fertig gemacht, ohne mit der Wimper zu zucken!“
„Ich werde dich der Hexerei bezichtigen und hinrichten lassen!“
„Du feiger, starrsinniger Narr!“, schrie sie, dass sich ihre Stimme überschlug.
Fliel hatte offenbar beschlossen, der Sache ein rasches Ende zu bereiten. Unbewaffnet kam er auf sie zu und versuchte, ihren Hals zu erwischen. Annell wehrte sich mit der Stärke einer zornigen Furie – gegen die reine Muskelkraft des Kriegers konnte sie jedoch nicht viel ausrichten. Bald schon hatte er sie an der Kehle gepackt und drückte zu.
Annell schlug und trat um sich, was dem Prinzen allerdings nicht allzu viel auszumachen schien. Ihre Kehle brannte wie Feuer und verlangte nach Sauerstoff. Sie wollte schreien, doch es ging nicht. Schwarze Flecken begannen, sich vor ihrem Gesichtsfeld zu bilden.
Fliel drückte unbarmherzig immer fester zu. Ein hämisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
Dann wurde es plötzlich weggewischt.
Die eiserne Fessel, die sich um ihren Hals gelegt hatte, verschwand. Sie wurde von den Füßen gerissen und schlug hart auf dem Boden auf. Keuchend rang sie nach Luft.
Am Rande ihres Bewusstseins hörte sie den Lärm eines Kampfes. Nicht mit Schwertern und Schilden, wie sie es gewohnt war, sondern mit Händen und Füßen.
Nachdem ihre Lunge sich wieder ausreichend mit Luft gefüllt hatte, kehrte auch ihr Sehvermögen zurück. Mit einem leisen Stöhnen richtete sie sich auf und beobachtete das Spektakel, das sich vor ihren Augen abspielte.
Es war Aaron, der sich auf den granitischen Prinzen gestürzt hatte und ihn nun mit seinen Fäusten traktierte. Die beiden rollten über den Boden, wild kämpfend und schreiend. Fliel nahm sich einen Stuhl zur Hilfe, doch Aaron wusste sich zu wehren. Er schlug ihn beiseite und rang seinen Gegner zu Boden, wo er ihn festhielt, sodass er nicht fliehen konnte. Dann ließ er seine Faust auf ihn niedergehen – wieder und wieder.
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Das Tagebuch - Ein Traum aus Tinte
Novela Juvenil„Es wird bald regnen." Die schwarzen Wolken, die sich vom Horizont her langsam und bedrohlich auf sie zuschoben, würden in einigen Minuten über dem Wald angekommen sein. Annell wollte sich gar nicht vorstellen, in was für einer Hölle aus prasselndem...