Mit viel Mühe, Zeit und einer Menge Spangen schaffte Lena es, sich so zu frisieren, dass man die schwarze Haarsträhne nicht mehr sehen konnte. Sie wusste immer noch nicht, wo sie eigentlich hergekommen war. War das eine Krankheitserscheinung oder etwas Ähnliches? Sie nahm sich vor, das später im Internet zu recherchieren. Allerdings hatte sie keine Ahnung, was das für eine abgedrehte Krankheit sein sollte, die einem die Haare färbt!
Durch diesen unerwarteten Zwischenfall war Lena spät dran. Sie ließ das Frühstück ausfallen, steckte sich nur auf die Schnelle einen Apfel in den Mund und verließ beinahe fluchtartig das Haus.
In der Schule beeilte sie sich, noch rechtzeitig in die erste Unterrichtsstunde zu kommen. Zum Glück hatte sie Geschichte bei Frau Wehler. Diese kam oft zu spät. Wenn Lena Glück hatte, konnte sie noch vor ihrer Lehrerin ankommen.
Als sie sich dem Kursraum näherte, merkte sie an dem Lärm, der aus der geöffneten Tür drang, bereits, dass sie nicht zu spät war. Mit gehetztem Gesichtsausdruck betrat sie den Raum. Frau Wehler war noch nicht da. Lena fiel ein Stein vom Herzen. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war ein Eintrag im Kurs-Heft.
Erleichtert ließ sie sich auf ihren Platz sinken. Während alle Schüler um sie herum noch quasselten und lärmten, räumte sie ihr Buch und das Heft aus der Tasche und sortierte sie auf dem Tisch. Dann lehnte sie sich in ihrem unbequemen Stuhl zurück und sah sich im Raum um.
Die Tische waren unordentlich kreuz und quer gerückt. Die Tafel war frei von Kritzeleien und dummen Sprüchen; nach der ersten Schulstunde würde sich das allerdings ändern.
Ilan hatte in einem anderen Kurs Geschichte. Nach einem kurzen Blick in die Runde erkannte Lena, dass auch Sandora nicht in diesem Kurs war. Eine leichte Welle der Enttäuschung überkam sie. Es überraschte sie, dass sie das Mädchen so gerne dabei gehabt hätte.
Dann entdeckte sie ein Gesicht, das sie bisher noch nicht gesehen hatte. Es war ein Junge, der in der Reihe neben ihr saß – auf der anderen Seite des Gangs. Er unterhielt sich mit einigen Jungen aus dem Kurs. Noch ein neuer Mitschüler?
Er war blond, ziemlich groß und schien recht nett zu sein, auch wenn sie über den Lärm nicht verstand, über was sich die Jungen unterhielten. Sie lachten zumindest ziemlich oft.
Lena beendete die Inspektion des neuen Mitschülers und wandte sich dem Geschichtsbuch zu, das aufgeklappt vor ihr lag.
Geschichte hatte sie schon immer interessiert, vor allem die Mythen der alten Götter. Auch die Traditionen und das Weltbild vergangener Kulturen faszinierten sie. Historische Städte und ihre Bewohner. Manchmal stellte sie sich vor, wie es wäre, als eine von ihnen geboren worden zu sein. Wie hätte ihr Leben dann ausgesehen?
Dann kam Frau Wehler herein. Der Unterricht begann. Lena hörte aufmerksam zu. Das Unterrichtsthema war >Das alte Ägypten<. Sie sprachen darüber, wie und warum man früher die Pyramiden gebaut hatte.
In jedem anderen Fach hätte Lena sich schweigend zurückgelehnt und bloß zugehört. Doch nicht in Geschichte. Das war das einzige Fach, in dem sie sich wirklich beteiligte – und das nicht zu knapp. Zusammen mit den Strebern hielt sie das Unterrichtsthema am Laufen. Sie erzählte so viel über die Ägypter, wie sie wusste. Das war nicht gerade wenig. Immerhin war ihr Vater Archäologe und hatte seiner Tochter früher viel über alte Kulturen erzählt. Diese Geschichten hatten sich so stark in Lenas Kopf eingeprägt, dass sie beinahe alle auswendig kannte. Irgendwann hatte sie angefangen, selber in den Büchern ihres Vaters zu recherchieren. Es war das Interessanteste, was sie jemals gelesen hatte.
Der Unterricht verlief wie immer: Spannend für Lena und die anderen drei Schüler, die etwas zum Unterricht beitrugen, langweilig für die restlichen vierzehn, die sich in ihren Stühlen zurücklehnten und mit ihren Gedanken irgendwo waren – nur nicht hier. Lena freute sich über jedes neue Wissen, das sie ihrem Wissensspeicher hinzufügen konnte. Gebannt lauschte sie sämtlichen Informationen, die sie bekam.
Irgendwann wurde Frau Wehler die Beteiligung zu einseitig und sie versuchte, etwas aus den übrigen Schülern heraus zu bekommen.
„Niel, möchten Sie etwas zu dem Thema beitragen? Die privaten Unterhaltungen können Sie auch in der Pause fortsetzen.“
Der neue Schüler, der ganz offensichtlich nicht aufgepasst hatte, schaute überrascht von dem Gespräch mit seinem Sitznachbarn auf.
„Wie bitte?“
„Ich habe gefragt, wie die alten Ägypter die Steinblöcke für den Bau der Pyramiden transportieren konnten.“
„Hm…“, machte er und hob die Schultern. „Vielleicht hatten sie eine Menge Muskeln?“
Der Kurs begann zu kichern. Man konnte Frau Wehler ansehen, dass sie wütend wurde.
„Es tut mir Leid, aber diese Antwort ist falsch. Die Steinblöcke waren bis zu drei Tonnen schwer und damit unmöglich anzuheben. Ich möchte Sie bitten, meinen Unterricht entweder ernst zu nehmen, oder ihn zu verlassen.“
Jeder andere Schüler wäre bei dieser Drohung kleinlaut in seinem Sitz zusammen gesunken, doch Niel begann, sich zu rechtfertigen.
„Ich dachte immer, die alten Ägypter wären kluge und erfinderische Leute gewesen. Wieso haben sie dann diese nutzlosen Pyramiden gebaut? Vor allem, bevor sie geeignete Transportmittel für die Materialien hatten? Hätten sie nicht erst Lastwagen erfinden können!“
Jetzt drehte auch Lena sich neugierig um. Der neue Schüler hatte sich lässig in seinem Stuhl zurückgelehnt und schaute Frau Wehler provozierend an. Natürlich wusste er, dass die Menschen im alten Ägypten gar nicht die Möglichkeiten gehabt hatten, Lastwagen zu konstruieren. Trotzdem spielte er seinen Standpunkt weiter aus.
„Entschuldigung, aber ich verstehe das Problem nicht ganz. Können Sie meinen wissbegierigen Fragen nicht entnehmen, dass ich sehr wohl Interesse an Ihrem Unterricht zeige?“
Frau Wehler fing an, wütend auf ihrem Unterkiefer zu mahlen. Lena hob schnell die Hand, um die Situation zu entschärfen. Die Lehrerin wirkte erleichtert, als sie die Meldung bemerkte.
„Lena?“
„Die Pyramiden wurden in der Nähe des Nils gebaut, so konnten die nötigen Materialien auf Schiffen transportiert werden.“, beantwortete sie die Frage. Sie konnte sich nicht verkneifen, noch hinzuzufügen: „Die Zivilisation der Ägypter war zwar erstaunlich weit fortgeschritten, jedoch nicht so weit, dass sie Motoren erfinden konnten.“ Sie musste sich ein Kichern verkneifen. Abgesehen von Frau Wehler merkte jeder Anwesende, dass sie sich nur so oberschlau gab und Niels Kommentar in Wirklichkeit ebenfalls witzig fand.
„Ach so, tut mir Leid. Das wusste ich nicht.“, trieb der Junge es auf die Spitze. Er tat ganz unschuldig. „Ich bitte aufrichtig um Verzeihung für die Unterbrechung Ihres Unterrichts.“
Frau Wehler schien zufrieden.
„Wenn Sie tatsächlich etwas über das alte Ägypten erfahren wollen, ist Lena Ihre beste Ansprech-Person. Sie können sie ja bitten, Ihnen Nachhilfe zu erteilen.“
„Das werde ich ganz sicher tun. Vielen Dank für den Tipp.“
Lena war sich nicht sicher, ob Frau Wehler gemerkt hatte, dass das Gespräch nur so vor Sarkasmus triefte und sich der gesamte Kurs nun heimlich hinter ihrem Rücken ins Fäustchen lachte.
Sie fuhr jedenfalls mit dem Unterricht fort, als sei nichts gewesen.
Lena schaute sich noch einmal zu Niel um. Er hatte ein selbstgefälliges Grinsen aufgesetzt. Als er ihren Blick bemerkte, zwinkerte er ihr zu. Lena lächelte zurück. Irgendwie fand sie diesen Jungen sympathisch.
Sie wandte sich wieder dem Unterricht zu.
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Yaayy! :D Ein neuer Charakter *-* Ich war offen gesagt ganz schön aufgeregt, ihn euch vorzustellen, weil ich nicht weiß, wie er rüber kommt :) Könntet ihr mir bitte euren ersten Eindruck von ihm nennen? :D
Ein weiteres dickes DANKESCHÖN an die vielen Leser! :D Der Zwischenstand beträgt über 1100 - das wollte ich nur noch mal sagen, weil ich das nämlich echt cool finde und euch alle dafür liebe! <33
Und jetzt laber ich schon wieder zu viel^^ Also: Bitte, bitte kommentieren! :**
LG Zara :D
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Das Tagebuch - Ein Traum aus Tinte
Teen Fiction„Es wird bald regnen." Die schwarzen Wolken, die sich vom Horizont her langsam und bedrohlich auf sie zuschoben, würden in einigen Minuten über dem Wald angekommen sein. Annell wollte sich gar nicht vorstellen, in was für einer Hölle aus prasselndem...