Kapitel 37 - Neue Färbung

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Ilans Großmutter empfing sie an der Tür.

„Hallo Lena, Schätzchen! Schön, dich zu sehen. Komm doch rein. Ilan ist oben in seinem Zimmer und kuriert sich aus. Du kannst gerne zu ihm gehen.“

Lena war etwas verwirrt. „Ist er denn krank?“, fragte sie.

„Ja, er hat eine ganz schlimme Erkältung. Ich sollte ihn eigentlich zu diesem Seminar an der Uni fahren, aber daraus wird wohl nichts.“ Sie seufzte.

Lena ging ein Licht auf und sie musste sich beherrschen, eine ernste Miene zu wahren. „Dann schau ich besser mal nach ihm.“

„Tu das. Aber pass auf, dass du dich nicht ansteckst.“ Lena nickte und lief die Treppe empor.

Ilan saß in seinem Bett zwischen einer Unmenge von Decken und Kissen und kritzelte auf einem Block herum. Als sie hereinkam schaute er auf und lächelte. Lena wurde ganz warm ums Herz bei seinem Anblick. Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.

„Och, du Armer! Bist du etwa krank?“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Dann kannst du ja gar nicht mehr zu diesem Seminar, zu dem du so unbedingt wolltest.“

Ilan machte ein verdrießliches Gesicht. „Gut, erwischt. Ich tue nur so, als ob ich krank wäre.“

„Ach“, machte Lena mit gespieltem Erstaunen. Dann wurde sie ernster. „Ist es wirklich besser, hier herumzusitzen, als dahin zu gehen?“

„Ja“, meinte Ilan entschieden. „Alles ist besser als zu diesem Seminar zu gehen. Und du siehst doch: Ich kann mich gut beschäftigen.“ Er hielt ihr den Block unter die Nase.

„Ist das… Dora?“

Er nickte unglücklich. „Aber ich bekomme sie nicht richtig hin.“

„Du malst sie aus dem Gedächtnis? Ist das süß!“ Sie konnte nicht anders. Sie musste kichern.

Ilan lief ganz rot an. „Erzähl ihr nichts davon, ja?“

„Aber warum denn nicht? Das ist doch total niedlich. Und du hast sie richtig gut getroffen.“ Er schüttelte nur stumm den Kopf und starrte unzufrieden auf seine Zeichnung. Nach einer Weile wandte er sich wieder ihr zu.

„Ich habe dein Buch zu Ende gelesen.“

„Und?“ War er verärgert über die Liebesgeschichte, die sie ihren Figuren zugedacht hatte?

Er legte den Block zur Seite. „Immerhin verstehe ich jetzt ein wenig eher, was hier vor sich geht.“ Er deutete vielsagend auf ihre Haare. „Gibt es alle Figuren der Geschichte wirklich? So wie dich und mich?“

„Manche. Anita ist meine Tante und die Seherin Linda ist Sandora.“

Er musste plötzlich schmunzeln. „Wieso interpretierst du San als hinterlistige Hexe?“

„Ich sagte doch schon: Es ist kein richtiges Tagebuch. Es spiegelt nur einen Teil des Wirklichen wider und den Rest erfinde ich dazu.“, erklärte sie. Es entsprach allerdings nur teilweise der Wahrheit.

Die Seherin war so, wie Lena sie gerne gesehen hätte: Fies, hinterlistig und scheinheilig. Aber Sandora war dafür viel zu nett. Lena konnte sie nicht hassen. Deshalb gab es Linda, die sie sehr wohl hassen konnte. Sie war quasi die Ersatzperson, an der Lena ihre Eifersucht auslassen konnte. Nicht einmal Aaron konnte sie leiden. Er hatte sogar ziemliche Angst vor ihr. Lena – oder in dem Fall Annell – kam das zugute, denn so war die Konkurrentin aus dem Weg geräumt. Sie hatte Aaron ganz für sich alleine.

 „Willst du dein Buch wieder haben?“

Lena schüttelte energisch den Kopf. „Ich werde nicht weiter schreiben. Vielleicht hört dieser Spuk irgendwann auf, wenn niemand mehr daran denkt. Egal, was hier passiert – ich will, dass es endet. Bei dir ist mein Buch sicher aufgehoben.“

Das Tagebuch - Ein Traum aus TinteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt