Kapitel 61 - Der letzte Kampf

87 11 0
                                    

Gegen Mittag holte Fliel sie ab. Der König hatte die Audienz gewährt und sie durften nun zu ihm.

Linda musste im Wald bleiben. Angeblich, weil Kirdef keine Seherin im Schloss haben wollte. Annell vermutete jedoch, dass Fliel ihn erst gar nicht von ihrer Anwesenheit unterrichtet hatte.

Sie wurden von sechs schwerbewaffneten Soldaten durch die eindrucksvollen Gänge geführt. Annell war sprachlos. Sie war in einem prachtvollen Schloss aufgewachsen und hatte auch einige andere zu Gesicht bekommen.

Kirdefs Schloss übertraf sie alle.

Es war mehr als nur ein riesiges, steinernes Gebäude. Es war überwältigend – nicht nur im Hinblick auf seine Größe.

Die Mauern waren sowohl von innen als auch von außen aufwändig verziert. Fenster in allen Farben und Formen zogen sich die Wände entlang. Torbögen und Säulen säumten ihren Weg, nicht nur durch den reich bepflanzten Garten, sondern auch durch die langen Hallen und Gänge, die sie durchschritten. Alle waren mit prachtvoll gewebten Teppichen ausgestattet. Wo man hinsah, fingen elegante Vorhänge und kunstvolle Statuen den Blick ein.

Der Thronsaal war ebenso prächtig wie der Rest des Schlosses, wenn auch weniger schmuckvoll. Teppiche und Vorhänge wurden nur dezent verwendet, Kunstwerke fehlten ganz. Vermutlich würden sie die Aufmerksamkeit zu sehr von dem eigentlichen Inhalt des Raumes ablenken.

Das Königspaar saß hoheitsvoll auf zwei goldenen, ungemütlich wirkenden Thronen.

Annell hatte Königin Dagdma nie gesehen, bloß von ihr gehört. Die blonde Frau war zierlicher und kleiner, als sie sie sich vorgestellt hatte. Ihre Haare waren kunstvoll in die Höhe gesteckt. Einzelne, hellblonde Strähnen rankten sich über ihre Schultern. Es war offensichtlich, dass sie der Grund für die geschmackvolle Einrichtung war. Ihr Kleid war in denselben Farben gehalten wie die Vorhänge – ein kräftiges, jedoch nicht aufdringliches Rot – und fügte sich perfekt in den Raum ein. Gleichzeitig stach sie jedoch auch daraus hervor und zog die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

Der König dagegen war kräftig gebaut und besaß breite Schultern. Unter seiner Krone ragten Strähnen in einem weichen Braun hervor und verschmolzen mit einem Bart, der trotz seiner Länge ordentlich und gepflegt aussah. Die dunklen Augen funkelten misstrauisch, aber auch interessiert. Seine Kleidung hatte einen anderen Stil als den, den sie von Varren gewohnt war. Prunkvoller. Es war offensichtlich, dass er einen guten Eindruck bei seinen Gästen machen wollte.

Es gelang ihm.

Vor den Thronen angekommen, zeigten die rubiernischen Gäste ihren Respekt in einer tiefen Verbeugung. Die Soldaten, die sie begleitet hatten, zogen sich dezent zwischen die marmornen Säulen zurück.

Fliel trat als erster vor. „Ich bringe Euch die Boten, die ihr sprechen wolltet: Aaron, Sohn des Granul, Sucher und Finder, Jäger der Schatten; Und Annell, Schülerin der Sterne und der Wahrheit, Tochter von…“ Er schien sich nicht sicher, was er sagen sollte.

Ohne eine Erlaubnis abzuwarten, ergriff Annell das Wort. „Tochter der Sabrina.“

Der Blick des Monarchen schoss zu ihr. Er schien nicht wütend, bloß leicht verärgert und vor allem neugierig. Fliel hingegen sah aus, als hätte er gerade auf einen Stein gebissen. Niemand ergriff ungefragt das Wort in Anwesenheit eines Königs.

Da sie es nun schon einmal getan hatte und niemand etwas erwiderte, fuhr sie mit fester Stimme fort. „Ich denke, Ihr erinnert Euch noch an sie. Sie hat Rubien leider vor vielen Jahren verlassen…“ Der Monarch schien nun langsam doch die Geduld zu verlieren. Mit einer herrischen Geste schnitt er ihr das Wort ab und wandte sich an einen der Soldaten, der neben ihm stand.

Das Tagebuch - Ein Traum aus TinteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt