Kapitel 41 - Verzweifelt unter Sternen

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Wieder bewegte sich die Katze und schon begannen die Schuldgefühle wieder an ihr zu nagen. „Ist es richtig, sie einfach mitzunehmen?“

„Warum nicht? Die Katze weiß nicht, was für sie das Beste ist. Natürlich sträubt sie sich, wenn sie nicht weiß, wohin es geht.“

„Aber wenn sie sich wehtut?“, sorgte sie sich weiter. Die Katze schien sehr nervös und bewegte sich viel zu hektisch unter dem Sitz. Wenn sie sich verletzte, würde Lena sich das nicht verzeihen.

„Wir sind doch fast da.“, beruhigte Niel sie.

Lena warf einen Blick auf das Navi am Armaturenbrett, das die Ankunftszeit anzeigte. Noch zwölf Minuten. Die Straßen waren leer, Niel fuhr zügig, jedoch vermied er unnötige Ruckel und scharfe Kurven. Er wollte die Katze nicht der Fliehkraft aussetzen.

Lena warf einen verstohlenen Seitenblick auf ihn. Seine blonden Haare waren zerzaust und eine blau-graue Schlafanzughose lugte unter der nur flüchtig übergeworfenen Jacke hervor. Lena war zuvor nicht aufgefallen, dass er sich nicht angezogen hatte. Anscheinend war er tatsächlich so schnell gekommen, wie er konnte. Plötzlich spürte sie eine Zuneigung zu ihm, die größer war, als sie bisher gedacht hatte. Sie konnte nicht anders, als zu lächeln.

Geistesabwesend strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich wusste gar nicht, dass du so ein Tierfreund bist.“

Seine Miene verfinsterte sich beinahe unmerklich. „San hatte einmal eine Katze und…“ er brach ab und holte tief Luft. „Sagen wir, ich bin nicht ganz unschuldig daran, dass sie jetzt nicht mehr lebt. Es war ein Unfall…“ Er klang tatsächlich schuldbewusst. Lena glaubte ihm, dass – was auch immer passiert war – es ihm leidtat. „Seitdem habe ich etwas für Katzen übrig.“

Das Kätzchen unter ihrem Sitz regte sich wieder. Lena sah eine graue Pfote hervorschnellen, die sich die angeknabberte Wurst fischte und sie in das Versteck zog. Anscheinend war ihre Angst inzwischen so weit gesunken, dass der Hunger wieder übermächtig wurde. Lena lächelte erleichtert. Ein weiterer Blick auf das Navi zeigte, dass sie fast beim Tierarzt waren. Sie lehnte sich beruhigt im Sitz zurück und beobachtete die vorbeiziehenden Gebäude.

* * * * * * * * * * * * *

Die freundliche Tierärztin hatte die Katze in ihre Obhut genommen und ihnen versichert, es ginge ihr bald wieder besser. Sie hatte sich für das Engagement bedankt. Lena konnte sich nur flüchtig von dem Tier verabschieden, das bereits in ein Behandlungszimmer gebracht wurde. Zusehen durften sie nicht, denn zu viele Menschen auf einmal konnten es nervös machen.

Jetzt traten Niel und Lena aus der Tierarztpraxis und auf Niels schwarzes Auto zu. Die Luft war frisch, kühl und wohltuend. An der Bürgersteigkante blieb Lena stehen und atmete tief durch. Sie brauchte die Luft dringend.

Niel blieb stehen und blickte sich zu ihr um. „Was ist?“

„Ich genieße nur die Nacht.“, säuselte sie und blickte in die majestätischen Sterne.

Niel kam zu ihr zurück und folgte ihrem Blick. „Wunderschön.“, stimmte er ihr zu.

Mitten zwischen etlichen Gebäuden und parkenden Wagen standen sie zusammen. Ihre Schultern berührten sich. Sie merkte, wie er zögerlich nach ihrer Hand griff. Nicht fest – sachte und sanft.

Sie drehte sich zu ihm und lächelte ihn glücklich an – er lächelte zurück.

Dass sie nie bemerkt hatte, was für schöne Augen er hatte. Sie waren vollständig blau. Nach außen hin wurde die Iris ein wenig dunkler.

Eine wunderschöne Farbe.

Ein wundervoller Moment.

Mitten in der Nacht.

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