Den Heimweg ging Lena alleine. Ilan musste noch etwas in der Stadt erledigen und Lena war schon spät dran. Sie hatte an diesem Tag noch einen Termin bei ihrer Psychologin. Dementsprechend beeilte sie sich, nach hause zu kommen.
Auf der Ecke zu Ilans Haus nahm sie schemenhaft etwas Violettes in ihrem Augenwinkel wahr. Sie wäre daran vorbei gelaufen, doch plötzlich stieg ihr dieser aufdringliche, süße Geruch in die Nase.
Stirnrunzelnd blieb sie stehen und sah sich um.
Auf dem Grasstreifen neben der Straße wuchs eine große, violette Blume.
Lena war verblüfft. So eine Blume hatte sie noch nie gesehen. Trotzdem erkannte sie sie wieder.
Sie ging näher heran und hockte sich hin, um sie besser betrachten zu können.
Der süße Gestank war aus der Nähe beinahe unerträglich. Lena hielt sich die Nase zu, doch sie blieb, wo sie war. Sie wollte das jetzt wissen.
Sie betrachtete die Blütenblätter genauer. Tatsächlich sahen sie genau so aus, wie die in ihrer Vorstellung. War das Möglich? Gab es diese Blumenart, die sie sich ausgedacht hatte, wirklich?
Sie richtete sich wieder auf und sah sich suchend um. Eine weitere Blume dieser Art konnte sie nicht entdecken. Wie die Pflanze in ihrem Tagebuch, stand diese ganz allein.
Plötzlich wurde Lena die Sache unheimlich. Sie ging schnell weiter, um möglichst weit von der seltsamen Pflanze weg zu kommen. Doch der Gedanke daran ließ sie nicht mehr los. Wie kam diese Blume hierher? War es nur Zufall, dass eine Pflanze, die eigentlich nur in ihrer Fantasie existieren sollte, plötzlich in ihrer Nähe auftauchte? Und hatte das etwas mit dem seltsamen Kribbeln zu tun, das sie ständig hatte, wenn sie log? Diese Eigenschaft hatte sie doch Annell zugeschrieben!
Lena schaffte es nicht, die Grübeleien über diese seltsamen Zufälle zu vertreiben. Sie ging zügig, trotzdem konnten die Gedanken sie einholen. Lena wurde sie nicht wieder los.
Zuhause angekommen, lief sie sofort in ihr Zimmer und kramte ihr Tagebuch aus dem geheimen Versteck. Es lag verborgen hinter einer Schublade ihres Schreibtisches. Sie bewahrte ihr Büchlein immer dort auf, seit Ilan es gefunden hatte. Dort war es sicher keinen neugierigen Händen ausgesetzt.
Sie verstaute es in ihrer Tasche, zusammen mit ein paar anderen Sachen. Dann hastete sie die Treppe hinunter. Sie traf ihren Vater im Esszimmer an. Lustlos nagte er an einem unbeschmierten Stück hartem Brot herum. Er sah nicht so aus, als wüsste er, dass er gleich aus dem Haus musste. Lena wurde wütend.
„Papa, wir müssen los. Mein Termin bei Frau Engel fängt in einer Stunde an.“
Ihr Vater sah sie verständnislos an.
„Dein Bruder wollte dich doch fahren, weil ihr noch einkaufen wollt, oder so…“
„Stimmt!“, rief Julian, der in diesem Moment auf der Treppe erschien. Er war gerade dabei, sich die Jacke anzuziehen und machte einen gehetzten Eindruck. „Wir wollten noch einkaufen. Schon vergessen, du Dummerchen?“ Er wuschelte ihr im Vorbeigehen durch die Haare.
Lena spielte einfach mit, obwohl sie nicht wusste, worum es überhaupt ging. Sie hatte nie mit ihm darüber gesprochen, einkaufen zu fahren.
„Ach, ja. Das hab ich ganz vergessen.“
Es kribbelte sie schon wieder an der Nase und sie musste niesen. Sie beeilte sich, hinter ihrem Bruder her zu kommen. Sobald die Haustür hinter ihnen zufiel, fixierte sie ihn mit einem vorwurfsvollen Blick.
„Wozu war das jetzt gerade gut?“
„Sag ich gleich“, meinte er nur und schloss den Wagen auf.
Lena stieg ein. Er setzte sich neben sie und ließ den Motor an. Sie fuhren aus der Einfahrt und dann die Straße hinunter. Die Häuser flogen verschwommen an ihnen vorbei.
„Also, was ist jetzt?“, wollte Lena endlich wissen. Julian druckste ein wenig herum. Das tat er immer, wenn ihm etwas unangenehm war. Schließlich überwand er sich endlich und rückte mit der Sprache heraus. Es war ihm anzuhören, dass er es ihr nicht gerne erzählte.
„Ich habe einen Termin bei Doktor Engel.“
Lena prustete los.
„Darum der ganze Aufwand? Damit Papa es nicht mitkriegt?“ Sie kicherte weiter.
„Damit es keiner mitkriegt. Sobald deine Tante mal wieder zu Besuch hier ist, wird sie alles aus ihm herausquetschen. Und spätestens dann weiß es unsere gesamte Verwandtschaft.“
„Das ist doch Schwachsinn. Dass ich zur Psychologin gehe, weiß doch auch schon jeder.“
Und das mochte sie gar nicht. Plötzlich konnte sie Julian etwas besser verstehen.
„Du sagst es doch keinem, oder?“, bat er.
Lena musste lächeln. Natürlich wäre es lustig, es sofort Tante Christina zu erzählen und dann zu beobachten, wie das Gerücht die Runde machte. Aber das würde sie nicht tun. Zumindest jetzt noch nicht. Manchmal war es unter Geschwistern praktisch, ein Druckmittel zu haben. Sie schüttelte den Kopf.
„Aber was machst du, wenn Christina gerade Schicht hat?“
„Hat sie nicht. Ich hab nachgefragt.“
Wieder musste sie lachen. Es war geradezu putzig, wie ihr Bruder sich anstrengte, damit niemand etwas mitbekam.
Aber sie war ihm auch dankbar. Es tat gut, jemanden dabei zu haben, der dasselbe durchmachte wie sie. Früher oder später würde Christina es sowieso herausfinden. Sie musste schließlich nur einen Blick in die Termin-Protokolle werfen. Das erzählte Lena ihm aber nicht.
Die Fahrt in Julians kleinem, roten Opel war witzig. Er drehte das Radio ganz laut auf und sie sangen beide lautstark mit. Einige Fußgänger auf dem Bürgersteig drehten sich empört zu ihnen um. Lena musste jedes Mal lachen. Normalerweise würde sie es nie wagen, jemanden mit dieser Lautstärke zu belästigen, doch dieses befreiende Gefühl tat ihr gut. Sie versuchte, sich nicht um die ärgerlichen Gesichter zu kümmern und zu ihrer Überraschung funktionierte es sogar. Sie genoss die Autofahrt wirklich.
Als sie nach einer dreiviertel Stunde vor der Arztpraxis standen und Julian den Motor ausmachte, war sie total gut gelaunt und konnte kaum mehr aufhören zu kichern. Ihr Bruder schaute sie stirnrunzelnd an.
„So hab ich dich ja lange nicht mehr lachen hören.“
„Wir haben auch lange nichts lustiges mehr miteinander gemacht.“ Grinsend stieg sie aus dem Auto. „Früher sind wir immer in den Wald gegangen, um ein Baumhaus zu bauen.“
„Stimmt.“, Julian musste schmunzeln, „Wir sind nie damit fertig geworden. Ich frage mich, ob es noch da ist.“ Er schloss das Auto ab und sie gingen gemeinsam Richtung Praxis.
„Wir können ja mal nachgucken.“, überlegte Lena. Beim Gedanken an ihr altes Baumhaus wurde sie ganz wehmütig.
Kurz vor der Tür stoppte sie ihren Bruder. „Vielleicht solltest du bis zu deinem Termin einen Spaziergang machen oder so. Das Wartezimmer ist ein wenig… gruselig.“, vertraute sie ihm mit verschwörerischen Miene an.
Julian musste lachen. „Gut, dann gehe ich spazieren. Mein Termin ist direkt nach deinem. Wenn du willst, kann ich dir dann die Autoschlüssel geben. Dann kannst du dich zu Hugo gesellen.“ Hugo war der Name des Autos.
Lena nickte, dann ging sie in das Gebäude.
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Hallo!! :DD Dieses unerwartet schnell gepostete Kapitel habt ihr der Anzahl der Leser zu verdanken :D Wir haben nämlich soeben die 1000 erreicht!!! Dafür danke ich euch dehr :***
Wie wärs, wenn wir jetzt noch die Kommis in die Höhe schnellen lassen würden? ;) Aber nein, ich bin erstmal zufrieden :D Ich liebe euch übrigens alle! (Hab ich das schon mal erwähnt?) ;)
Über Kommis würde ich mich aber trotzdem freuen :) Also dann bis zum nächten Kapitel! :D
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Das Tagebuch - Ein Traum aus Tinte
Fiksi Remaja„Es wird bald regnen." Die schwarzen Wolken, die sich vom Horizont her langsam und bedrohlich auf sie zuschoben, würden in einigen Minuten über dem Wald angekommen sein. Annell wollte sich gar nicht vorstellen, in was für einer Hölle aus prasselndem...