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• J A M I E •

„Hey, Süßer. Wie geht's so?" Ein vollkommen Fremder begrüßt mich und setzt sich auf den Hocker mir gegenüber. Würde er nicht so süß lächeln, könnte ich ja misstrauisch werden, aber dieses Lächeln. Und die Tatsache, dass ich genau deswegen in die Bar gegangen bin.
„Hi. Kann mich nicht beklagen." erwidere ich mit einem Grinsen, dabei habe ich genau gesehen, wie der Fremde mich mustert. Ihm scheint zu gefallen, was er sieht.
„Ich darf dir doch einen Drink ausgeben oder gibt es da Protest?" Mit schief gelegtem Kopf blinzelt er mich an, woraufhin ihm ein leises Lachen entweicht. Es wird immer deutlicher, dass mein Gegenüber Gefallen an mir gefunden hat. 

„Gern. Dann werde ich nicht nach meinem gefälschten Ausweis gefragt." Ich bringe diesen Spruch einfach zu gern. Klar, weiß ich, dass ich öfter für älter gehalten werde. Das sehe ich gerade schon an den Gesichtszügen des Fremden. Ich sehe halt nicht aus wie 17. Ich weiß. Leider sind deswegen schon viele, abgeschreckt von Dannen gezogen. Das nervt echt tierisch, wenn alle denken, ich wäre nicht reif genug, um zu wissen was ich will. Allerdings muss ich auch sagen, dass der Kerl vor mir nicht unbedingt älter aussieht als ich. Einen großen Altersunterschied kann es nicht geben. Doch so wie der gut aussehende Fremde gerade guckt, da vermute ich, dass er mich höflich abwimmeln wird.

„Ich will dich ja nicht in Schwierigkeiten bringen." lacht er leise auf und winkt nach einem der Barkeeper. Ganz zu meiner Freude. Doch etwas halte ich mich zurück, wer weiß, vielleicht will er auch nur nett sein.
„Aber ich muss dir sagen, dass ich nichts mit jüngeren anfange." gesteht er leicht betreten, während er versucht ehrlich drein zu schauen. Was habe ich gerade noch gesagt. Doch meine gute Laune lässt sich heute nicht unterbuttern. Das liegt wohl an dem Alkohol.
„Hast du ein Glück. Ich auch nicht." ärgere ich den Älteren und nippe genüsslich an dem spendierten Drink. Dieser fängt nur lachend an, den Kopf zu schütteln.

Diese Situation ist für mich nicht ungewöhnlich. Ich weiß ganz genau, wie ich auf andere wirke. Ich weiß, dass ich alles andere als schüchtern wirke. Bin ich auch nicht im Grinsten. Schon gar nicht Fremden gegenüber, die auch noch so süß lächeln können. Ich weiß ganz genau, was mich interessiert und was ich anziehend finde. Und obwohl ich mit den Muskeln, durch den ganzen Sport, häufig von den schönsten Mädchen angesehen werde, interessiere ich mich viel mehr für den drahtigen Kerl, der gerade versucht mich unauffällig mit den Augen auszuziehen.

Auch wenn in der Schule niemand weiß, dass ich schwul bin, habe ich es für mich schon vor einer ganzen Weile akzeptiert. Damit habe ich überhaupt keine Probleme, im Gegenteil. Für mich ist das sogar reizvoller. Ich stehe einfach nicht auf „normal". Und mein Gegenüber scheint alles andere als „normal" zu sein. Die Herausforderung ist etwas das mich sehr reizt und die scheint gerade vor mir zu sitzen. Ganz abgeneigt kann er ja nicht sein. Immerhin sitzt er noch da und hat noch nicht die Flucht ergriffen.

„Ach Süßer. Das wird nichts." So ganz wohl mit dieser Aussage fühlt sich der Ältere jedoch nicht.
„Das liegt aber nur an dir. Von mir aus gibt es da keine Probleme." Versuche ich meinen Charme spielen zu lassen. Ohne die Telefonnummer von dem Fremden würde ich ungern nach Hause gehen. Man kann ihm förmlich ansehen, wie der andere überlegt, ob er seine Prinzipien über Bord werfen soll. Ich hoffe er tut es. Ich werde wohl etwas nachhelfen müssen. Nur noch ein kleines Bisschen.
„Sonst muss ich mich in den Schlaf weinen, weil ich eine Abfuhr von so einem heißen Kerl, wie dir, nicht ertrage." Ich gebe alles. Passend dazu habe ich einen leidenden Blick aufgesetzt. Aber mal ganz ehrlich, deswegen würde ich doch nie weinen. Ich wäre enttäuscht und etwas sauer und würde daher eher die Ablenkung suchen. Bei wem anders. 

Der Hübsche mit den braunen Haaren möchte erst lachen, doch als ich noch große, traurige Augen mache, da scheint er es sich zu überlegen.
„Ach, gib schon her. Aber den Rest musst du dir schon erarbeiten." lacht der Ältere und hält fordernd die Hand auf. Schnell fische ich mein Handy aus der Hosentasche und gebe es ihm. Ich muss mir jetzt echt das triumphierende Grinsen verkneifen.
„Das klingt doch nur fair, ... Sam." Grinse ich den anderen an. Jetzt kenne ich auch endlich seinen Namen. Sam. Anschließend tippe ich meine eigene Nummer in das Handy von Sam, der in meinen Augen hoffentlich nicht immer so fremd bleiben wird. Sam lässt kurz den Blick über sein Handy schweifen, als er es wieder zurückbekommt.
„Hättest du nicht einen anderen Namen eintragen können? Jetzt bist du noch ein paar Jahre jünger geworden." schmunzelt er. Auch das weiß ich. Immerhin heiße ich Jamie.
„Halt mich jetzt bloß nicht für einen kleinen Jungen. Das bin ich schon lange nicht mehr." Wispere ich verführerisch und bekomme dabei einen leicht verklärten Blick. Das kleiner-Junge-Image habe ich schon früh abgelegt.

Vor zwei, drei Jahren wurde mir klar, dass ich nicht den Vorstellungen der Leute entsprechen möchte. Ich verabscheut Schubladendenken. Und aus diesem Grund habe ich mir vorgenommen nicht der kleine, schwächliche Jamie zu sein, für den ich automatisch gehalten werde, wenn man meinen Namen hört. Ich will allen beweisen, dass ich nicht in diese Schublade passe, was mittlerweile mein Aussehen schon gar nicht mehr zulässt.

„Wie gesagt das musst du dir erarbeiten." frech grinst Sam zurück.
„Aber, muss der kleine Jamie nicht langsam schlafen gehen? Nicht, dass du morgen im Unterricht einschläfst." Diesmal lacht er lauter. Er konnte sich diesen Kommentar einfach nicht verkneifen, dass sieht man ihm an. Unweigerlich verdrehe ich da die Augen. Es ist doch gerade erst kurz nach zwölf. Da bekomme ich noch mehr wie genug Schlaf.
„Willst du mich etwa loswerden? Du musst es nur sagen, dann gehe ich." erwidere ich und nippe erneut an meinem Drink. Es würde mich aber freuen, wenn ich noch eine Weile hier sitzen kann, um mit Sam weiter zu reden. Ich bin da irgendwie viel zu neugierig was noch passiert. Seine freche und herausfordernde Art gefällt mir so sehr, wie die Tatsache, dass er mich nicht behandelt, als wäre ich ein Kind.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt